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Kommentar: Abschreckung ist noch keine Migrationspolitik

Kommentar

Abschreckung ist noch keine Migrationspolitik

Simon Kaminski
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    Eine Migrantin aus Nigeria, schaut durch einen Zaun im Flüchtlingslager in Litauen. Der belarussische Machthaber Lukaschenko hat seine Drohung wahr gemacht, Flüchtlinge aus Kriegsgebieten durchzulassen.
    Eine Migrantin aus Nigeria, schaut durch einen Zaun im Flüchtlingslager in Litauen. Der belarussische Machthaber Lukaschenko hat seine Drohung wahr gemacht, Flüchtlinge aus Kriegsgebieten durchzulassen. Foto: Mindaugas Kulbis, dpa

    Alexander Lukaschenko hat es mit seiner perfiden Erpressung geschafft . Die dunklen Ahnungen und diffusen Ängste sind wieder da. Das Kalkül des belarussischen Despoten: Wenn Brüssel die Sanktionen gegen sein Regime nicht zurücknimmt, dann winken wir Flüchtlinge nach Litauen durch. Droht den EU-Staaten, droht Deutschland wieder eine unkontrollierte Zuwanderung wie 2015? Mit all ihren innenpolitischen Verwerfungen und Konflikten. Das Thema Migration und Asyl hat jedoch nicht nur das Potenzial, Gesellschaften zu spalten, es zersetzt auch längst Grundwerte und Moral westlicher Demokratien - ein Blick auf die katastrophalen Zustände in den Camps wie auf Lesbos, auf illegale Zurückdrängung von Flüchtlingsbooten und die Tatenlosigkeit, ja oft auch Gleichgültigkeit angesichts der Flüchtlinge, die im Mittelmeer ertrinken, genügt.

    Vor diesem Hintergrund ist es ein Desaster, dass die EU nach wie vor ohne ein gemeinsames, schlüssiges Konzept dasteht. Zumal in der Türkei bereits mehr als 3,5 Millionen Flüchtlinge aus Syrien leben. Der unberechenbare türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sitzt also an einem ungleich längeren Hebel als Lukaschenko. Und dieser Hebel könnte noch länger werden, falls es in Afghanistan nach dem Rückzug der westlichen Truppen zu einer Massenflucht vor den vorrückenden Taliban kommen sollte - bis zu 500.000 sollen sich bereits in der Türkei befinden.

    Viele Länder haben sich von der Genfer Flüchtlingskonvention abgewendet

    Viel mehr als auf die Karte Abschreckung zu setzen, fällt den europäischen Staats- und Regierungschefs nicht ein, andere weigern sich generell, Frauen, Männer und Kinder in Not aufzunehmen. Menschen, die durch die Genfer Flüchtlingskonvention, die vor 70 Jahren als Reaktion auf Leid und Vertreibung unterzeichnet wurde, geschützt sind. Genauer gesagt: sie sollten es sein. Denn von den Zielen der Konventionen haben sich viele Länder längst verabschiedet. Dabei haben sich die Unterzeichner der Erklärung ja keinesfalls verpflichtet, Migranten aufzunehmen, die mit den Zuständen in ihrer Heimat unzufrieden und sich bessere Chancen im Ausland erhoffen. Tatsächlich verpflichtend ist es jedoch, den Anspruch auf Asyl in jedem einzelnen Fall zu prüfen.

    Gerettete Migranten sitzen in einem Schlauchboot der Rettungsorganisation Ocean Viking. Immer wieder sterben Menschen bei der Flucht über das Mittelmeer.
    Gerettete Migranten sitzen in einem Schlauchboot der Rettungsorganisation Ocean Viking. Immer wieder sterben Menschen bei der Flucht über das Mittelmeer. Foto: Flavio Gasperini, dpa

    Natürlich gibt es Grenzen für die Aufnahmefähigkeit, gehört eine effektive Sicherung der EU-Außengrenzen zu den Grundlagen einer effektiven Migrationspolitik. Gleichzeitig sollten verantwortungsvolle Politiker gerade in Deutschland sich gegen Populismus und Panikmache stemmen. Die Integration der Menschen, die 2015 und später kamen, ist sicher keine glänzende Erfolgsgeschichte, in Teilen aber besser verlaufen, als zu erwarten war.

    In der oft aufgeregt geführten Debatte wird vergessen, dass es Entwicklungsländer sind, die global gesehen das Gros der Flüchtlinge aufgenommen haben. Die USA oder die EU-Staaten sollten ihre weit besseren Möglichkeiten nutzen, koordiniert statt kopflos mit dem Problem umzugehen. Sicher hat Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) recht, wenn er fordert, entschlossener die Fluchtursachen zu bekämpfen. Das ist jedoch ein langer Weg, der in vielen Fällen an Korruption und fehlenden Strukturen in den Entwicklungsländern scheitert.

    In dieser verfahrenen Lage muss endlich die geregelte Aufnahme von Flüchtlingen angegangen werden - ohne Schleuser, ohne lebensgefährliche Fahrten über die See. Die USA, Deutschland, Frankreich und weitere Länder, die sich den Zielen der Genfer Flüchtlingskonvention noch verpflichtet fühlen, könnten so ein klares Zeichen setzen. Darauf zu warten, dass Totalverweigerer wie Ungarn mitziehen, wäre das Aus für jede Initiative.

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