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Corona-Krise: Wie der Corona-Kollaps an den Kliniken verhindert werden soll

Corona-Krise

Wie der Corona-Kollaps an den Kliniken verhindert werden soll

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    "Die Corona-Lage ist sehr besorgniserregend und momentan nicht unter Kontrolle", warnt DIVI-Präsident Reinhard Marx.
    "Die Corona-Lage ist sehr besorgniserregend und momentan nicht unter Kontrolle", warnt DIVI-Präsident Reinhard Marx. Foto: Matthias Balk, dpa

    Kleeblätter gelten in der Regel als Glückssymbol, in der Corona-Pandemie sollen sie nun den Zusammenbruch des Gesundheitssystems in besonders gefährdeten Regionen Deutschlands verhindern. In fünf Kleeblätter haben Notfallmediziner, Klinken und die politisch Verantwortlichen das Land eingeteilt, um die schnell wachsende Zahl von schwerst Corona-Kranken in Deutschland zu verteilen, nachdem nicht nur in Bayern, sondern inzwischen auch in Baden-Württemberg, Sachsen und Thüringen viele Klinken keine zusätzlichen Corona-Intensivpatienten mehr versorgen können. Die Covid-Patienten werden bereits jetzt mit Spezialkrankenwagen und Hubschraubern hunderte Kilometer weit transportiert. Auch Flugzeuge der Bundeswehr stehen inzwischen bereit.

    Schwere Corona-Fälle: Überlebenschance teils nur bei 50 Prozent

    „Letzte Woche hatten wir alleine 1887 Patienten mit Covid-19 neu auf deutsche Intensivstationen aufgenommen“, verdeutlicht Intensivmediziner-Präsident Gernot Marx den Ernst der Lage.

    Ohne Behandlung auf der Intensivstation würde vermutlich jeder einzelne dieser Patientinnen und Patienten sterben. Die schwersten Fälle, die im künstlichen Koma an der Ecmo genannten Beatmungsmaschine hängen, haben trotz Fortschritte bei den Medikamenten auch heute nur eine Überlebenschance von 50 Prozent. Und derzeit wird die Hälfte aller Corona-Intensivpatienten „invasiv“, das heißt maschinell beatmet. „689 Patienten mit Covid-19 sind in der letzten Woche gestorben“, berichtet Marx. Die nüchterne Rechnung heißt den Zahlen zufolge, dass unter dem Strich seit vergangener Woche 1198 Corona-Patienten mehr auf den Intensivstationen um ihr Leben kämpfen. „Die Corona-Lage ist sehr besorgniserregend und momentan nicht unter Kontrolle“, betont der Präsident der Intensivmedizinervereinigung DIVI.

    Die Organisation hat nun erstmals wieder genaue Prognosen vorgelegt, wie sich die Zahlen in den kommenden Wochen entwickeln könnten. Die Frage ist, ab welcher Inzidenz es Politik und Gesellschaft gelingt, die gegenwärtige vierte Coronawelle – mit welchen Mitteln auch immer – zu brechen. Am Montag lagen exakt 3845 Coronapatienten auf den Intensivstationen, bei einer bundesweiten Sieben-Tages-Inzidenz von 386,5. Steigt die Inzidenz weiter auf 600, wird die Zahl deutlich über 6000 ansteigen und erst im März wieder unter diese Marke fallen. Selbst ein schneller Stopp bei einer bundesweiten Inzidenz von 400 wird den Klinken der Prognose zufolge eine Belastung auf dem heutigen Niveau bis ins Frühjahr bescheren.

    In Bayern drohen bei Inzidenz 800 rund 1500 Covid-Patienten

    Noch trüber sehen die Aussichten aus für Bayern aus: Mit 965 Coronapatienten liegen inzwischen mehr Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen als auf dem Höhepunkt der bisher schlimmsten zweiten Welle. Landesweit lag die Sieben-Tages-Inzidenz zu Wochenbeginn bei 641 Neuinfizierten pro hunderttausend Einwohner. Klettert die Inzidenz weiter auf über 800 werden es rund 1500 Covid-Intensivpatienten sein - mehr als halb soviel wie es auf dem Höhepunkt der ersten Coronawelle in ganz Deutschland gab.

    Schon jetzt werden Corona-Patienten aus dem Freistaat ins Ausland verlegt. Bayern ist in dem Notfallplan das eigene Kleeblatt Süd. Eigentlich sollen die Patienten zuerst innerhalb des Kleeblatts verlegt werden. Das bedeutet, dass fast in ganz Bayern planbare Operationen verschoben werden und die Kliniken Reserven schaffen müssen.

    Gesundheitsversorgung nicht mehr auf gewohnten Niveau möglich

    Mit der Notfallreserve werden Normalbetten zu Intensivbetten umgewandelt, die Technik dafür steht bereit. Doch um die Betten mit Arzt- und Pflegepersonal zu betreiben, werden die Fachkräfte aus Nicht-Intensivstationen abgezogen. „Das heißt, dass die allgemeine Gesundheitsversorgung nicht auf dem sehr hohen Niveau in gewohnter Weise zur Verfügung steht“, sagt DIVI-Präsident Marx.

    Wenn die Neuinfektionszahlen weiter wie bislang ansteigen, „dann wird diese Priorisierung und Umorganisation in weiten Teilen Deutschlands notwendig werden“, erklärt der Aachener Medizinprofessor. „Aber es heißt dennoch, dass jeder Notfall und damit auch jeder neue Patient in Deutschland auch in den nächsten Tagen und Wochen versorgt wird“, fügt er hinzu.

    Verdrängungsprozess auf Intensivstationen

    Doch eigentlich sind die Intensivstationen das ganze Jahr ausgelastet, da sie für die Versorgung nach schweren Operationen benötigt werden. Inzwischen werden selbst einige Krebsoperationen abgesagt und verschoben. „Wir haben aktuell wieder ein Verdrängungsprozess“, sagt der Intensivmediziner Steffen Weber-Carstens von der Berliner Charité. Das heiße, Corona-Patienten verdrängen andere Patienten aus den Intensivstationen, die nun länger auf geplante Eingriffe warten müssten. „Wir haben deshalb in der Charité unser Normalprogramm reduziert, damit wir Kapazitäten schaffen können.“ Nur so sei die Versorgung von Notfallpatienten und die dringlichen Operationen von Nicht-Corona-Patienten noch aufrechtzuerhalten.

    „Wir, die Intensiv- und Notfallmediziner, brauchen Unterstützung“, fordert DIVI-Präsident Marx Politik und Gesellschaft zum Handeln auf. „Die Impfung ist nach wie vor der Schlüssel zum Erfolg der Pandemie-Bewältigung, ebenso die Booster-Impfung“, betont er. Auch die Geimpften müssten die kommenden Wochen Verantwortung zeigen. Die Politik müsse spätestens im Dezember über härtere Maßnahmen entscheiden.

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