Erschlagen von einem abgeholzten Baum liegt ein Mann neben einem Waldstück. Er streckt die Arme von sich. Daneben steht ein Mann mit einer Säge; die Axt liegt zu seinen Füßen. Die Bäume sind in dunkelgrün getupft; die Gesichtszüge mit groben Strichen gezeichnet. Im Hintergrund sieht man ein landwirtschaftliches Anwesen. Es ist das Bild eines großen Unglücks, das in der Wallfahrtskirche Maria Birnbaum in Sielenbach hängt. Es zeigt aber auch ein großes Wunder: "Dank unserer heiligen Mutter Gottes; bei einer Wunderbaren Hilfe: im Jahre 1930" steht in krakeliger Schrift darunter. Offenbar hat der erschlagene Mann den Unfall bei den Baumfällarbeiten überlebt. Zum Dank für die Hilfe der heiligen Maria hat die Familie eine sogenannte Votivtafel gespendet. In Maria Birnbaum ist das Bild in guter Gesellschaft: Ganze Wände sind voll behangen mit Bildern, die von schlimmen Unglücken zeugen, aber auch von Mut, Zuversicht und Hilfe in der Not.
Älteste Votivtafeln in Maria Birnbaum sind aus dem 18. Jahrhundert
"Votivtafeln sind Danksagungen für ein erhörtes Gebet", erklärt Pater Norbert Rasim, der Mitte 2021 nach Sielenbach zurückgekehrt und seitdem als Seelsorger für die Wallfahrer im Einsatz ist. Diese Art des Dankes ist eng mit der Wallfahrt verbunden. Denn die Wallfahrt wird bis heute von vielen übernommen, um Buße zu tun, geheilt zu werden oder ein besonderes Anliegen im Gebet vor Gott zu bringen.
Die Geschichte der Wallfahrtskirche Maria Birnbaum in Sielenbach
Maria im hohlen Birnbaum: 1632 fand der Dorfhirte von Sielenbach, Johann Vogl, die halb verbrannte und vermoderte Pietà im Jochmoos. Die Holzfigur aus dem 16. Jahrhundert wurde während des Dreißigjährigen Krieges von den Schweden zerstört. Vogl stellte das Vesperbild in einen hohlen Birnbaum an der Straße.
Erste Wunderheilung: Wenige Jahre später, 1659, kam es an der Maria-Figur am hohlen Birnbaum in Sielenbach zu einer Wunderheilung. Einer Frau Anna aus Meran erschien im Traum das kleine Vesperbild und sie machte sich - nachdem sie bereits zahlreiche Wallfahrten hinter sich gebracht hatte - auf die Suche danach. Als sie es endlich gefunden hatte, wurde sie von ihrer Hysterie und ihr Sohn von einem "großen Leibschaden" geheilt. Das war der Beginn der Wallfahrt zu "Unserer Lieben Fraw im Pürnbaum".
Von einer Kirche umschlossen: Philipp Jakob von Kaltenthal setzte sich daraufhin dafür ein, den Birnbaum mit einer "ansehnlichen" Kirche zu umfassen. Das Bauprojekt finanzierte er teilweise sogar aus seinen Privatmitteln. 1661 begann der Bau. 1668 wurde die Kirche durch den Freisinger Weihbischof Kaspar Kühner geweiht.
Sielenbacher retten ihre Kirche: Im Jahr 1803 sollten Kirche und Wallfahrt aufgelöst werden. Doch die Bauern in der Umgebung ließen das nicht zu und übernahmen die Baulast, später kaufte die Gemeinde Sielenbach die Kirche.
Kapuziner übernehmen die Wallfahrt: Im Jahr 1867 übernahmen die Kapuziner die Wallfahrt in Maria Birnbaum. Sie blieben über ein Jahrhundert in Sielenbach bis zum Jahr 1984.
Leerstand im Kloster: Von 1984 bis 1999 stand das Kloster bei Maria Birnbaum leer. Am 1. Januar 1999 übernahm der Deutsche Orden wieder Maria Birnbaum. Der Orden sanierte das Konventsgebäude, errichtete eine Gaststätte und einen Klosterladen.
Die ältesten Bilder in Maria Birnbaum stammen aus dem 18. Jahrhundert. "Besonders in Zeiten, in denen der Glaube stark war, wurden mehr Votivtafeln gestiftet", sagt Pater Norbert. Mit dem Zweiten Weltkrieg wurden die Votivtafeln weniger, heute kommen kaum noch neue hinzu. Viele zeigen Unfälle in der Landwirtschaft: auf dem Feld, im Wald. Andere danken dafür, dass ein Baby überlebt hat. Es sind Geschichten von Heilungen nach langer Krankheit. Nicht immer aber geht es um Wunder. "Den Menschen ging es meist nicht darum, um Genesung zu bitten. Sie baten vielmehr um die Kraft, mit der Situation umgehen zu können", so Pater Norbert.
Votivtafeln in der Wallfahrtskirche in Sielenbach sollen Mut machen
Bei vielen Bildern ist unklar aus welchem Jahr sie stammen. Manchmal lässt sich nicht mal der genaue Anlass für den Dank herauslesen. Eine historische Dokumentation der Votivtafeln gibt es in Maria Birnbaum nicht. "Dafür ist die Wallfahrt hier zu klein", sagt Pater Norbert. Doch die Bilder erzählen auch so ihre Geschichten. Sie sollen auch anderen Menschen in einer schwierigen Lage Mut machen und zeigen, dass andere hier Hilfe erfahren haben. Auf den meisten Bildern ist eine Darstellung der holzgeschnitzten Pietà aus dem 16. Jahrhundert zu sehen, die über dem Altar in Maria Birnbaum thront. Sie zeigt die heilige Maria mit dem Leichnam des vom Kreuz abgenommenen Jesus Christus. Auch Außendarstellungen der Kirche sind oftmals auf den Bildern. Dadurch ist eindeutig, dass diese Menschen hier in Maria Birnbaum Hilfe erfahren haben.

Doch die Bilder haben nicht nur einen emotionalen Wert, sondern auch einen finanziellen. Das haben in den vergangenen Jahren Kriminelle ausgenutzt, sind in die Kirche eingebrochen und haben Votivtafeln gestohlen. "Viele Bilder sind zwischen 1984 und 1999 weggekommen, weil in dieser Zeit das Kloster nicht bewohnt war", sagt Pater Norbert. Die Bilder lassen sich gut im antiquarischen Bereich verkaufen. "Ich kann mir vorstellen, dass viele so ein geklautes Bild unwissentlich kaufen und dann zuhause als Dekoration aufhängen." Nur wenige Votivtafeln finden ihren Weg wieder zurück in die Kirche, für die sie gestiftet wurden. Auch heute ist die Kirche täglich für alle Menschen geöffnet. "Das wollen wir auch auf keinen Fall ändern."
Inzwischen sind die Diebstähle weniger geworden. Die Dankesbilder werden trotzdem in die Wand geschraubt, um sie zusätzlich zu schützen. Die größere Herausforderung liegt inzwischen nicht mehr darin, dass Bilder oder andere Gegenstände aus der Kirche verschwinden, sondern dass vieles hineingetragen und dort hinterlassen wird. "Viele bringen die Holzkreuze von Beerdigungen und stellen sie hier ab", erzählt Pater Norbert. Aber auch alte Versehgarnituren oder Rosenkränze - oftmals aus dem Nachlass eines verstorbenen und geliebten Familienmitglieds - finden ihren Weg in die Kirche. "Die nächste Generation kann mit diesen Dingen nicht mehr so viel anfangen, will sie aber auch nicht wegwerfen."

Auch für Danksagungen haben sich inzwischen längst neue Formen etabliert. Statt einer Votivtafel stiften viele eine schön gestaltete Kerze. "Die Kerzen drücken immer auch eine Bitte aus. Durch das Licht soll das Anliegen symbolisch weitergetragen werden", erklärt Pater Norbert. Auch das Fürbittenbuch, das im hinteren Teil des Kirchenschiffes steht, enthält Dank und Bitte zugleich. "Gerade jetzt in der Corona-Zeit kommt bei vielen der Glaube wieder etwas zurück, weil es eine Situation ist, die wir nicht mehr selbst bewältigen können."
Das Fürbittenbuch übernimmt heute die Funktion von Votivtafeln
Ihre Ängste, Sorgen und Hoffnungen hinterlassen die Menschen in ihren eigenen Worten in der Kirche. Sie übergeben sie an die heilige Maria. Es geht um verpasste Chancen. "Heilige Maria, nimm bitte meine Mama, die heute Geburtstag hätte, in deine Arme. Ich habe es leider zu ihren Lebzeiten versäumt", heißt es dort zum Beispiel. Andere bitten um Kraft für nahestehende Menschen in einer schwierigen Situation oder sie danken für ein gutes Jahr 2021. "Möge unsere Familie genauso gut durch das Jahr 2022 kommen." Ein Wunsch, den viele teilen.