
78 Millionen falsch abgerechnet? Laborarzt muss vor Gericht

Die Augsburger Staatsanwaltschaft wirft Bernd Schottdorf gewerbsmäßigen Betrug vor. Er soll über Kollegen fälschlich 78 Millionen bei den Krankenkassen abgerechnet haben.
Ein prominenter Mediziner kommt vor Gericht. Der Augsburger Laborarzt Bernd Schottdorf wird sich wegen gewerbsmäßigen Betrugs in Millionenhöhe vor dem Augsburger Landgericht verantworten müssen. Der 74-Jährige hat im Laufe der Jahrzehnte Europas größte Laborgruppe mit mehr als 10.000 Vertragskunden aufgebaut. Der Mediziner, heute Multimillionär, soll jahrelang die Krankenkassen betrogen haben.
Offenbar hat er es trickreich geschafft, gesetzlich festgelegte Ausgabengrenzen zu umschiffen. Die Staatsanwaltschaft will Schottdorf nachweisen, dass er in den Jahren 2004 bis 2008 fälschlich eine Summe von 78 Millionen Euro abgerechnet hat. Mit auf der Anklagebank wird Schottdorfs Ehefrau Gabrielle, 60, sitzen. Sie ist als Geschäftsführerin im Unternehmen tätig.
Überprüfung der Anklage verzögerte sich
Bis zuletzt war offengeblieben, ob es zu einem öffentlichen Prozess gegen das Unternehmerehepaar kommen wird. Die Staatsanwaltschaft hatte schon im März vor zwei Jahren, gestützt auf Ermittlungen des Landeskriminalamtes, Anklage gegen die Eheleute und das Unternehmen erhoben. Juristische Scharmützel hinter den Kulissen sowie die Überlastung der Augsburger Justiz durch große Wirtschaftsstrafverfahren verzögerten eine Überprüfung der Anklage. Ende März hat jetzt die 9. Strafkammer das Hauptverfahren eröffnet. Gerade noch rechtzeitig: Im April wären die ersten angeklagten Straftaten aus dem Jahr 2004 verjährt gewesen.
2006 und erneut 2008 hatten Fahnder einer Sonderkommission „Labor“ des bayerischen Landeskriminalamtes die ehemalige Schuhfabrik im Augsburger Stadtteil Oberhausen durchsucht. Ebenso Arztpraxen in acht Bundesländern.
Die Augsburger Staatsanwaltschaft beschuldigt das Unternehmerehepaar, zum Schein über andere Ärzte eigene Leistungen abgerechnet und so gegen die seit 1999 geltende Vergütungsordnung verstoßen zu haben. Diese sieht Punkteabzüge und damit Abzüge beim ärztlichen Honorar vor, sobald ein Mediziner die für ihn festgelegte Ausgabengrenze überschreitet. Weil das Großlabor in Augsburg angesiedelt ist, darf es seine Rechnungen nur bei der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns einreichen. Deshalb hätten die Krankenkassen Schottdorf niemals, wie geschehen, 78 Millionen Euro an Honoraren ausbezahlt, sondern nur 66 Millionen. Eben wegen der gesetzlichen Kostenbremse.
Vorwurf gegen Schottdorf
Doch Schottdorf soll sie mithilfe nicht bayerischer Laborärzte umgangen haben. Das Sozialrecht schreibt allen Medizinern vor, Rechnungen für selbstständig erbrachte Leistungen in ihrem Bundesland mit der für sie zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung abzurechnen. Nicht jeder Arzt schöpft das ihm zustehende Ausgabenlimit aus. Eine Lücke, die der angeklagte Unternehmer augenscheinlich für sich zu nutzen wusste.
Laut Staatsanwaltschaft gewann er einzelne Kollegen, die seine Kosten unter ihrem Namen abrechneten. Von den ausgezahlten Geldern hätten beide profitiert. Wer mitmachte, bekam von Schottdorf regelmäßig Zahlungen. Wie ein Angestellter. Fahndern des LKA fielen Verträge und Kontoauszüge in die Hände, die dies zu belegen scheinen. Wegen Betrugs sind bundesweit zwischenzeitlich weitere zehn Laborärzte angeklagt.
Der Unternehmer muss nicht das erste Mal auf der Anklagebank Platz nehmen. Schon 1999 stand er im Verdacht, zum Schein Laborärzte zu beschäftigen, um mehr Leistungen abrechnen zu können. Er saß vorübergehend in Untersuchungshaft. Doch der „größte Skandal der deutschen Medizingeschichte“, von dem die Staatsanwaltschaft sprach, endete für die Ankläger mit einer Pleite. Schottdorf wurde freigesprochen. Das Gericht sah in Bayerns Kassenärztlicher Vereinigung die eigentlich Schuldigen. Die Standesorganisation sei jahrelang untätig geblieben.
Zum Prozess gegen das Ehepaar sind 27 Zeugen und zwei Gutachter geladen. Das Verfahren wird nicht vor 2015 beginnen können.
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