
NS-Zeit: Augsburger Autor Martin Kluger hält die Geschichte am Leben

Plus Der Augsburger Autor Martin Kluger erfuhr durch Zufall von einem Großcousin, der im KZ Dachau ums Leben gekommen war. Was hinter dem tragischen Tod von Pater Heribert Kluger steckt.

Zwischendurch tauchte sie immer wieder auf, diese eine Frage: Welche Haltung hatten die eigenen Vorfahren gegenüber der NS-Diktatur? Waren sie Mitläufer, Akteure, Gegner? Eine Antwort hat Martin Kluger lange nicht bekommen: "In unserer Familie wurde über dieses Thema nie gesprochen", sagt der Augsburger Autor und Verleger. Es musste erst eine Verwandte aus Kanada zu Besuch kommen, um Licht in seine Familiengeschichte zu bringen. So erfuhr Kluger 2013 von seinem Großcousin Heribert Kluger. Mitte Januar 1945 war der Deutschordenspriester im Konzentrationslager Dachau ermordet worden - nur wenige Monate, bevor der Krieg zu Ende ging.
Es muss die Angst vor dem NS-Regime gewesen sein, die Martin Klugers Großvater schweigen ließ. "Bei denen, die die Zeit des Nationalsozialismus bewusst erlebt hatten, wurden die damit verbundenen Themen gegenüber den Kindern, aber auch gegenüber der lang nach 1945 geborenen Generation der Enkel ausgeblendet", sagt Kluger. Er erinnert sich an Familienfeiern, bei denen in Bezug auf den Krieg eher anderes dominierte. "Mein Vater und zwei seiner drei Brüder hatten die letzten Kriegsjahre und die Monate der Vertreibung aus dem Sudetenland eher als großes Abenteuer erlebt", weiß Kluger. Sie erzählten, wie sie den Familienschmuck unter einem Kohlehaufen im Keller versteckten, als russische Einheiten anrückten. Sie berichteten, wie kriegsgefangene Briten ihnen Englisch beibrachten. Sie erinnerten sich an ein Leben auf engstem Raum, geprägt von Hunger, Armut und Heimweh. Über den Gräueln der NS-Zeit jedoch lag ein Mantel des Schweigens.
Augsburger Autor auf der Suche nach seinen Wurzeln
Inzwischen hat Martin Kluger viel über seinen Großcousin Heribert - diesen Namen hatte der auf Eduard getaufte Mann beim Eintritt in den Deutschen Orden angenommen - in Erfahrung gebracht. Das Forschen in historischen Dokumenten und akribisches Quellenstudium interessieren Martin Kluger, Autor zahlreicher Bücher, schon von Berufs wegen. Bei der Suche nach den eigenen Wurzeln kam ihm dies nun zugute. Kluger weiß heute, dass sein Vorfahr unter anderem wegen guter Kontakte zu einem jüdischen Fabrikanten angezeigt worden war. Einen Schritt zu weit ging der Pater, als er von der Kanzel herab die Untaten des NS-Regimes anprangerte. Die Konsequenzen ließen nicht lange auf sich warten: Im September 1944 wurde Heribert Kluger von der Gestapo wegen staatsfeindlicher Predigten und angeblichen Abhörens feindlicher Sender verhaftet und nach Troppau (Opava in Tschechien) eingeliefert. Dort musste er beim Straßenbau arbeiten, wurde dann aber ins Konzentrationslager Dachau überführt, wo er 1945 starb.

Kluger fand diese Informationen in der familieneigenen Chronik. Denn auch wenn die mündliche Überlieferung zu wünschen übrig ließ, so hatten die Klugers vieles doch schriftlich dokumentiert. "Als ich meinen Vater vor einigen Jahren auf Pater Heribert Kluger ansprach, hat er auch sofort gewusst, wovon ich rede", so Kluger. Nur sei eben niemand auf die Idee gekommen, dass dieses Kapitel interessant sein könnte für die nachfolgenden Generationen.
Pater Heribert Kluger: Geschlagen, gepeinigt, gedemütigt
Martin Kluger hat bei seiner Recherche auch offizielle Quellen gefunden, die das Schicksal seines Verwandten bestätigen. Pater Heribert Kluger, der nur etwas älter als 60 Jahre wurde, zählte zu den Märtyrern der römisch-katholischen Kirche im 20. Jahrhundert. Den Augsburger Autor Martin Kluger beschäftigt vor allem, wie unterschiedlich sich die Angst vor den Nationalsozialisten auf einzelne Familienmitglieder auswirkte. "Diesen Deutschordenspriester hat die Angst, die er im Konzentrationslager Dachau zweifellos gespürt haben muss, weder vorsichtig noch dumm gemacht, und schon gar nicht feige. Denn wenn es stimmt, was – wie sich später ein Angehöriger erinnerte – ein überlebender KZ-Mithäftling berichtet haben soll, hätte das Ende von Pater Heribert Kluger zu seinem Widerstand gegen das entmenschte Regime gepasst", sagt Kluger. So sei der 64-jährige Geistliche im KZ Dachau so verprügelt worden, dass sein Blut den Boden verschmierte. "Als man ihn zwingen wollte, das eigene Blut aufzulecken, hat er sich dieser Demütigung verweigert. Daraufhin sei er von KZ-Aufsehern totgeschlagen worden."

Kluger stockt der Atem, als er die Geschichte erzählt. Seine Nachforschungen offenbarten ihm so viel Unmenschliches, dass das Interesse an der eigenen Geschichte längst in den Hintergrund getreten ist. "Meine Recherchen fußen nicht nur auf dem Wissen wollen oder gar auf dem Wunsch nach ,Reinwaschung´ der Familie. Mir geht es vor allem darum, dass die Opfer der NS-Zeit und die Umstände, unter denen das alles damals in einem Kulturland wie Deutschland passieren konnte, nie in Vergessenheit geraten." Gerade der 27. Januar, internationaler Gedenktag für die Opfer des Holocaust, sei eine geeignete Gelegenheit.
Wenn Corona es wieder einfacher macht, möchte Martin Kluger seine Recherchen fortsetzen. Unter anderem plant er eine Fahrt nach Dachau, um dort weiter auf den Spuren von Pater Heribert Kluger zu wandeln. Des Mannes, über den in seiner eigenen Familie viel zu lange geschwiegen worden war.
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