
Siebenbrunn: Von einem Augsburger Stadtteil, der langsam schwindet

Plus Seit 110 Jahren gehört Siebenbrunn zur Stadt Augsburg. Große Bedeutung hat es für die Trinkwasserversorgung – daher wohnen immer weniger Menschen hier. Dennoch ist einiges los.
Es gibt Dörfer, die verschwinden. Das war schon immer so. Mal gibt es keine Arbeit mehr, mal verschlingt die Natur das, was der Mensch ihr einst abgetrotzt hat. Im einstigen Unterdorf in Siebenbrunn kam in den 1970er-Jahren vieles zusammen: Die Textilfabrik vor Ort war schon lange zu, die hygienischen Zustände in den Arbeiterwohnungen waren zunehmend unerträglich. Die Stadt beschloss, die Gebäude abzureißen. Für den Trinkwasserschutz – seit Jahrhunderten hat Siebenbrunn für das Augsburger Trinkwasser eine überragende Bedeutung. Heute zeugt eine Infotafel im Wald von dieser Geschichte. Ein Schaukelgestell steht dort, wo das Unterdorf einst war.
Für die verbleibenden Bewohner wurden zwei mehrstöckige Wohnblöcke errichtet, vom Balkon aus blicken sie auf etwas Rasenfläche. Ungewöhnlich, für diesen bevölkerungsärmsten Stadtteil.
Einst lebten über 600 Menschen in Siebenbrunn
Siebenbrunn hat nur 95 Einwohner laut städtischem Demografiemonitoring 2019. 1980 lebten 274 Menschen hier, 2000 waren es noch 103. Sie leben im nach der Fläche zweitgrößten Stadtteil hinter Bergheim. Es gab andere Zeiten. Paul Ciemala ist im Unterdorf aufgewachsen, ging von 1950 bis 58 in die Siebenbrunner Schule. Das Gebäude von 1912 wird von einem Zwiebelturm aus Kupferblech gekrönt, die grüne Patina verrät die Jahre.
Es ist heute Teil eines Dreiklangs: Schützenverein, Gastwirtschaft und einstige Schule bilden den Kern des heutigen Siebenbrunns. Ciemala erzählt, als das damalige Schulgebäude errichtet wurde, habe Siebenbrunn noch an die 650 Einwohner gehabt. 1912 mussten sich wohl viele der Einwohner noch an den Namen ihres Stadtteils gewöhnen – erst zwei Jahre zuvor war das damals noch eigenständige „Meringerau“ zu Augsburg gekommen. Heute ist Siebenbrunn seit 110 Jahren ein Teil der Stadt.

Ciemala ist im damaligen Unterdorf aufgewachsen, nach dem Abriss der Gebäude zog er nach Haunstetten. Doch bis heute ist er eng mit Siebenbrunn verbunden: Das Gedicht auf der Infotafel zum Schicksal des Ortes stammt von ihm. „Den Ort uns’rer Jugend gibt’s nicht mehr, das Herz wird mir ein bisschen schwer“ lauten zwei der Zeilen. Zwischen gelb, violett und rot blühenden Wiesen, zwischen Apfelbäumen und Sträuchern vollbehangen mit Beeren, zwischen Pappeln und Eichen ducken sich kaum mehr als 30 Häuser: Die meisten sind ältere Einfamilienhäuser, so etwa das sogenannte Hugenottenhaus.
In Siebenbrunn wohnen einst prominente Augsburger
Es hat ein Mansardendach nach französischer Art – fast uneinsehbar dicht umwoben mit einem üppig-grünen Ring aus Sträuchern und Bäumen. Dem Dach hat es seinen Namen zu verdanken. Andere Häuser haben moderne An- oder Ausbauten. Und es gibt ein schlossähnliches Herrenhaus, umgeben von Hecken und hohen Mauern. Das unterhält Ulrich Kubak, Gründer von Klassik-Radio. Ein weiteres Anwesen im Süden Siebenbrunns gehört Bauunternehmer Ignaz Walter.

Ein Idyll – weniger als sechs Kilometer mit dem Rad von der City-Galerie entfernt. All die Gärten, so groß, so grün: Hier wachsen Obstbäume und -sträucher, viele sind sehr gepflegt. Streift man herum, trifft man an manchem Grundstück auf Menschen, die im Garten werkeln oder den Sommer genießen. Die Gartenzäune sind oft niedrig, laden zu einem Plausch ein.
Etwa mit Stefan Schormüller. Er trimmt gerade die Kanten seines Rasens an der Terrasse – die Zeit, um über Siebenbrunn zu erzählen, nimmt er sich. Schormüller wohnt im Haus seiner Großeltern: an drei Seiten von Garten umgeben, rechterhand ein Nachbar, linkerhand eine blühende Wiese. „Ich bin hier als Kind aufgewachsen“, erzählt er. Später sei er mit den Eltern weggezogen, seit 1991 wohne er aber wieder hier.
„Für mich ist es ein Traum, hier zu leben.“ Schormüller lehnt sich in seinem Stuhl auf der überdachten Terrasse zurück, hinter ihm ranken sich Pflanzen an einem Gestell empor. Er blickt ein wenig nach oben und sagt dann, „Siebenbrunn hat sich total verändert“. Heute fährt kein Bus mehr hierher, höchstens ein Anrufsammeltaxi. Als er jung gewesen sei, habe es viele Kinder hier gegeben. Zusammen habe man im Wald gespielt oder auf den Höfen der Landwirte. Die gibt es heute nicht mehr. Die Bewohner von Siebenbrunn haben das höchste Durchschnittsalter im Vergleich mit anderen Stadtteilen.
In der Corona-Krise strömen die Menschen nach Siebenbrunn
Er glaube, er sei der Einzige in seiner Häuserreihe, der noch in die Arbeit gehe, erzählt Schormüller und lacht dabei in sich hinein. Allerdings sei es in den vergangenen Monaten deutlich lebhafter geworden in der Gegend.

„Mit Beginn der Corona-Pandemie sind hier plötzlich massenweise Fahrradfahrer aufgetaucht – ich habe noch nie so viele Menschen in Siebenbrunn gesehen.“ Weil er ein offener Mensch sei, spreche er schon einmal gerne mit den Erholungssuchenden über seinen Gartenzaun hinweg.
Die Gegend um Siebenbrunn ist ein Ausflugsziel
Schon lange ist die Gegend ein Ausflugsziel: Ganz in der Nähe sind der Siebentischwald und die Lechauen, im Biergarten wachsen schattenspendende Laubbäume. Das Jägerhaus wird von der Österreicherin Daniela Häcker betrieben. Seit 1904 gibt es hier eine Gaststätte unter diesem Namen. Die Liebe habe sie nach Siebenbrunn verschlagen, sagt Häcker. Von März bis Ende Oktober bewirtet sie Gäste – wegen Corona aktuell nur im Außenbereich.
„Wir sind hier in einem traumhaften Fleckerl Natur, und das gefällt den Leuten.“ Während man sich am Eingangsbereich unterhält, kommen immer wieder Hungrige und Durstige. Es ist später Nachmittag, der Biergarten füllt sich. Gegenüber lehnen Räder an Apfelbäumen, Menschen machen Fotos von dem in der Sonne leuchtenden Seminargebäude, welches einst eine Schule war.

Bis heute kommt es immer wieder zum Abriss leer stehender Häuser, laut Ortskundigen versuche die Stadt auch immer wieder, Grundstücke aufzukaufen. Sie will die kostbaren Grundwasservorräte in dieser Gegend schützen. Noch einmal Zeilen aus dem Gedicht Ciemalas: „Nur Wald, wo einst das Dorf gestanden, fast über Nacht die alten Häuser verschwanden. Doch für Stillstand hat der Fortschritt keine Zeit, er schreitet weiter, traurig was manchmal übrig bleibt.“
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Warum werden es immer weniger? Weil die Stadt entsprechende Politik macht und damit Grundwasserschutz betreibt?
Wäre doch interessant! Diese Info fehlt mir im Artikel.