
Der Patriarch tritt ab

Christian Gottfried Dierig hat das Auf und Ab der Textilindustrie erlebt. Heute verlässt er den Aufsichtsrat
Der Patriarch tritt ab: Nach 36 Jahren im Vorstand und 14 im Aufsichtsrat räumt Christian Gottfried Dierig heute bei der Hauptversammlung seinen Platz in den vorderen Reihen des Familienunternehmens. Er übergibt an Stadtsparkassen-Vorstand Rolf Settelmeier. Es wird ein stiller Abgang sein, einer, über den Dierig selbst nicht viele Worte verliert. Anders also, als Weggefährten das von ihm kennen.
Der „laute“ Führungsstil des Chefs ist vielen lebhaft in Erinnerung. Was er zu sagen hatte, sagte er deutlich. „Mein Vater hätte die Demokratie nicht erfunden“, bestätigt sein Sohn Christian Dierig, der die Firmenleitung 1997 übernahm. Bequem sei sein Vater nie gewesen. „Doch viele verziehen ihm seine Art aufgrund seines Lebenslaufs.“
Die Vergangenheit hat Christian Gottfried Dierig, der im Oktober 90 wird, geprägt. Er kam als drittes von vier Kindern in Schlesien zur Welt, war bis zu seinem zehnten Geburtstag kränkelnd. „Doch als er von einem Kuraufenthalt zurückkehrte, rauchte er und spielte Golf“, erinnert sich sein Sohn an die Erzählungen des „Herrn Papa“. Das Golfen hat dieser als Leidenschaft behalten: In den 1960ern war er Mitbegründer des Golfclubs in Burgwalden.
Dierigs Jugend war geprägt von Disziplin und Pflicht: Nachdem er drei Jahre in der Kadettenanstalt Templin verbracht hatte („kein Zuckerschlecken“), wurde er mit 17 eingezogen und ging zur Wehrmacht, obwohl er es nicht hätte tun müssen, da bereits zwei seiner Brüder gefallen waren. „Mein Vater aber sah es als Pflicht gegenüber der Heimat. Dieses Pflichtbewusstsein hat ihn stets begleitet.“
Einen Bruch im Leben Christian Gottfried Dierigs markierte das Ende des Zweiten Weltkriegs. Als der 22-Jährige 1945 aus russischer Kriegsgefangenschaft zurückkehrte, hatte er Heimat und Familie verloren: „Die Textilfabrik in Langenbielau war enteignet, Eltern, Onkel und dessen Frau – nicht bereit, das Geschaffene aufzugeben – waren aus dem Leben geschieden.“
Einen Teil der Bestände hatten sie in den Westen retten können. Aus diesen Resten des einst größten Textilunternehmens auf dem Kontinent baute Dierig mit Vertrauten in Augsburg ein neues Unternehmen auf. Und „bauen“, sagt sein Sohn, dürfe man wörtlich nehmen: „Mein Vater hat Hunderttausende Quadratmeter Fabriken in Deutschland gebaut. Das war seine Leidenschaft.“ Noch immer habe er stets einen Rechenschieber bei sich.
Die besten und die schlechtesten Jahre
Dierig, der das Unternehmen in fünfter Generation leitete, hat die besten und die schlechtesten Jahre der Textilindustrie miterlebt: In den 50ern und 60ern wurde das Geschäft erweitert – und damit auch die Fabrik; in dieser Zeit wurde unter anderem die Bettwäsche „Fleuresse“ kreiert, Dierig wurde wieder zum größten Textilunternehmen in Deutschland. Der erste Knick kam mit der Energiekrise 1972, die Wende 1989 führte dazu, dass die Produktion verkleinert werden musste. „Die Jahre bis 1997 waren sicherlich die schwierigsten im Berufsleben meines Vaters“, sagt Christian Dierig rückblickend. „Er hat das sehr persönlich genommen.“
Heute hat sich die Holding konsolidiert. Sie konzentriert sich nicht allein auf die Textilbranche, sondern hat sich ein zweites Standbein im Immobiliensektor aufgebaut. Dass sich Christian Gottfried Dierig dennoch zurückzieht, ist dem Alter geschuldet. Den Kontakt zum Unternehmen bricht er natürlich nicht ab: Er wird Ehrenvorsitzender. Sein Büro in Pfersee wird er ebenfalls behalten. „Die Firma ist eben der wichtigste Teil seines Lebens.“
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