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Weihnachten: "Ein Glückscocktail": Wie Singen gegen Krankheiten hilft

Weihnachten

"Ein Glückscocktail": Wie Singen gegen Krankheiten hilft

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    Karl Höldrich (erste Reihe, zweiter von links) leitet die Sing- und Musikschule Augsburg und öffnet das Haus regelmäßig für Menschen, die einfach gerne in Gemeinschaft singen. Unser Bild entstand beim „Fröhlichen Weihnachtssingen“, das vom Tischharfenorchester Augsburg unter der Leitung von Angelika Jekic (ganz rechts) begleitet wurde. 
    Karl Höldrich (erste Reihe, zweiter von links) leitet die Sing- und Musikschule Augsburg und öffnet das Haus regelmäßig für Menschen, die einfach gerne in Gemeinschaft singen. Unser Bild entstand beim „Fröhlichen Weihnachtssingen“, das vom Tischharfenorchester Augsburg unter der Leitung von Angelika Jekic (ganz rechts) begleitet wurde.  Foto: Annette Zoepf

    Probieren Sie es aus! Legen sie Ihre Lippen aufeinander und kommen Sie in ein Summen. Legen Sie nun Ihre Hand auf den Hals- oder Brustbereich. Spüren Sie es? „Diese Vibrationen erzeugen Schwingungen, die durch den ganzen Körper fließen“, sagt Vera Kimmig. „Der Körper wird ausbalanciert. Die Vibration aktiviert die Selbstheilungskräfte. Singen hilft heilen, Singen ist für jeden Menschen ein Glückscocktail“, bringt es die ausgebildete Sängerin und Musikpädagogin auf den Punkt. Gerade an Weihnachten, wo doch viele in „Stille Nacht“ & Co. begeistert einstimmen, eine gute Botschaft.

    Doch Singen kann noch mehr. Kimmig ist im Vorstand des Vereins „Singende Krankenhäuser“. Der Verein setzt sich für die Verbreitung von heilsamen und gesundheitsfördernden Singangeboten an Krankenhäusern und anderen Gesundheitseinrichtungen ein. Denn: „Es gibt wissenschaftliche Belege dafür, wie positiv der Körper gerade auf das gemeinsame Singen reagiert“, betont Kimmig. Wichtig ist, dass es kein leistungsbezogenes Singen sei. „Jeder kann und darf mitsingen. Falsche Töne gibt es nicht.“ Kimmig verwendet auch bestimmte Lieder, wenn sie beispielsweise mit psychisch kranken Menschen singt, mit Menschen, die etwa an Depressionen oder Ängsten leiden. Die Lieder hätten kurze Texte und eine positive Botschaft.

    "Singen macht weich. Singen löst"

    Singen und sich dazu bewegen kann auch viele kranken Menschen in ihrem Heilungsprozess unterstützen.
    Singen und sich dazu bewegen kann auch viele kranken Menschen in ihrem Heilungsprozess unterstützen. Foto: Daniel Karmann, dpa

    Generell habe sich wissenschaftlich nachweisen lassen, dass nach nur 20 Minuten Singen die Immunglobuline A, die unsere Abwehrkräfte stärken, im Speichel deutlich angestiegen sind. Auch werde schon nach kurzem Singen das „Kuschelhormon“ Oxytocin gebildet, das Heilungsprozesse beschleunigen kann. Im besten Fall entstehe ein richtiger „Flow“, „es singt durch mich, ein wunderbarer Zustand“, schwärmt Kimmig und sagt: „Dadurch wird auch der Herzrhythmus harmonisiert, wovon gerade Menschen profitieren, die ein erhöhtes Schlaganfall- oder Herzinfarktrisiko haben.“ Und es habe sich gezeigt, dass Parkinson-Patienten, die regelmäßig singen und sich dazu bewegen, unter ärztlicher Aufsicht ihre Medikamente reduzieren konnten.

    Ursula Späth ist seit über 20 Jahren Heilpraktikerin für Psychotherapie in Friedberg. Sie hat eine eigene Singgruppe in der Selbsthilfegruppe für Krebspatienten im Landkreis Aichach-Friedberg gegründet. Dort macht sie immer wieder die Erfahrung, was Singen an Gefühlen auslösen kann. Oft sei es ja so, dass Krebspatienten nach der Diagnose erst einmal versuchen, wie gewohnt weiterzumachen. Sie müssen in vielen Fällen eine Chemo- oder Strahlentherapie überstehen. Ihre Gefühle bleiben aber nach Einschätzung von Ursula Späth oft auf der Strecke. Und so sei es nur gut, dass gerade beim erstmaligen Singen in ihrer Gruppe auch Tränen fließen. „Singen macht weich. Singen löst“, erklärt sie. Singen heile keine Krankheit, aber unterstütze Menschen im Heilungsprozess. „Vor allem hilft Singen dabei, die Stimmung relativ schnell zu heben.“

    Eine enorme Wirkung hat Singen auf Demenzpatienten. Das hat Dr. Wolfgang Tressel immer wieder erlebt. Er ist der frühere Chefarzt der geriatrischen Rehaklinik der Hessing-Stiftung, Dozent der Universität Augsburg am Lehrstuhl für Musiktherapie und Gründer des Augsburger Ärzteorchesters. Auch Menschen mit einer schweren Demenz stimmen oft beim Hören der Liedmelodie mit ein und beherrschen alle Strophen. „Die Texte sind mit der Musik abgespeichert“, erklärt Tressel. „Und Musik ist ein emotionales Erlebnis“ – vor allem das aktive Musizieren, wenn man singt oder ein Instrument spielt. Musik sei auch oft der Einstieg, um Menschen überhaupt wieder zu öffnen für eine Kommunikation. Tressel hat Patienten erlebt, die nach einem schweren Schlaganfall mit einer Sprachstörung nur noch wenige Silben hervorbringen konnten, „aber sie konnten ganze Lieder singen“. Und das motiviere Patienten enorm.

    "Das gemeinschaftliche Singen geht zu Herzen"

    Das gemeinschaftliche Singen geht zu Herzen, sagt Karl Höldrich, der Leiter der Sing- und Musikschule Augsburg. Jetzt an Weihnachten ist eine gute Gelegenheit, auch zu Hause zusammen Musik zu machen.
    Das gemeinschaftliche Singen geht zu Herzen, sagt Karl Höldrich, der Leiter der Sing- und Musikschule Augsburg. Jetzt an Weihnachten ist eine gute Gelegenheit, auch zu Hause zusammen Musik zu machen. Foto: Jürgen Sasse, dpa

    Karl Höldrich weiß um diese heilsame Wirkung. Dem Leiter der Augsburger Sing- und Musikschule ist es daher wichtig, seine Einrichtung auch für Menschen mit Demenz zu öffnen. Der Chor „Grenzenlos“, der sich regelmäßig in der Schule trifft, ist ein Angebot für sangesfreudige Senioren, bei dem auch Menschen mit Demenz ausdrücklich willkommen sind.

    Doch Höldrich wäre nicht Musikpädagoge, wenn er nicht um die extrem positive Wirkung des Singens in jeder Altersgruppe und nicht nur für kranke Menschen zu berichten wüsste. Gerade das Singen in Gemeinschaft sei es, das Menschen verbindet. „Das gemeinschaftliche Singen geht zu Herzen“, sagt der 54-Jährige, „das ist in uns drin.“ Wer dafür einen Beweis braucht, bekommt ihn an diesem Vormittag. Zum „Fröhlichen Weihnachtssingen“ hat die Schule Senioren eingeladen. Jeder, der will, kann kommen. Maria Fleckenstein ist dabei. Die 83-Jährige verfügt nicht nur über eine schöne Stimme. Sie ist auch textsicher. Regelmäßig geht sie zum Singen in den Kirchenchor. Und jedes Mal nach der Chorprobe gehe es ihr besser als vorher, erzählt sie. Begleitet werden die Sängerinnen und Sänger an diesem Vormittag vom Tischharfenorchester unter der Leitung von Angelika Jekic. Petronella Übele hat früher auch mitgespielt. Heute ist sie zum Singen gekommen. „Denn Singen befreit“, sagt die 79-Jährige. „Singen lässt uns auch vergessen.“ Sorgen etwa. Oder Ärger. Hella Hörster nickt. Die rüstige 94-Jährige hat ein Quartett in ihrer Wohnanlage gegründet und sagt: „Musik ist Medizin“ – und hält, wenn man sie so sieht, auch fit. Wenn das nicht alles gute Gründe für Menschen jeden Alters sind, jetzt an Weihnachten viel zu singen.

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