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Gesundheit: Wenn der Schmerz das Leben bestimmt

Gesundheit

Wenn der Schmerz das Leben bestimmt

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    Viele Patienten leiden unter chronischen Rückenschmerzen.
    Viele Patienten leiden unter chronischen Rückenschmerzen. Foto: Arno Burgi, dpa (Symbolbild)

    Herr Dr. Hoffmann, Sie sind Chefarzt der Anästhesie, Intensiv- und Schmerzmedizin an der Wertachklinik Schwabmünchen. Wie muss sich ein Schmerz zeigen oder wie lange muss er anhalten, dass man von einem chronischen Schmerz sprechen kann?

    Dr. Gordon Hoffmann: Das ist weniger davon abhängig, wie lange ein Schmerz schon besteht. Manchmal ist zwar von mindestens drei oder mindestens sechs Monaten die Rede. Viel entscheidender aber sind die Mechanismen, die den Schmerz aufrechterhalten und ihn zu einem Problem für das Leben des betroffenen Patienten werden lassen.

    Wie kann der Patient entscheiden, ob er einen chronischen Schmerz hat?

    Hoffmann: Naheliegend wird es, wenn ich als Patient merke, dass die gängigen Therapien mir nicht helfen. Wenn ich beispielsweise immer wieder den Orthopäden wechsle. Oft haben Patienten von chronischen Schmerzen eine regelrechte Odyssee durch mehrere Arztpraxen hinter sich, erhalten von den verschiedenen Ärzten immer wieder verschiedene Diagnosen, geraten sozusagen an die Grenzen der Schulmedizin und fühlen sich unverstanden, werden zunehmend unzufrieden. Und allein dieser Zustand kann dazu führen, dass die Schmerzen noch unerträglicher werden. Man spricht von einem Chronifizierungsfaktor. Wer in diesem Zustand ist, sollte ernsthaft in Erwägung ziehen, sich spezielle Hilfe zu holen. Natürlich wäre es auch gut – und das ist auch zunehmend der Fall – , dass die verschiedenen behandelnden Ärzte auf die Idee kommen und den Patienten an einen Schmerztherapeuten überweisen.

    Viele Patienten mit chronischen Schmerzen wandern von einem Arzt zum anderen. Oft erhalten sie sogar ganz verschiedene Diagnosen. Ein Schmerztherapeut kann vielleicht helfen.
    Viele Patienten mit chronischen Schmerzen wandern von einem Arzt zum anderen. Oft erhalten sie sogar ganz verschiedene Diagnosen. Ein Schmerztherapeut kann vielleicht helfen. Foto: Daniel Karmann, dpa

    Ist dennoch der Hausarzt für Patienten der richtige Ansprechpartner?

    Hoffmann: Ja, in jedem Fall. Denn ganz wichtig ist es: Bevor ich mit einer nur symptomatischen Schmerztherapie beginne, müssen alle behandelbaren Ursachen für die Schmerzen ausgeschlossen worden sein. Erst wenn dies der Fall ist, führt der Weg zu einem Spezialisten, der das Problem ganzheitlicher angeht.

    In welchem Körperbereich treten chronische Schmerzen am häufigsten auf?

    Hoffmann: Das sind mit großem Abstand Rückenschmerzen.

    Heißt das, viele Betroffene könnten mit ausreichend Bewegung selbst etwas gegen ihre Schmerzen tun?

    Hoffmann: Es ist zwar fraglos so, dass Bewegung ein ganz wichtiger Faktor bei der Prävention, aber auch bei der Behandlung von Rückenschmerzen ist. Bewegung ist aber nur einer von mehreren Bausteinen bei chronischen Schmerzen. Sehen Sie, es gibt unzählige Menschen, die bewegen sich viel zu wenig, machen nie Sport und haben trotzdem keine Rückenbeschwerden.

    Das Schmerzempfinden ist ja auch unterschiedlich und ganz individuell.

    Hoffmann: Schmerz ist in der Tat etwas Relatives. Es ist beispielsweise auch kaum möglich, einen standardisierten Schmerzreiz für Studienzwecke zu erarbeiten, der sich für alle Probanden gleich anfühlt. Also müssen Ärzte und Patienten verstehen, dass Schmerz viel mehr ist als nur die elektrische Erregung eines Nervs, die weitergeleitet wird.

    Der Schmerz wird durch unser Gehirn ganz entscheidend moduliert. Und da werden dann Faktoren wichtig wie: Ist der Schmerzauslöser mit Angst verbunden? Was bedeutet der Schmerz für meine aktuelle Lebenssituation? Oder denken Sie nur als Beispiel an die Patienten, die nach einem Unfall schwer verletzt sind und eigentlich unerträgliche Schmerzen fühlen müssten. Umgangssprachlich spricht man oft von einem Schockzustand. Aber tatsächlich ist das ja eine Leistung unseres Gehirns. Es kann Schmerzen erheblich verstärken, aber eben auch abmildern oder völlig ausblenden. Schade ist, dass wir diese Gehirnleistung nicht auf Knopfdruck aktivieren können.

    Die Fibromyalgie, die ja oft mit starken Muskelschmerzen einhergeht, ist sicher auch ein Krankheitsbild, mit dem Patienten zu Ihnen als Experte kommen, oder?

    Hoffmann: Ja, das ist tatsächlich ein Krankheitsbild, das man als Schmerztherapeut sehr häufig sieht.

    Findet man überhaupt als Schmerzspezialist eine Ursache?

    Hoffmann: Eine einzelne Ursache eher nicht, denn das ist ja meist der Kern von chronischen Schmerzen, dass eine einzige greifbare Ursache nicht vorhanden ist, sondern eine Vielzahl von unterschiedlichen Faktoren eine Rolle spielen. Das gilt auch für die von Ihnen angesprochene Fibromyalgie.

    Dr. Gordon Hoffmann ist Spezialist für chronische Schmerzen an der Wertachklinik Schwabmünchen. Am 26. September hält er in Königsbrunn einen Vortrag über Therapieformen.
    Dr. Gordon Hoffmann ist Spezialist für chronische Schmerzen an der Wertachklinik Schwabmünchen. Am 26. September hält er in Königsbrunn einen Vortrag über Therapieformen. Foto: Doris Wiedemann

    Haben chronische Schmerzen zugenommen?

    Hoffmann: Ja, die chronische Schmerzkrankheit ist eine Zivilisationskrankheit und es ist auch sicher so, dass die Zahl der betroffenen Patienten steigt.

    Wie sieht die Therapie aus?

    Hoffmann: Das Schlagwort ist die multimodale Schmerztherapie. Das ist nach allen wissenschaftlichen Erkenntnissen die schärfste Waffe in der Schmerzmedizin.

    Was heißt das genau?

    Hoffmann: Das heißt, dass verschiedene Fachdisziplinen zusammenarbeiten und mehrere unterschiedliche Therapieansätze zur Anwendung kommen. Die einzelnen Bestandteile einer multimodalen Therapie sind aber im Detail nicht festgelegt. Was allerdings essenziell ist und von den Kostenträgern auch gefordert wird, ist eine psychologische oder sogar psychotherapeutische Mitbetreuung der Patienten. Dies wiederum führt oft zu dem Missverständnis, dass psychische Probleme die Ursache für die chronischen Schmerzen seien, was wiederum nicht selten zu einer Stigmatisierung der Patienten führt.

    Es kommt vermutlich zu psychischen Problemen aufgrund der Schmerzen.

    Hoffmann: Das ist auch möglich. Aber viel wichtiger ist dieser Therapiebestandteil, weil unsere Psyche einen entscheidenden Beitrag zur Bewältigung der Schmerzen leisten kann. Aber – und das ist wirklich wichtig – psychische Probleme sind in aller Regel nicht die Ursache für die Schmerzen.

    Wenn die Zusammenarbeit verschiedener Fachärzte notwendig ist, heißt das aber auch, dass eine Behandlung nur stationär möglich ist, oder?

    Hoffmann: Möglich wäre eine ambulante Behandlung wahrscheinlich schon. Allerdings gibt es in unserem Gesundheitssystem gar keinen Rahmen, der diese Behandlung ambulant kostendeckend ermöglicht. Dies führt dazu, dass die multimodalen Therapien vollstationär oder teilstationär sind. Letzteres heißt, dass ich tagsüber in der Klinik bin und über Nacht nach Hause gehen kann.

    Wie lange dauert eine Therapie?

    Hoffmann: Das ist unterschiedlich, an den Wertachkliniken dauert der stationäre Aufenthalt in der Regel etwa 17 Tage.

    Was erwartet die Patienten genau?

    Hoffmann: Der Schwerpunkt liegt auf sogenannten aktiven Therapieverfahren, die der Patient auch in Eigenregie anwenden kann. Dazu gehören beispielsweise spezielle Bewegungsübungen und das Erlernen von Entspannungstechniken. Aber auch Vermittlung von medizinischem Wissen und Ernährungsseminare sind wichtige Bausteine, die den Patienten Autonomie zurückgeben. Kunst- und Musiktherapie liefern häufig ebenfalls ganz wertvolle Therapieergebnisse, weil sie den Patienten helfen, ganz neue Perspektiven und auch Facetten ihrer eigenen Persönlichkeit zu entdecken.

    Denn – und auch das ist eine wichtige Botschaft – damit sich ein jahrelang bestehendes Schmerzbild ändern kann, muss sich auch etwas in dem betroffenen Menschen oder in seinem Leben ändern. Aber auch die medikamentöse Therapie ist ein Bestandteil einer multimodalen Schmerztherapie, allerdings wird sie in ihrer Bedeutung oft überschätzt. Viel wichtiger ist es, den Patienten aus seinem passiven Krankheitserleben herauszuholen und in eine aktive Lage zu versetzen, bei der er selbst Kompetenzen entwickelt und Werkzeuge hat, wie er mit dem Schmerz umgehen und ihn positiv beeinflussen kann.

    Vortrag: Am 26. September, 19.30 Uhr, spricht Dr. Gordon Hoffmann im Infopavillon am Mercateum in Königsbrunn bei Augsburg unter dem Titel „Chronischer Schmerz – Grenzen der Medizin und Wege aus der Krise“.

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