
Ende des Lockdowns? Augsburger Einzelhändler fordern Öffnung im März

Plus Augsburger Einzelhändler machen Druck und fordern die Öffnung ihrer Geschäfte zum 8. März. Viele sehen durch den coronabedingten Lockdown ihre Existenz akut gefährdet.

120.000 Euro Schulden. Das ist die Bilanz einer Augsburger Einzelhändlerin, die zwar offen über ihre aktuelle Lage reden will, aber nur anonym - aus Sorge, Details könnten ihr am Ende von Banken oder Gläubigern negativ ausgelegt werden. 120.000 Euro, die sich aus Krediten aus Vorkrisen-Zeiten - unter anderem für ein neues Ladenlokal - und privaten Darlehen aus Pandemiezeiten zusammensetzen und die, solange sie ihren Laden nicht öffnen kann, immer mehr werden.
"Ich habe so gut wie null Umsatz. Wovon soll ich also meine Verbindlichkeiten bezahlen?", fragt die Geschäftsfrau, die einen Modeladen in der Innenstadt betreibt, nüchtern. Derzeit könne sie nur zusehen, wie alles, was sie sich mühsam aufgebaut hat, kaputtgeht. "Ich kann nichts dagegen tun, bin völlig machtlos." Rücklagen und Geld, das eigentlich für die Altersvorsorge gedacht waren, seien bereits aufgebraucht. Dazu habe sie alles verkauft, was möglich gewesen sei, um Geld zu generieren. Die Kosten für die Krankenkasse übernehmen Freunde und Verwandte. Einen weiteren sogenannten Corona-Kredit wollte die Unternehmerin nicht aufnehmen. Denn auch dieser müsse schließlich abbezahlt werden, und zwar über mehrere Jahre. Aber ob es ihr Geschäft so lange noch geben wird, weiß die Geschäftsfrau nicht.
Trotz Corona-Krise: Ein Geschäft schließen ist nicht einfach
Sie denkt jetzt darüber nach, ihren Laden zu schließen, um ein schlimmeres finanzielles Desaster zu verhindern. "Irgendwann kommen Sie an den Punkt, wo Sie die Summe der Schulden sehen und sich sagen, das kann so nicht weitergehen, auch wenn dann Ihr Traum platzt", sagt sie. Doch das Ausstiegszenario hat einen Haken: Selbst wenn sie sofort einen neuen Job finden würde und aus dem Mietvertrag rauskäme, könnte sie von einem Angestelltengehalt niemals die hohen Kreditraten bezahlen, die vereinbart sind. Weil sie ihre Eigentumswohnung als Sicherheit bei der Bank angegeben hat, bangt sie auch um ihr Zuhause.
"Ich bin ehrlich gesagt noch etwas ratlos, wie ich das lösen soll", erzählt die Frau, die trotz ihrer prekären Lage nach außen hin erstaunlich gefasst wirkt. Neue Ware hat sie deshalb vorsorglich keine bestellt und stattdessen eine andere Idee im Blick: Ein Ausverkauf, sobald die Läden wieder öffnen dürfen. "Der Wert meiner Ware ist höher, als es meine Schulden sind. Im Idealfall könnte ich durch einen großen Abverkauf annähernd die Summe erwirtschaften, die ich bräuchte, um halbwegs heil aus der Sache rauszukommen", hofft sie.
Corona in Augsburg: Händler empfinden Krise als sehr belastend
Ein Beispiel, wie es mehrere in der Stadt gibt und zuletzt auch bei Veranstaltungen des Unternehmerkreises "Zukunft in Not" angeprangert worden sind. Aktuelle Zahlen des Handelsverbands zeigen, dass in Bayern 15 Prozent der Händler eine Geschäftsaufgabe im ersten Halbjahr und 35 Prozent im zweiten Halbjahr als unausweichlich ansehen, sollten keine Öffnungen oder andere Hilfen kommen. Die Zahlen seien so auch auf Schwaben übertragbar, sagt Bezirksgeschäftsführer Andreas Gärtner.

Auch Claudia Michl, Inhaberin des Modegeschäfts XL mit Pfiff in der Maximilianstraße, hat der Lockdown in finanzielle Schwierigkeiten gebracht. "Ich feiere in diesen Tagen ein Jubiläum. 360 Tage ohne einen Cent Verdienst für mich persönlich", erzählt sie mit einer Portion Galgenhumor. Rücklagen und das Ersparte für die Rente seien bereits aufgebraucht, und es hätten sich Schulden angehäuft. Jetzt muss die Ware für den Herbst bestellt werden - mit Geld, das die 50-Jährige eigentlich gar nicht hat. "Das ist eine Situation, die mich belastet, denn ich mache mir natürlich Gedanken, dass ich mit meinem Agieren auch meine Lieferanten in Schwierigkeiten bringen kann", erzählt sie.
Auch ihr kam der Gedanke, ihr Geschäft aufzugeben, aber eine Lösung aller Probleme ist das auch in diesem Fall nicht. "Ich hafte persönlich für alles. Damit steht nicht nur meine berufliche, sondern auch meine ganze private Zukunft auf dem Spiel", schildert die Frau ihre Situation. Den Laden zu schließen würde die Lage also kaum verbessern, die Schulden müssten ja dennoch abbezahlt werden. Sie hat sich daher vorerst entschieden, weiterzumachen und die Chance zu nutzen, das Geschäft nach Ende des Lockdowns wieder in Schwung zu bringen. "Zum Glück steht meine Familie hinter mir, und ich bin Berufsoptimist", sagt Michl. Und am Ende, so denke sie oft, sei es "nur" ein Geschäft.
Bei vielen sind nach wie vor keine Corona-Hilfen angekommen
Eine emotionale Stabilität, die derzeit nicht alle Händler vorweisen können. Für viele ist die finanzielle Last, die es in diesen Tagen zu tragen gilt, unerträglich. Zuletzt machte die Geschichte einer Friseurin die Runde, die sich wegen psychischer Probleme im Bezirkskankenhaus behandeln lassen musste. Eine Kollegin, selbst Kosmetikerin, kann die Belastung nachvollziehen. "Ich hatte während der Pandemie selbst Existenzängste und musste an private Rücklagen gehen. Ich habe nur zuschauen können, wie jeden Monat das Geld rausgeht, aber nichts hereinkommt", sagt Inge Höck. Zum Glück habe ihr Partner ihr zur Seite gestanden - und sie sei, trotz emotionaler Tiefs, nicht so leicht aus dem Tritt zu bringen. Weil auch Hilfszahlungen bei ihr angekommen sind, kann sie ab 1. März ihren Laden in der Frauentorstraße wieder öffnen. "Ich bin sehr, sehr froh, dass das möglich gemacht wurde, und auch, dass ich es geschafft habe, durch die Krise zu kommen. Eine Geschäftsaufgabe wäre für mich schlimm gewesen."
Umso belastender sei es für sie zu sehen, wie viele Kollegen trotz Öffnungsperspektive noch immer um ihre Existenz kämpfen. Bei vielen seien bislang keine Hilfen angekommen, sagt Inge Höck. Die Folgen seien noch gar nicht abzusehen. Das heißt: Auch wenn es für die Kosmetiker mit der Öffnung nun die Möglichkeit zum Neustart gebe, sei die Lage für viele weiterhin "sehr schlimm".
Wie trifft die Corona-Krise die Gastronomie? Hören Sie sich dazu unseren Podcast von Juni 2020 aus der Reihe "Augsburg, meine Stadt" an:
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Immer das gleiche. Kein Problem, wir können etliches öffnen. Wenn wir die Disziplin wahren würden. Aber so wie die Menschen alle schon überall dicht an dicht stehen, ist es einfach unsere eigene Schuld, dass nicht mehr möglich ist. Der R-Wert ist bedenklich, ebenso wie alle Modelle. Pauschale Öffnungsforderungen sind völlig unwissenschaftlich und unsozial. Aber so sind wir Menschen eben. Fakten stehen hinter Eigeninteresse, was jetzt ist zählt und einen Tag weiter sehen will meiner. Je der Staat muss halt alle, die sich zurückhalten, vor allen leichtsinnigen schützen.
Wohin das führt? Preise für Dienstleistungen und Waren steigen! Und zwar teilweise brutal. Weil die überlebenden Geschäfte ihre Kredite dann abzahlen müssen!! Dies ist bereits zu beobachten in vielen Branchen.