
Stadtwerke Augsburg übernehmen Billiganbieter-Kunden: Schock über Preise

Plus Weil zahlreiche Billig-Energieanbieter ihre Kundschaft nicht mehr beliefern, müssen die Stadtwerke kurzfristig bei Tausenden Augsburger Haushalten einspringen.

Die seit Dezember laufende bundesweite Welle an Insolvenzen und Lieferstopps von privaten Energieversorgern hat den Augsburger Stadtwerken innerhalb weniger Wochen um die 5000 neue Kunden und Kundinnen beschert. Sie bekommen Gas beziehungsweise Strom nun über den Grundversorgungstarif der Stadtwerke, sind aber alles andere als glücklich über die Preise. Denn die Stadtwerke langen ordentlich hin: Beim Erdgas sind es für die auf diese Weise übernommenen Neukunden 19 Cent pro Kilowattstunde. Bestandskunden der Stadtwerke zahlen bisher und weiterhin 7,19 Cent. Auch beim Strom werden in der Grundversorgung für Neukunden deutlich höhere Preise pro Kilowattstunde aufgerufen als für Bestandskunden.
Stadtwerke beliefern jetzt Kunden insolventer Anbieter - zu deutlich höheren Preisen
Für sein Einfamilienhaus, so ein unfreiwilliger Stadtwerke-Neukunde, dem Anfang Dezember von seinem alten Energieversorger das Gas abgedreht worden war, müsste er bei den Stadtwerken künftig 7200 Euro Heizkosten pro Jahr zahlen - doppelt so viel wie bisher. "Da muss man schon sehr gut verdienen", sagt der verärgerte Kunde. Auch andere bisherige Kunden und Kundinnen von privaten Versorgern, darunter auch Senioren mit kleinem Geldbeutel, berichten davon, nach dem Zwangswechsel zu den Stadtwerken ein Mehrfaches des bisherigen Preises bezahlen zu müssen.
Hintergrund der vielen Wechsel ist, dass zahlreiche private Versorger angesichts der aktuell hohen Beschaffungspreise für Strom und vor allem Gas ihre Preisversprechen nicht halten können und Kunden nicht mehr versorgen können oder wollen und Verträge kündigen. Das ist ein bundesweites Phänomen. Diese Kunden und Kundinnen fallen dann, damit sie nicht im Kalten und Dunklen sitzen, aufgrund gesetzlicher Regelung in die Zuständigkeit der örtlichen Grundversorger, also in der Regel der Stadtwerke. Problem: Für die vielen neuen Haushalte muss zusätzlich Energie gekauft werden, und zwar zu den aktuell horrenden Preisen.
Um Bestandskunden und -kundinnen von Preissteigerungen aufgrund der Neukundschaft zu verschonen, führten die Stadtwerke, wie andere Versorger auch, vor Weihnachten einen zweiten Grundversorgungstarif für die Zwangswechsler ein, der deutlich über dem liegt, was Bestandskunden zahlen. An deren Konditionen ändert sich nichts. Stadtwerke-Geschäftsführer Alfred Müllner betont, man wolle den Bestandskunden sichere Versorgung zu fairen Preisen bieten. "Auf diese Sicherheit können sie auch in schwierigen Zeiten vertrauen", so Müllner. Die Stadtwerke kauften Energie langfristig ein, um gegen Risiken abgesichert zu sein. "Diese langfristige Einkaufsstrategie schafft für unsere Kunden Sicherheit und garantiert ihnen jetzt vergleichsweise günstige Energiepreise", so Müllner. Was die jetzigen Neukunden betrifft, habe man keine Reserven an günstiger Energie in der Hinterhand.
Was die Verbraucherzentrale in Augsburg den betroffenen Strom-Kunden rät
Laut Stadtwerken landeten seit Dezember, als die Insolvenz- und Kündigungswelle an Fahrt aufnahm, 5000 Kunden und Kundinnen bei dem kommunalen Unternehmen. Man gehe in näherer Zukunft von weiteren 2000 bis 3000 weiteren Übernahmen aus, so Stadtwerke-Vertriebsleiter Ulrich Längle. "Mit solchen Mengen in so kurzer Zeit haben wir nicht gerechnet." Teils holperte es bei der Information der Neu-Kundschaft. Ein Kunde bekam innerhalb weniger Tage zwei Schreiben mit der Vertragsbestätigung zugeschickt - erst zum bisherigen günstigen Grundtarif, eine Woche später kommentarlos zu den deutlich höheren Konditionen des neuen Grundversorgungstarifs. Das Agieren der Stadtwerke grenze an Täuschung, so der Mann, der eine Klage erwägt. Er hat inzwischen einen günstigeren Versorger als die Stadtwerke gefunden.
Auch bei der Verbraucherzentrale Augsburg schlägt das Thema inzwischen häufiger auf. Berater Hans Werner Ziegler rät Kunden und Kundinnen, die von ihrem bisherigen Versorger nicht mehr beliefert werden, dazu, Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Man habe ja immerhin einen Vertrag geschlossen, der nicht ohne Weiteres gekündigt werden könne. "Da muss man aber schnell sein", so Ziegler. Manches Unternehmen, das sich mit seiner Niedrigpreispolitik verhoben hat, werde vielleicht nicht mehr allzu lange existieren. Allerdings sei auch das Gebaren vieler Stadtwerke ein Problem. "Grundversorgung zum Wucherpreis" sei ein Fall für die Schlichtungsstelle und habe mit der Grundidee eines Sicherheitsnetzes nicht mehr viel zu tun. Ziegler verweist aber auch darauf, dass man sich bei gängigen Vergleichsportalen im Internet aktuell schwertue, günstige Versorger zu finden. Aktuell bietet die Verbraucherzentrale Beratungen via Telefon oder online an.
Neukundengeschäft bei den Stadtwerken Augsburg ist aktuell gestoppt
Für Kunden und Kundinnen, die jetzt neu in der Grundversorgung gelandet sind, stellt sich die Frage, wie sie aus dieser teuren Sackgasse herauskommen. "Wir wollen für diese Kunden aus Augsburg etwas anbieten und arbeiten mit Hochdruck an einer Alternative", so Stadtwerke-Vertriebschef Längle. Diese Strom- und Gasverträge sollen dann günstiger sein als die teure Neukunden-Grundversorgung, dafür werden sich Kunden und Kundinnen aber voraussichtlich ein Jahr an die Stadtwerke als Versorger binden müssen. "Das ist aber nicht einfach, weil der Energiemarkt noch verrückt spielt und es schwierig ist, unter diesen Umständen Preise und Mengen sicherzustellen", so Längle.
Das neue Preismodell ist auch wichtig, um ganz gewöhnliche Neukunden (ohne Zwangswechsel, sondern weil sie zum Beispiel neu nach Augsburg zuziehen) zu gewinnen. Seit Dienstag werden auf der Stadtwerke-Homepage keine neuen Energie-Verträge für Privatkunden mehr angeboten. Auch andere deutsche Versorger haben das Geschäft mit Neukunden ausgesetzt, bis die Preisentwicklung besser absehbar ist.
Dass die Preise für die Energiebeschaffung an den Großmärkten seit dem Sommer überraschend durch die Decke gehen, liegt an der wirtschaftlichen Erholung nach dem ersten Corona-Winter und somit mehr weltweitem Energiebedarf, an schlecht gefüllten Gasspeichern in Europa, der Ukrainekrise und einem Einbruch bei den regenerativen Energien durch Windflaute und wenig Sonne. Die steigende CO2-Bepreisung, die unter Steuern und Abgaben fällt, war schon länger angekündigt und konnte von den Versorgern eingerechnet werden.
Die Diskussion ist geschlossen.
@ STEFAN K., 12.01.2021: „Mein Geld soll in meiner Stadt bleiben und heimische Arbeitsplätze sichern.“
Früher habe ich ähnlich gedacht, die fortschreitende Globalisierung jedoch hat hier meine Einstellung verändert. Beim Strom wird von der EU zudem ein europäischer Binnenmarkt angestrebt. In Deutschland sind deshalb die Netzentgelte besonders hoch. Welche Einnahmen die Bundesnetzagentur bei Transitstrom (z. B. französischer Atomstrom u. a. über das deutsche Netz nach Italien) erzielt, konnte ich bislang noch nicht recherchieren. – vgl. https://www.deutschlandfunkkultur.de/windstrom-fuer-den-sueden-braucht-die-energiewende-die-100.html
Wenn der mit hohen Netzentgelten belastete deutsche Verbraucher für sich im Gegenzug die Chancen des Strommarktes nutzt, dann halte ich das für eine angemessene Reaktion.
Helmut Eimiller
Kann man so sehen. Ob man das immer noch so sieht wenn man selber mal mit seinem Produkt/Firma/Job/Tätigkeit an der Reihe derer ist wo plötzlich jemand anders nen Achtel Cent billiger ist, das bleibt offen. Von daher lasse ich mein Geld tatsächlich in meiner Stadt lieber als in den Händen von Leuten die sie, wie man gerade sieht, schnell mal als vertragsbrüchig (!) rausstellen sobald das keine Goldgrube mehr ist.
Und ja, sie haben Recht: Man kann die Chancen des Strommarktes nutzen. Aber dann muss man eben auch die Risiken tragen. Typisch deutsche Mentalität. Billich will ich, aber wenn was ist, dann will ich aber natürlich trotzdem Vollkasko haben...
@Stefan K. zu Jobverlust bei Augsburger Stadtwerken:
Dass Mitarbeiter der Augsburger Stadtwerke ihren Job verlieren, ist für mich unvorstellbar.
Allerdings bis vor einigen Monaten konnte ich mir auch nicht vorstellen, dass einem Augsburger Gymnasium keine eigen Turnhalle zur Verfügung steht. – vgl.
https://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg/Augsburg-Die-marode-Turnhalle-des-Rudolf-Diesel-Gymnasiums-wird-womoeglich-abgerissen-id60803796.html
Helmut Eimiller
Die Bundesnetzagentur beäugt dieses Gebahren, komplett überzogene Preise zu verlangen, bereits kritisch. Warum Neukunden anders gestellt werden als Kunden, die von einem anderen Anbieter wechseln, ist nicht nachvollziehbar und höchst dubios.
Die Stadtwerke könnte gestrandeten Kunden ja auch ein faires Angebot machen, das diese Kunden dauerhaft an die Stadtwerke bindet. Will die SWA aber offensichtlich gar nicht, sondern sie treibt die Kunden schnellstens wieder zum Wechsel zu einem günstigeren Anbieter.
Die Stadtwerke können diesen Kunden kein besseres Angebot weil sie langfristig planen und langfristig einkaufen. Normal spielen Wechsler kaum eine Rolle weil es im Grundrauschen untergeht. Wenn da jetzt aber tausende neue kommen, dann wirkt sich das signifikant aus im Umfang der dafür notwendigen Zusatzbeschaffung und das geht dann nicht ohne dabei drauf zu legen. Und welches Unternehmen legt bitte drauf bei Kunden die bei der nächsten Gelegenheit sehr wahrscheinlich wieder weg sein werden? Es gab sehr gute Angebote der SWA, wer sich die Vergleiche anschaut, der stellt fest, dass es bei normalen Haushalten im Jahr keine 50€ ausmacht und es schlichtweg um die Bonusmitnahme geht. Nur diese macht den Vergleich günstig. Die Unternehmen setzen dabei natürlich darauf, dass ein Teil der Kunden dann das Kündigen vergisst.
Ein Geschäftsmodell, daß bei ein paar mehr Kunden zusammenbricht und nur durch Abzocke aufgefangen werden kann, ist keines.
Und wegen 50 Euro im Jahr hat auch niemand gewechselt.
Da kennen Sie Ihre Mitmenschen aber schlecht. Wenn man die Tarifvergleiche durchgeführt hat und mal auf "ohne Boni" geklickt hat, dann war nicht viel um. Mit Bonus sind das aber halt dann schnell mal 200€ und zack....
5000 (!) würde ich jetzt nicht als "ein paar mehr Kunden" bezeichnen. Wenn man Google glauben darf, dann hatten die Stadtwerke bisher 65.000 Stromkunden. Da mal eben 5000 draufpacken sind knapp 8%. Sie dürfen gerne Ihr offensichtliches Branchenfachwissen den Stadtwerken in der Kalkulation zur Verfügung stellen. Dann müssen diese auch niemanden mehr "abzocken".
Sie werden doch nicht etwa zu den superschlauen Strombeziehern gehören, die den Stadtwerken abgesprungen sind, Herr M.? Und nun sich darüber echauffieren, dass die den Neukunden einfach die Mehrkosten der Strombeschaffung aufbürden und sie nicht auch an ihre treuen Stammkunden weiterreichen.
Ich weiß genau, wie Sie urteilen würden, wären Sie bei den Stadtwerken geblieben. ;-)
"Da mal eben 5000 draufpacken sind knapp 8%"
8 % mehr Stromkunden bedeuten aber nicht 8 % Zusatzbedarf der SWA. Gewerbekunden verbrauchen ein Vielfaches eines Privatkunden. Ein Geschäftsmodell, das bereits bei einem niedrigen einstelligen Prozentbetrag Mehrbedarf zusammenbricht, ist kein nachhaltiges.
Ich habe übrigens meinen Stromliefervertrag bei den SWA, muß aber nicht alles gut finden, was die machen.
Lieber Herr M. Sie haben also großes Verständnis für Leute, die ständig mit Geiz ist geil-Mentalität dem günstigsten Tarif hinterherhecheln und dann nach Ihren Worten 'abgezockt' werden, wenn man mit dieser Methode einmal Schiffbruch erleidet?
Ich nicht. Im Gegenteil freut es mich sogar, wenn diese mal auf die Nase fallen. Schadenfreude ist bekanntlich die reinste. Und nein, ich hätte absolut null Verständnis dafür, wenn ich für diese auch nur einen Cent (noch zusätzlich) mehr zahlen müsste.
Die Kunden, die Sie beschreiben, kann man nicht dauerhaft binden - bzw. ist es eher unwahrscheinlich. Wenn man diesen aber auch noch einen besonders attraktiven Tarif anbieten würde - ansonsten klappt das sowieso nicht - verprellt man ja die Stammkunden. Das ist doch die Krux heute, dass der Neukunde alles ist und der Stammkunde nichts.
Ein Neukunde, der nicht lediglich von einem anderen Anbieter wechselt, kann ja wohl nur bei Umzug vorkommen oder wenn jemand einen neuen eigenen Hausstand gründet. Das ist nunmal ein völlig anderer Umstand als bei den Suchern nach dem jederzeit günstigsten Stromtarif.
>> Für sein Einfamilienhaus, so ein unfreiwilliger Stadtwerke-Neukunde, dem Anfang Dezember von seinem alten Energieversorger das Gas abgedreht worden war, müsste er bei den Stadtwerken künftig 7200 Euro Heizkosten pro Jahr zahlen - doppelt so viel wie bisher. <<
Haus verkaufen wenn sich diese vmtl. > 200 bis 250 qm Wohnfläche nicht mehr leisten kann?
Auf Kosten der Bestandskunden und ÖPNV Fahrgäste auf den Energiemärkten mit dubiosen Anbietern spekulieren verdient jedenfalls keinerlei Solidarität.
>> Dass die Preise für die Energiebeschaffung an den Großmärkten seit dem Sommer überraschend durch die Decke gehen, liegt an der wirtschaftlichen Erholung nach dem ersten Corona-Winter und somit mehr weltweitem Energiebedarf, an schlecht gefüllten Gasspeichern in Europa, der Ukrainekrise und einem Einbruch bei den regenerativen Energien durch Windflaute und wenig Sonne. <<
Wirtschaftsminister Habeck träumt und inzwischen beginnt bis 2025 die Wiederkehr der Ölheizung?
Niemand kann mehr zur Strom oder Gas wechseln - das einzig kalkulierbare Produkt ist momentan Öl!
>> Seit Dienstag werden auf der Stadtwerke-Homepage keine neuen Energie-Verträge für Privatkunden mehr angeboten. <<
Jetzt mal ernsthaft... Was erwarten Strom- und Gashopper die ständig auf der Suche nach dem billigsten Anbieter waren und sind? Dass der Grundversorger sagt "selbstverständlich halten wir Dir Reserven bereit die Du sehr wahrscheinlich nie abrufen wirst weil immer wer anders noch 20€ günstiger ist im Jahr" ? Die Billigheimer kaufen an der Börse zum Tagespreis, das ging sehr lange gut und man verdiente prächtig, der Kunde zeigte den Grundversorgern/Stadtwerken den Vogel und lachte über die Deppen die so dämlich sind und das Geld in der eigenen Stadt lassen. Und jetzt wird gejammert? Nene Freunde der Waldluft, Ihr könnt nicht von den Bestandskunden velangen Euch jetzt zu subventionieren und dann bei der nächsten Gelegenheit wieder zu verschwinden. Bis gestern konnten diese "Notkunden" im Notversorgungstarif übrigens problemlos Neukunde zu normalen Preisen werden. Aber da war es wieder, das Problem mit der Vertragsbindung.
Mein Mitleid hält sich jedenfalls dezent in Grenzen. Mein Geld soll in meiner Stadt bleiben und heimische Arbeitsplätze sichern. Das war und sind mir die 20, 30€ Unterschied im Jahr wert. Jeglicher weitere Vorteil war ohnehin nur einmaliger Art da Bonus. Drum springt man auch ständig von einem Anbieter zum anderen. Ist ja nicht das erste Mal dass Stromkunden damit ins Klo langen.