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Ausstellung: Akrobat der Zwischenzustände

Ausstellung

Akrobat der Zwischenzustände

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    Der Bildhauer Norbert Schessl ist kein Hochglanzkünstler. Sein Material darf bröseln und bröckeln. Spinnweben an Skulpturen stören ihn ebenso wenig wie Staub oder Abrieb. Überhöhung ist seine Sache nicht. Die Ausstellung, die Schessl jetzt in der Neuen Galerie im Höhmannhaus eingerichtet hat, erinnert eher an eine offene Ateliersituation denn an museale Andachtsräume.

    Sockel, in denen der Holzwurm grub, Bleistiftnotizen auf Juramarmor – und Werke, die auf schmucklosen Bretterkisten oder runden Holzbohlen stehen, als sollten sie jederzeit in Bewegung gesetzt werden können. Schessl Norbert, wie er sich als Künstler nennt, unterläuft die gewohnte Präsentation von Skulpturen. Er holt die Skulptur vom Sockel – spielerisch und mit Humor.

    Tatsächlich trägt die Schau mit Arbeiten des Steinbildhauers den Titel „Einfach schieben“. Zur Vernissage hat der 1965 geborene Künstler einige seiner Steine auf Rundhölzern durch die Galerie verschoben – die Performance wird er an zwei Wochenenden (16. und 23. September, jeweils 15.10 Uhr) wiederholen. Das Verschieben passt zu Schessls prozesshafter, offener Arbeitsweise. Seine Steinplastiken, die oft Materialassemblagen sind, verortet er im Spannungsfeld zwischen Stabilität und Fragilität, Statik und Dynamik, Unverrückbarkeit und Veränderung, wie es Kurator und Galeriechef Thomas Elsen formuliert.

    „Einfach Schieben“ steht auch in eingemeißelten Blockbuchstaben auf drei Steinblöcken, die auf einer schwarzen Marmorplatte liegen. Die Aufteilung: EINFACH SC HIEBEN. Auch Text bleibt Fragment bei Norbert Schessl, der ein Akrobat der Zwischenzustände ist. Seine Steinplastiken erwecken manchmal den Eindruck, als habe der Künstler nach etwas gesucht im Innern, dann aber abgebrochen.

    Der Stein ist für Schessl ein Gegenüber, ein Möglichkeits-Wesen, ein Rätsel, eine Antwort … Das zeigt auf schöne Weise eine Serie von Fotografien, die der Künstler mit Selbstauslöser in seinem Atelier aufgenommen hat. Wie ein Derwisch turnt er da über Quader, Würfel und Blöcke. „Wenn du das Bearbeiten anfängst, musst du eine Ahnung davon haben, was werden könnte“, sagt der Künstler.

    Schessl ist ein Bildhauer ohne Abfallprodukte. Auf Fotos, die seine Werkstatt zeigen, sieht man Steinhaufen überall. Sein Reservoir, seine Bausteine. Aus Reststücken und abgeschlagenem Stein klebt und schneidet, stapelt und montiert er neue Werke – ein Materialkreislauf. In Schessls Atelier erwächst aus einer Arbeit die nächste.

    Er ist ein Formenfinder, der nichts verloren gibt. Seine Skulpturen liegen und stehen, sie wirken unfertig, fragmentiert, beschädigt, versehrt. Spurenbilder sind ihm wichtig, die schreibt er seinen Plastiken ein.

    Mit der Flex bearbeitet der Bildhauer den Jurastein, zeichnet darin. Wegnehmen und Hinzufügen: Er kombiniert Stein mit Beton und Holz, schafft gerne Reihungen, türmt auf zu Stapeln. Der Betrachter sieht glatte, bearbeitete Passagen neben groben Bruchkanten und schrundigen Flächen.

    Schessl versteckt und verdeckt nichts – Bearbeitungsspuren, Materialeigenschaften liegen offen. „Es ist nicht Sinn der Kunst, etwas zu schaffen, das alle begreifen“, findet der Bildhauer, der gerne mit Melone auf dem Kopf auftritt und bei seiner Arbeit mit gewichtigem Stein Schwebezustände mag.

    Norbert Schessl, der in Gaulzhofen im Kreis Aichach-Friedberg lebt und arbeitet, hat einst Chemie studiert, bevor er sich unter anderem an der Akademie in München der Kunst der Bildhauerei widmete. Er studierte in den 1990er Jahren bei den Professoren Ladner und Reineking.

    Das Unfertige, Mehrdeutige in seinen Arbeiten umspielt der Künstler gerne mit poetisch-absurden Titeln. Die Arbeiten im Höhmannhaus heißen beispielsweise „An meinem Bett stand sie, die Morgendämmerung mit ihren gelben Sandalen und führte mich in den neuen Tag“ oder „Freund, komm sprich mit mir vom Meer in großer Gegend“. Eine Ausstellung in Friedberg nannte Schessl „Am liebsten warte ich im Gehen“.

    Norbert Schessl, soeben erst mit dem Gersthofer Kunstpreis ausgezeichnet, ist in Augsburg übrigens kein Unbekannter. 2016 hatte er einen Steinwurf vom Höhmannhaus entfernt mit Jurakalk die Moritzkirche verwandelt. „Brache“ nannte er seine Kunstinstallation.

    bis 23. September. Maximilianstraße 48. Geöffnet Dienstag bis Sonntag 10-17 Uhr, Eintritt frei

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