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Ballett: Eine Frau im Ausnahmezustand

Ballett

Eine Frau im Ausnahmezustand

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    Aus Rache für den Betrug ihres Mannes wird Medea (Yun-Kyeong Lee) zur Mörderin an ihren Kindern.
    Aus Rache für den Betrug ihres Mannes wird Medea (Yun-Kyeong Lee) zur Mörderin an ihren Kindern. Foto: Nik Schölzel Theater Augsburg

    Mit langsamen Schritten erobert sich die Tänzerin Yun-Kyeong Lee den Raum, schreitet entlang eines Wasserlaufs – und bereits in diesen ersten Augenblicken eines beeindruckenden Ballettabends in der Brechtbühne des Theaters Augsburg macht sie deutlich, wie verletzt, wie gedemütigt, auch wie verängstigt und einsam sie ist. Sie ist Medea, die Betrogene, die Kindsmörderin, und als diese hat die Koreanerin, die erst seit dieser Spielzeit zur Ballettcompagnie des Theaters gehört, einen furiosen Einstand. Medea ist eine Frau im inneren Ausnahmezustand.

    Ihr Mann Jason, für den sie Heimat, Familie und Stellung aufgegeben hat, den sie abgöttisch liebt, will sie für Glauke, die Tochter des korinthischen Königs Kreon, verlassen. Um sich an Jason zu rächen, geht sie bis zum Äußersten, sie ermordet ihre beiden Söhne. Yun-Kyeong Lee verkörpert diese Rolle ohne großes Pathos, mit asiatischer Undurchschaubarkeit, die aber eine zutiefst erschütterte Gefühlswelt ahnen lässt. Das macht ihre Darstellung so bestürzend und ergreifend.

    Doch nicht nur mit dieser Rollenbesetzung überzeugt der Ballettabend, den der spanische Choreograf Ángel Rodriguez mit großem Einfallsreichtum in Szene gesetzt hat. Die klassische Schule, durch die er gegangen ist, zeigt sich in seiner choreografischen Sprache nur noch in Ansätzen, vorwiegend ist es zeitgenössischer Tanz, der im Stil – im Gestus der Arme, in den angewinkelten Händen und Füßen – an die Großen dieser Kunst, an Mats Ek und Jiˇri Kylián, erinnert.

    Dynamisch-wirbelnde Abschnitte

    Beeindruckend ist Rodriguez’ Vielfalt in den Bewegungsphrasen, wie er die Gruppen arrangiert und daraus Soli und Duette entwickelt, vor allem, wie er wechselt zwischen langsamen, fast meditativen Sequenzen in Tai-Chi-Anmutung und dynamisch-wirbelnden Abschnitten. Großartig das Duett Glaukes und Jasons (atemberaubend Laura Armendariz und Joel Di Stefano) sowie der Tanz der Männer, der choreografisch und tänzerisch ein Glanzstück an Präzision und Synchronität ist und die Percussionklänge auf den Punkt in Bewegung umsetzt. Überhaupt die Musik: Die Collage aus klassischer und moderner Musik, die bis auf Mozarts Klavierkonzert Nr. 23 auskommt ohne Vielgehörtes, passt zu den Szenen wie dafür gemacht. Bemerkenswert ist auch das Bühnenbild (Andrea Kuprian-Maier) mit seinen transparenten Vorhängen, die nicht nur den Raum begrenzen, sondern in den Tanz miteinbezogen werden, und einem fahrbaren Podest, das vielfältig eingesetzt wird als Kammer, überdimensionaler Tisch oder Portal.

    Aus dem schlüssigen Zusammenwirken von Bühnenbild, Tanz und Musik kreiert Ángel Rodriguez Bilder, die sich im Kopf des Zuschauers festsetzen: Medeas furioser Ausbruch, als sie mit Jason abrechnet und er, wie an Fäden gezogen, zum Spielball in ihren Händen wird; Glaukes Todeskampf in ihrem roten (vergifteten) Rock, der ausgelassene Walzer der beiden Kinder (wunderbar verspielt Ana Dordevic und Theophilus Vesely) mit der erstarrten Mutter im Hintergrund. Am Ende steht Medea wieder am Bach und räkelt sich im Wasser, während im Hintergrund Jasons Verzweiflungsschreie zu hören sind. Hier ist Ungeheuerliches geschehen. Das Publikum ist erschüttert. Trotzdem immenser Jubel und Beifall.

    Nächste Aufführung: 26. April

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