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Spaziergang: Dialektik am Rathausplatz, Logik am Kö

Spaziergang

Dialektik am Rathausplatz, Logik am Kö

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    Das Wort „Führung“ kommt nicht vor. „Flanier mit mir!“, heißt die Einladung – und auch der Untertitel führt weg vom Bekannten: „Architekturphilosophische Spaziergänge Augsburg“. Knapp 20 interessierte Flanierwillige stehen zur Premiere vorm Hauptbahnhof. Von den Veranstaltern, der Stiftung des Bunds Deutscher Architekten (BDA) in Bayern, hören sie gleich zum Auftakt noch einmal, was nun ganz sicher nicht kommt: eine übliche Stadtführung. Heute keine kunstgeschichtlichen Erläuterungen, keine Stadtgeschichte, keine Anekdoten zu Häusern und Bewohnern.

    Während der Architekt und Philosoph Dr. Martin Düchs spricht, fällt der Blick auf einen gewaltigen Trümmerhaufen hinter dem Bauzaun. Passt ja. „Abstrakte Ideen“ seien Inhalt des Stadtspaziergangs. „Und von Ihnen wird Transfer erwartet“, sagt Düchs in die Kopfhörer hinein. Warum spazieren? „Eine alte philosophische Form.“ Umhergehen und Nachdenken also. Augsburg ist nach Bamberg und München die dritte Stadt in Bayern, in der die Stiftung des BDA zu kostenlosen philosophischen Erkundungsund Erkenntnisgängen einlädt.

    Den ersten von vier architekturphilosophischen Stadtspaziergängen übernimmt der Philosoph Philipp Tschochohei. Sein Thema in den kommenden 100 Minuten: „In (e) Motion – Modi der Bewegung und des Denkens in der Stadt.“ Vorm Bahnhof spricht Tschochohei über Perspektive und Narrativ, über die Analogien von Fernverkehr und Geschichte, die „Emotionalität des Bahnhofs als einem Ort zwischen Hoffnung und Horror, Eile, Ärger und Langeweile“. Und er stellt die Frage, warum Langeweile von Wartenden einzig mit Shoppingmöglichkeiten bekämpft werden müsse.

    Der Nahverkehr wird nur bei Störungen spannend

    Die Gruppe flaniert zum Königsplatz, wo der Referent mit der Denkbewegung der Logik am neuen großen Umsteigedreieck des Nahverkehrs Maß nimmt. „Hinter dem Kö steht ein ausgeklügeltes System, entwickelt in analytischem Denken, hier zählt die Kohärenz auch als Schutz gegen das Chaos.“ Ein Umsteigeort rhythmisiere das Stadtleben, der Nahverkehr als kollektives System der puren Logik werde emotional spannend nur bei Störungen. Tschochohei, der 2009 in Augsburg Abitur gemacht hat, erdet die Philosophie mit dem Hinweis auf den „Pilz“, einen Kiosk, der einst hier am Königsplatz stand und als Treffpunkt lange vermisst worden sei.

    Weiter zum Rathausplatz, wo sich die Flaneursgruppe mit dem philosophischen Schwergewicht „Dialektik“ befasst. Gegensätze sieht Tschochohei an diesem Ort durch das duale Spannungsverhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit walten. „Menschen privatisieren sich hier in der Öffentlichkeit“. Der Philosoph erinnert daran, dass dort, wo jetzt Leute im Freiluftcafé und auf dem Platz sitzen, einst ein Richtplatz war, „wo Menschen grausamst öffentlich getötet wurden“. Der Rathausplatz sei „eine Art Wiese in der Innenstadt“, ein Freiraum, der wenig Vorgaben (und Angebote) mache an die Leute, die ihr Hiersein selbst gestalteten. Einzigartig an dem Ort, wo sich „kollektive und individuelle Bewegungen“ träfen, sei die Tatsache, dass die Bürger diesen freien Rathausplatz in einer Abstimmung gegen Bebauungspläne erkämpft hätten. Der Abgang hinunter in die Altstadt wird kollektiv ausgebremst – durch mehrere Trambahnen, die den Flaneuren den Weg abschneiden.

    Am Mauerberg mit seinen Treppe und Fußwegen, dem abenteuerlichen Häusermix und den krummen Bäumen – ein Platz, den Philipp Tschochohei als Vorlage für Gedanken zur Ästhetik nimmt – wird einem bewusst, wie sehr eine Stadt Orte braucht, die verkehrsplanerisch und städtebaulich unlogisch, ineffizient und verquer sind. Mehrere ineinander verschobene Ebenen, der Charme des Gewachsenen, Autonomie des Individuellen. Langsam wirken die Anregungen, der Blick weitet sich – weshalb der Dom als „Ort geistiger Bewegung“ und Endstation gut gewählt ist. „Wenn man dort ist, im Dom, macht man nichts, außer sich geistig zu bewegen“, sagt Tschochohei und spricht über die „Fantasie“ als Ursprung aller Philosophie, über die Fruchtbarkeit hypothetischen Denkens, das sich mit nicht Sichtbarem befasse. „Der Glaube ist eine Art Kernmodus des fantastischen Denkens“, meint der Philosoph.

    Niemand wirkt erschöpft nach diesem Spaziergang. Die Gruppe zerstreut sich – anders neugierig auf die Stadt.

    Info Noch drei weitere Spaziergänge bietet die Stiftung des Bunds Deutscher Architekten an: Freitag 18. Mai „Wer soll hier eigentlich wohnen? Menschenbilder in der Architektur“ mit Dr. Martin Düchs, Treffpunkt  16 Uhr Fuggerei;  Freitag 15. Juni „Architektur und Moral“ mit Prof. Dr. Christian Illies, Treffpunkt 16 Uhr vor dem Theater, Fuggerstraße und Freitag 20. Juli, „Daheim Sein. Architektur und Glück“ mit Martin Lindemann, Treffpunkt 16 Uhr City-Galerie vor dem Eingang Jakoberwallstraße, Anmeldungen unter Sekretariat@bda-bayern.de

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