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Neues Buch: Für Brecht ist es nie zu früh

Neues Buch

Für Brecht ist es nie zu früh

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    Karoline Sprenger hat ein pädagogisches Buch über Bertolt Brechts Kinderlyrik geschrieben.
    Karoline Sprenger hat ein pädagogisches Buch über Bertolt Brechts Kinderlyrik geschrieben. Foto: Hillesheim

    Selten fällt ein Grußwort so kritisch aus. Wenn es um Lyrik in der Grundschule geht, betritt man eine Baustelle. Das jedenfalls legt der Dillinger Schulamtsdirektor Wilhelm Martin nahe. Er moniert „die unzureichende fachwissenschaftliche Grundlage vieler Lehrender“ sowie „die oft schlechte schulpraktische Umsetzungsqualität“. Von dieser düsteren Folie hebt sich Karoline Sprengers Buch „Bertolt Brechts Kinderlyrik. Hintergründe. Analysen. Fachdidaktische Perspektiven“ exemplarisch ab (Königshausen&Neumann, 241 S., 38 ¤).

    Die Autorin, Frau des Augsburger Brechtstätte-Leiters Jürgen Hillesheim, ist in Schulpraxis und Literaturwissenschaft gleichermaßen beschlagen. 15 Jahre lang unterrichtete sie in der Grundschule. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des Lehrstuhls für Grundschulpädagogik und -didaktik der Uni Augsburg (Lehrstuhl Prof. Andreas Hartinger). An der Uni Bamberg wurde sie promoviert (über die Pädagogik von Jean Paul), ebendort hat sie sich soeben habilitiert (über lyrische Zyklen des 19. und 20. Jahrhunderts).

    Belustigend und mundgerecht gereimt

    Belehrend und moralisierend, christlich eingefärbt, dazu belustigend und mundgerecht gereimt – so stellt sich ein Großteil der älteren Kinderlyrik dar. Brecht gibt entschieden Kontra. Sein berühmtes Gedicht „Gegen Verführung“ (1917) ist Programm. Ist aber nicht gerade BB der große Lehrmeister, der den Weg in die Zukunft vorgibt und Lektionen in Klassenbewusstsein erteilt? Dieses Muster scheint noch in manchem Lehrerkopf festzusitzen, was sogleich Bremsbewegungen auslöst, wenn es um das von Karoline Sprenger auf den didaktischen Weg geschickte Tandem Brecht/Grundschule geht.

    Die Autorin demontiert das aus Moral und sozialistischem Gedankengut gebaute Brecht-Gerüst. Gestützt auf neuere Forschungen hebt sie ein ums andere Mal auf die „Vielschichtigkeit und Ambivalenz“ der Werke ab. Diese treiben Widersprüche und Reflexionen hervor, weshalb der Unterricht nicht eine Musterdeutung der Gedichte zum Ziel hat, sondern den Austausch konträrer Empfindungen und Gedanken, den orientierenden Vergleich, die Fähigkeit zu Urteil und Zweifel – im Idealfall das, was man „Deutungskompetenz“ nennt. Gerade die ästhetische Qualität der Brecht’schen Kindergedichte, so die Autorin, ermögliche solch fruchtbaren Umgang.

    Im Hauptteil gründliche Gedichtanalysen

    Karoline Sprenger sichtet Brechts umfängliche Kinderlyrik und verschweigt nicht das schwankende Gelingen. Sie gibt einen Abriss der kontroversen Forschungsliteratur, handelt pointiert Brechts Schreibanfänge, seine Kindheit und Schulzeit ab, rückt Brechts Nachwuchs in den Blick (Frank Banholzer, Hanne Hiob, Stefan und Barbara Brecht). Den Hauptteil bestreiten gründliche Gedichtanalysen, vom „Kleinen Lied“ (1917) bis zur „Kinderhymne“ (1950).

    Helmut Koopmann, emeritierter Literaturwissenschaftler der Uni Augsburg, hat Brechts Kinderliedern von 1950 einen „lyrischen Primitivismus der untersten Stufe“ bescheinigt. Auch Karoline Sprenger hängt Brechts in der DDR entstandenen, Lehrsätze hochhaltenden Versen teils das Etikett „peinlich“ an, arbeitet aber vor dem Hintergrund von Brechts politischem Lavieren in vielen Fällen durchaus die „spannende Doppelbödigkeit“ der Verse heraus.

    Ausführlich widmet sich die Autorin den Versen „Ulm 1592“ aus dem Jahr 1934, die sie „zum Besten“ zählt, „was Kinderlyrik deutscher Sprache zu bieten hat“. Wie sie im Unterricht aufbereitet und ins spannende Gespräch gebracht werden können, ist nachzulesen. Das Fazit: Brecht bleibt „eine nicht unerhebliche Herausforderung“, umso mehr lohne sich die intensive Beschäftigung. Dazu braucht es nicht nur Pädagogik, sondern auch – nicht immer gegeben – eine verlässliche Textbasis und literaturwissenschaftliche Kenntnisse.

    Sprengers wegweisende Arbeit soll nun in der Grundschule in der Lehrpraxis erprobt werden. Die Ergebnisse wird die Autorin 2019 in einem Folgeband publizieren.

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