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Internationaler Jazzsommer: Jazz in seiner anschmiegsamen Form

Internationaler Jazzsommer

Jazz in seiner anschmiegsamen Form

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    Markus Stockhausen spielt Trompete, richtig gut sogar, wie beim Konzert im Botanischen Garten zu hören war.
    Markus Stockhausen spielt Trompete, richtig gut sogar, wie beim Konzert im Botanischen Garten zu hören war. Foto: Herbert Heim

    Was ist Jazz? Eine wahllose Ansammlung von Tönen und Rhythmen? Ein Lebensgefühl? Auf jeden Fall kein probates Geschäftsmodell, wobei einige wenige Ausnahmen diese Regel durchaus bestätigen können. Zu ihnen dürfte auch Markus Stockhausen gehören, Sohn des 2007 verstorbenen, revolutionären Klangschöpfers Karlheinz Stockhausen. Der Mann spielt Trompete, richtig gut sogar, was er jetzt auch beim Augsburger Jazzsommer – wegen der unsicheren Wetterlage leider im Glashaus – mit seinem Quartett Quadrivium unter Beweis stellte und am Schluss dafür heftig umjubelt wurde.

    Stockhausen sucht den Schulterschluss

    Stockhausen Junior verkörpert den exakten Gegenentwurf des Herrn Papa: dem Publikum stets zugewandt, mit einem fein austarierten Mix aus Weltmusik, Jazz-Sequenzen, popähnlichen Strukturen, wohlklingenden Melodien mit Ohrwurm-Potenzial, dezenten, nichtsdestotrotz spektakulären Effekten, alles sauber und professionell in die Virtuosität einer starken Band verpackt. Während der Senior zeitlebens jeder stilistischen Zuordnung ablehnend gegenüber stand, die Radikalität des Andersseins wie eine Monstranz hochhielt und die Leute lieber schockte und provozierte, anstatt sie zu versöhnen, sucht der Sohn vom ersten Stück an den Schulterschluss. Durchaus ein Erfolgsrezept. Markus Stockhausen begegnet der Musik scheinbar intuitiv, hat aber stets einen klaren Plan.

    Wohlan: Wir befinden uns hier in einem Jazzkonzert. Also gilt es, die vage Erwartungshaltung der Zielgruppe zunächst zu bedienen und schließlich geschickt auszuweiten. Dabei hilft Stockhausen eine Combo mit symbolträchtigem Namen. Das Quadrivium gehörte im Mittelalter zu den „sieben freien Künsten“. Es umfasste Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik. Dennoch wollen Pianist Angelo Comisso, Cellist Jörg Brinkmann und Drummer Christian Thomé keine trockenen Zahlenspielereien zelebrieren, sondern haben sich das sinnliche Erkunden von Raum und Zeit auf die Fahne geschrieben. Ein hundertfach erprobter Exkurs durch das gefällige, durchaus anspruchsvoll esoterische Repertoire Stockhausens, das vor allem durch seine kompositorische Präzision besticht und bei dem die zur Schau gestellten Emotionen im Prinzip einer kühlen Logik entspringen.

    Wenn der Trompeter die Vertonung des „Vater unser“ ankündigt, das bei ihm den Titel „Our Father“ trägt, dann erwarten einen getragene, sakrale, an der Grenze zur Schwülstigkeit mäandernde Trompetenlinien, die schließlich vom allzu pathetischen Piano Comissos vollends mit einem Heiligenschein verziert werden. Alternativ dazu gibt es dunkle, melancholische, schleppende nordische Sheets, die viele als den Sound des erfolgreichen Jazz-Labels ECM (ein Geschäftsmodell!) identifizieren könnten. Dabei klingt Stockhausen nicht selten wie der große polnische Trompetenkollege Tomasz Stanko: morbid, geheimnisvoll, schrundig. Miles Davis aus dessen später Phase kann er auch, mit Dämpfer und verhallt („Kult“). Eine frappierend bindende Wirkung entfaltet nicht nur hier Jörg Brinkmanns Cello, das er je nach Zielstellung zupft wie einen Kontrabass oder anschlägt wie eine orientalische Oud, während Christian Thomé dezente Schlagzeug-Patterns unter das stabile Gruppengefüge legt.

    Entspannen, meditieren, klatschen

    Alles wird gut! Selbstverständlich gibt es Musik, die Hoffnung schenkt, die das Publikum umschlingt und glückselig lächeln lässt („Ein Lächeln“), die unerschütterlichen Zweckoptimismus ausstrahlt. „Better World“ besitzt die Qualität einer Fanfare für Greta Thunberg, „Warmlicht“ ist ein schönes, atmosphärisches Klangmobile mit einer verschlungenen Melodie und einem fließenden Rhythmus, während „Von der Seligkeit“ irgendwie perfekt in den Botanischen Garten passt: nur die Augen schließen, entspannen, meditieren, klatschen.

    Offene Türen, wohin man schaut. Markus Stockhausen lädt die Menschen ein hindurchzugehen. Kaum eine Erwartung bleibt unerfüllt zurück. Jazz in dieser leichten, bekömmlichen, anschmiegsamen und doch qualitativ anspruchsvollen Form bremst jedes Vorurteil über diese improvisierte, freie Kunstform raffiniert aus. Populistisch, populär. Hier stören keine Kanten, keine Dissonanzen. „Das ist Jazz, wie ich ihn mag“, freut sich eine Frau im Publikum. Ein Geschäftsmodell ist es natürlich auch.

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