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Premiere: Übermutter-Ungeheuer

Premiere

Übermutter-Ungeheuer

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    Die Übermutter Bernarda Alba ist das Haus, in dem die Töchter leben.
    Die Übermutter Bernarda Alba ist das Haus, in dem die Töchter leben. Foto: Nik Schölzel/ Theater Augsburg

     Das Beste kommt zum Schluss. Die letzte Schauspielpremiere der Spielzeit in Augsburg ist eine Theatersensation. Die Regisseurin Anne Lenk hat das Ensemble zu einer Höchstleistung angespornt und gleichzeitig Federico Garcia Lorcas Frauen-Familientragödie „Bernarda Albas Haus“ auf eine Weise sichtbar gemacht, dass einem immer wieder der Atem stockt: vor Begeisterung über so viel Tief- und Hintersinn, vor Erschrecken über so viel Abgründigkeit.

    Wenn sich der eiserne Vorhang hebt, beginnt die Überwältigung. Kirchturm-Trauerglocken läuten. Bernarda Albas Mann ist gestorben. Aber das fällt nicht ins Gewicht. Zum Vorschein kommt eine haushohe, die Bühne füllende Puppe: die Titelheldin, ein ins Unheimliche vergrößertes Mutter-Ungeheuer, neben dem jeder Mann nur als Erzeuger von Kindern seine Rolle findet, nie aber als Patriarch.

    Ein Kloster, in dem alle vor Begierde vergehen

    Die Trauer muss geheuchelt werden, weil Trauer im Dorf erwartet wird. Und wenn Bernarda Alba eines nicht will, dann ins Gerede kommen. Deshalb sperrt sie ihre Mutter ein, die mit ihren 80 Jahren wieder heiraten will, um ihrem Gefängnis zu entkommen; deshalb bindet sie die Töchter mit harten Worten und Schlägen an sich und verhindert jeden (sexuellen) Kontakt zur Welt. Im Dorf, so sagt es Alba in der Franz-Xaver-Kroetz-Übersetzung, leben nur Bauerntrottel. Und Bauerntrottel sind unter der Würde ihrer Kinder. Also macht Alba aus ihrem Haus ein Kloster – ein Kloster, für das sich keine der Töchter freiwillig entschieden hat, in dem alle vor Begierde vergehen.

    Bei Lorca ist Bernarda Alba eine Tyrannin, die ahnt, dass sie nur so lange herrscht, bis sie Schwäche zeigt. Also verbietet sie sich jede Regung von Menschlichkeit. Als ihre 39-jährige Tochter Angustias den feschen, blutjungen Pepe heiraten will, stimmt sie widerwillig zu, ohne die Hochzeit zu forcieren. Als sie bemerkt, dass Pepe nur zum Schein Angustias trifft, um sich im Anschluss mit Albas jüngster Tochter Adele zu vergnügen, zögert sie keinen Moment, auf den Jüngling zu schießen, und treibt dadurch Adele in den Selbstmord.

    Die Regisseurin Anne Lenk und ihre Bühnenbildnerin Halina Kratochwil tauchen das Stück in eine schwarz-weiße Welt, wobei der Hintergrund vollkommen dunkel ist und im Vordergrund lediglich die weiße Alba-Puppe zu sehen ist, auf der die jungfräulichen Töchter ihr Martyrium des vergeblichen Wartens ertragen. Ein Leben, in dem jedes Lachen sofort von einem umso bittereren Schweigen erstickt wird.

    Und in dem Maß, in dem über die drei Akte hinweg Kleidung abgelegt wird, in dem Maß treten die Abgründe der Figuren umso deutlicher hervor. Vor allem der Titelheldin wird eine völlig neue Facette gegeben. Als Mutterpuppe (wunderbar geführt und gesprochen von Martha Rudolf) erscheint Bernarda Alba nicht nur als hartherzige Täterin. In dem Augenblick, in dem man im zweiten Akt die Puppenspielerin inmitten der Alba-Konstruktion entdeckt, präsentiert die Regisseurin die Figur als eine Zweigeteilte. Nach außen hin ein überlebensgroßes Abbild, das nach dem Gesetz des Stärkeren lebt, innendrin ein Mensch mit zerbrechlich junger Stimme, der vor allen anderen das erste Opfer der Übermutter-Rolle geworden ist. Im letzten Akt, wenn die Puppe den Kopf sinnlich wiegt, wirkt sogar die Übermutter wie ein Opfer der Töchter, die zu schwach sind, um fortzugehen und sie dadurch zu erlösen. So öffnet sich ein überraschender Blick auf das Stück.

    Das allein wäre aber noch keine Sensation. Hinzu kommen die geschlossen stark spielenden Darstellerinnen. Durch sie wird aus der guten Idee eine Welt, in der jeder einzelne Charakter klar umrissen und sanft überzeichnet ist. Das fängt bei Ute Fiedler an, deren ergraute Angustias sich in eine Teenagerwallung hineinnäselt, der sie selbst nie traut. Das hört bei der Noch-Schauspielschülerin Helene Blechinger auf, die ihrer Adele einen bedingungslosen und dadurch zerstörerischen Liebeswillen einpflanzt. Und wenn Olga Nasfeter (als abgründige Martirio), Judith Bohle (als heulsusensirenige Magdalena), Christel Peschke (als alterswilde Maria Josefa), Eva-Maria Keller (als fast der Alba ebenbürtige Magd Poncia) und Elna Lindgens (als einfache, aber fast freie Magd) nur kursorisch Erwähnung finden, dann deshalb, weil über diese Inszenierung drei Mal so viel geschrieben werden könnte. Ein Theaterabend, so wertvoll, fein geschliffen und facettenreich wie ein Diamant! Eine Produktion, mit der Augsburg auch beim Berliner Theatertreffen der zehn besten deutschsprachigen Stücke des Jahres bestehen würde! Jubel!

    Weitere Termine am 23. und 25. April sowie am 3., 8., 24. und 30. Mai

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