Mit der Reihe „Brechtbühne un/plugged“ und ihrem Kurator Girisha Fernando verhält es sich ein bisschen wie mit der Küche einer kleinen Dorftrattoria irgendwo zwischen Pisa und Florenz. Aus wenigen hochqualitativen Zutaten entsteht eine Komposition, die ihresgleichen sucht und einen deswegen immer wieder an diesen bestimmten Ort zurückkehren lässt. Auch bei „Brechtbühne un/plugged“ bleibt das Rezept unverändert: Ein Act aus dem fruchtbaren Garten der Augsburger Szene spielt mit einem kleinen Ensemble der Augsburger Philharmoniker. Das Ergebnis hat immer verschiedene Geschmacksrichtungen auf stets höchstem musikkulinarischem Niveau. Besonders ist, dass die Arrangements für die Musikerinnen und Musiker des philharmonischen Orchesters aus der Feder der Bands stammen, die ausnahmslos nicht im klassischen Konservatorium sozialisiert sind, sondern im Jazzkeller, im Indieclub oder auf der Straße. Und die Philharmoniker haben größte Freude, da mitzumachen.
Alte Geschichten in neuem Klanggewand
Am Samstag eröffnete die junge Sängerin Aylin Yildirim mit ihrer Band Soulgarden den Abend, und treffender hätte sie ihre Band nicht taufen können. Die Tenbur ihres Bruders Eren klingt wie ein quirliger Quellbach, der durch unberührte Natur fließt, die genauso fragil ist wie die Seele eines Menschen. Und ebenso schwer zu heilen, wenn sie einmal verletzt wird. Yildirim erzählt Geschichten traditioneller alevitischer Lyriker aus dem 16. und 17. Jahrhundert und übersetzt sie mit ihrer Band ins Heute, ohne ihre anatolischen Wurzeln zu vergessen.
Man muss des Türkischen nicht mächtig sein, um die Worte nachvollziehen zu können. Musik ist die einzig wahre Universalsprache, eine Art perfektes Esperanto ohne nervige Grammatik, dafür mit verschiedenen Wortschätzen, die zusammen große Momente ergeben: Girisha Fernando spielt Trip-Hop-Bässe und Funk-Gitarre, Kilian Bühler gerade Rockbeats, Philipp Heuermann psychedelische Rhodes-Akkorde und das Streicherensemble aus zwei Violinen, Viola und Cello schenkt Schönheit, Dramatik und Erhabenheit. Aylin Yildirims sehr erwachsene, klare Stimme tanzt dazu wie ein Schmetterling über den Garten Eden und singt alte, immer noch gültige Texte über das menschliche Dasein: Liebe und Sehnsucht, Schmerz und Freude, Enttäuschung und Hoffnung.
Das Kitsch mit Blitz, Donner und Orkan
„Hoffnung“ beendet auch das Set des hoffnungslos sympathischen Trios „Das Kitsch“, und trotz der Nonchalance in Martin Schenks Stimme und trotz der gerne pechschwarzen Texte tönt ihre Musik hoffnungsvoll aus den Boxen. Ihr viertes Bandmitglied ist der Schalk im Nacken, und so stellen sie sich erst einmal brav zu dritt auf die Bühne und eröffnen ihr Set mit einem dreistimmigen Stück zur Akustikgitarre, um dem „un/plugged“ im Titel des Abends gerecht zu werden: „Muss es immer Blitz und Donner sein, frage ich die Wetterfee?“, heißt es da.
Und die Antwort folgt auf dem Fuß: Voll verstärkt und mit unfassbarer Energie türmen sie einen unschuldigen 3/4-Takt zu einem ungezähmten Orkan. Könnte man diese Band irgendwie ans Stromnetz anschließen, das Wort „Energiekrise“ wäre vergessen. „BOOM“ steht in fetten schwarzen Lettern auf Simon Kerlers Bassdrum geklebt, und damit ist alles über diese Band gesagt, denn mehr kann man aus einem Trio nicht herausholen.
Ein kleines interkulturelles Fest in der Brechtbühne
Der philharmonische Bläsersatz aus zwei Trompeten, einem Horn und einer Posaune macht aus den beiden perfekten Popsongs „Teer“ und „Federn“ funky Tanzmusik, die innerhalb von wenigen Sekunden zu einer wilden progressiven Rockabfahrt und dann zu einer Gänsehauthymne wird – müsste man eine neue Kategorie dafür erfinden, mit ADHS-Pop läge man nicht daneben. Sie singen von einem Baum, der rosarote Früchte trägt, und wenn ihnen diese Frucht dann vergoren auf die Stirn fällt, sodass die Augen brennen und das Hemd versaut ist, entgegnen sie diesem Schicksal eine entwaffnende „So ist das eben“-Attitüde, denn von den kleinen Dramen des Lebens lassen sie sich nicht die Laune verderben. Im Gegenteil, sie sprühen vor Spielfreude, das zeigt sich im Lärm des Publikums und im Grinsen auf den Gesichtern der Bläser der Philharmoniker. Diese Reihe ist ein interkulturelles Fest, das war auch bei der mittlerweile fünften Ausgabe von „Brechtbühne un/plugged“ nicht anders.