Rossini, Bellini, Donizetti, Verdi, Puccini: Die italienischen Opernheroen des 19. Jahrhunderts haben allesamt auch Sakralmusik geschrieben. Und bis auf die frühen und kurzen geistlichen Werke Bellinis sahen sich die Messen der anderen genannten Komponisten dem mehr oder minder starken Vorwurf ausgesetzt, zu „opernhaft“, zu weltlich zu tönen. Wer jetzt in St. Anna anlässlich des 100. Todestags Puccinis seine „Messa di Gloria“ hörte, der dürfte denn auch mitunter innerlich geschmunzelt haben: Denn gerade Puccini schießt – als kompositorischer Jungspund überdies – den Vogel ab hinsichtlich alles Opernhaften.
Puccinis „Messa di Gloria“: Lobbreisung Gottes mit fröhlichem Schwung
Wenn der Chor, und der Madrigalchor bei St. Anna lässt sich dazu unter Johannes Eppelein nicht zweimal auffordern, genau das Gloria in excelsis Deo anstimmt, dann hat die Lobpreisung des Höchsten einen unerhörten tänzerischen Elan und fröhlichen Schwung. Der Opernschlager ist ganz nah. Und setzt dann noch das Schnätterätäng der Trompeten ein, dann liegt der Gedanke nicht fern: Hätte Puccini ebenfalls eine „Aida“ komponieren wollen, hätte er sich für den Triumph- und Siegesmarsch seines eigenen frühen Notenmaterials wirkungsvoll bedienen können. Genauso, wie er es ja hinsichtlich seiner „Manon Lescaut“ wirklich tat. Drumherum viele melodiöse, kantable, weite Bögen, die der Madrigalchor bei St. Anna, gute fünf Dutzend Sänger(innen) stark, imposant realisierte. Innigkeit hier, feste, ja demonstrative Glaubensgewissheit dort garantierten die gültige Aufführung einer Musik, die immer wieder bei sich selbst Schwung holt – zum Qui tollis peccata mundi gar pendelnd – oder auch: schunkelnd. Während Roman Payer seinen Tenor-Part tendenziell extrovertiert und voller Schmelz anlegte, ließ sich Bariton Gerrit Illenberger tendenziell introvertiert und balsamisch vernehmen.
Aber Puccini blieb nicht der Höhepunkt an Süffigkeit dieses bestens besuchten adventlichen Konzerts. Wenn ihm allzu große Nähe zur Oper entgegengehalten wurde: Zu welchem Eindruck kann dann das „Magnificat“ von John Rutter, gut 100 Jahre später komponiert, führen? Die Antwort: zum Eindruck allzu großer Nähe zum Musical. Das Magnificat anima mea zum Auftakt weist den Weg. Es reizt die Finger geradezu zum Schnippen und die Beine zum Tanz. Rutter kennt seinen Bernstein; fast tönt das viersilbige Magnificat wie das viersilbige „America“ aus der „Westside-Story“. Und das Et misericordia mit dem sich präsent wölbenden Solo-Sopran von Marie-Sophie Pollack erklingt schwer nach süßer Weihnacht, während Esurientes sich dann der reinen Funktionsmusik verpflichtet fühlt, Abteilung Wellness. Hier bleibt Rutter deutlich unter seinen Möglichkeiten.
Die Komponisten Puccini und Rutter haben ans breite Publikum gedacht
Gleichwohl: Effekt macht das gesamte Stück. Der Madrigalchor und die Capella St. Anna inklusive vier Hörner, Tuba und Percussion verkündigten unter Johannes Eppelein je nach Erfordernis: mal suggestiv, mal voller Verve. Dass alle zusammen nicht bereit gewesen wären, einem Unterhaltungskurs von Kirchenmusik bei überdies bunter Beleuchtung entgegenzukommen, kann jedenfalls nicht behauptet werden. Puccini hat – unter kritischen Anmerkungen – an die sinnlichkeitssuchenden Ohren des Publikums gedacht; John Rutter hat bei „Nähe zur kommerziellen Unterhaltungs- und Filmmusik“ (Zitat aus dem referenzhaft umfangreichen Programmheft!) an die genussfreudigen Ohren eines noch breiteren Publikums gedacht; wie wird wohl in 100 Jahren die dann neue Sakralmusik klingen?
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