Strahlende Orgel in lichtem Raum
Das 3. internationale Orgelfestival wird vom jungen Titularorganisten der musikgeschichtsträchtigen Kirche St. Sulpice in Paris eröffnet: Karol Mossakowski interpretiert und improvisiert für ein großes Publikum in St. Moritz.
Als die Pariser Kathedrale Notre-Dame noch nicht ihre "Königin" des berühmten französischen Orgelbaumeisters Aristide Cavaillé-Coll besaß – also vor 1868 –, ertönte die erste, beste, größte Orgel Frankreichs, ebenfalls errichtet von Cavaillé-Coll, sechs Jahre lang in der Pariser Pfarrkirche St. Sulpice von St.-Germain-des-Prés. Mithin wurde auch in St. Germain-des-Prés, einst ein Viertel des Geisteslebens, mittlerweile Touristen-Hotspot, regelrecht Orgelgeschichte geschrieben: Der Komponist Charles Marie Widor entwickelte hier seine zehn Orgelsinfonien, in deren Fußstapfen sein Schüler, Assistent und Stellvertreter Louis Vierne künstlerisch wirkte – und dann, ebenfalls als Stellvertreter, auch Marcel Dupré.
St. Sulpice, wo Widor begraben liegt, hat also einen enormen Ruf zu erhalten – sowohl als Wirkungsstätte großer Orgelkomponisten als auch eines überaus bedeutenden Instruments, das berechtigt noch UNESCO-Welterbe werden könnte. So wie das Tafelbild erst in Folge der von hohen Fenstern durchbrochenen gotischen Kirchenarchitektur auftrat (mehr Licht!), so wie Liszts Klavierdynamik nicht realisierbar gewesen wäre ohne den Einsatz des gusseisernen Flügelrahmens, so steht die Vielfarbigkeit spätromantischer Orgelkompositionen in Abhängigkeit von den Instrumentenneuerungen Cavaillé-Colls, dem erfindungsreichen Vater der modernen Orgel.
Der Pole Karol Mossakowski eröffnet das 3. Internationale Orgelfestival Augsburg
Kurz: Zum Titularorganisten von St. Sulpice wird auch heute nicht jeder berufen. Dazu braucht es errungene Lorbeeren. In Form zahlreicher Auszeichnungen hat diese in jungen Jahren der 1990 in Polen geborene Karol Mossakowski angesammelt, der jetzt das 3. Internationale Orgelfestival Augsburg in St. Moritz eröffnete. Er war gleichsam von der Chor- und Hauptorgel in St. Sulpice zu der Chor- und Hauptorgel in St. Moritz geeilt, um dort als Konzertsolist vom durchaus umfangreichen Auditorium geradezu gefeiert zu werden: Langer Applaus, vielfache "Vorhänge", Standing Ovations, Zugabe. Eine Demonstration für Mossakowski – und die Ernte seines Orgelspiels hoher Einfühlsamkeit, hoher Virtuosität, zielsicherer musikalischer Dramaturgie.
Einsetzend mit dem wellenhaft anschwellenden Prélude der "Trois Pièces" von Gabriel Pierné, ausklingend mit einer improvisierten, melodisch und harmonisch eingängigen, geradezu humoresk endenden Zugabe, stammten die Hauptwerke des Abends von Bach, Duruflé und von Mossakowski selbst. Das kunstvoll Variierte, kunstvoll Gesteigerte, kunstvoll Interpretierte stand bei Bachs Choral-Partita "Sei gegrüßet, Jesu gütig" im Zentrum; immer dringlicher erklang der mitzudenkende Glaubenstext durch Umspielungen, Verarbeitungen, Imitation, festlich hinzugefügte Oberstimme – bis hin zum fünfstimmigen, machtvoll rauschenden vollen Werk.
Maurice Duruflés "Prelude et Fugue sur le nom d'Alain" wiederum ging Mossakowski geradezu rasend in den Triolen-Wechselnoten an, um dann das herbe Thema und das (Jehan-)Alain-Zitat prägnant herauszustellen und das Werk in der Fuge als Apotheose (oder als Jüngsten Tag?) aufstrahlen zu lassen. Besonders eindrucksvoll aber Mossakowskis Improvisation auf der Chororgel: Anhebend wie ein hohes Morse-Signal, erschloss sich diese "Echtzeit-Komposition" Schritt für Schritt den weißen, klaren, modern-reduzierten Kirchenraum von St. Moritz und reizte meditativ anhand schwebender, vibrierender, ja klingelnder Stimmen die Möglichkeiten der Kombination von virtuosem Spiel und Orgelregistrierung aus. Die lichte Improvisation näherte sich geradezu der konkreten, der zeitgenössischen, der elektronischen Musik an, wofür Paris ja auch ein Zentrum war und ist. Große Klasse.
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