
Ein Buchladen allein ist nicht genug

Plus Internet und Antiquariat, das ist kein Widerspruch. Doch Amazon und große Konkurrenz machen der Branche zu schaffen. Wie zwei Augsburger Geschäftsleute die Lage sehen.

Der Untergang des gedruckten Buchs blieb bislang aus. Noch haben Kindle, Tolino und andere E-Reader dem Papier noch nicht den Garaus gemacht, wie manche vor Jahren befürchteten. Auch wenn der Anteil der E-Book-Verkäufe im vergangenen Jahr zulegte, greift die Mehrheit der Deutschen zum gedruckten Buch. Fünf Prozent Marktanteil entfielen auf die E-Books in Deutschland – bei steigender Tendenz.
Den digitalen Wandel spürt aber nicht nur der normale Buchhandel, auch Antiquariate sind davon betroffen – schließlich zeigen Suchmaschinen wie Google nach nur einem Klick teils jahrhundertealte, digitalisierte Schriften auf dem Bildschirm. Können sich Antiquariate da noch halten? Und ist das Internet für sie Chance oder Bedrohung?
Die Zahl der Antiquariate in Augsburg konstant
Ortstermin bei Barbara Woeste, Inhaberin des Antiquariats Lesekauz in Augsburg. Das Internet sei beides, sagt sie, Chance und Herausforderung zugleich. Die Zahl der Antiquariate in Augsburg blieb ihr zufolge in den vergangenen Jahren konstant. Doch die Arbeit habe sich grundlegend verändert – und zwar hauptsächlich, weil der Onlinehandel für Antiquariate lange nicht mehr wegzudenken ist. „Vom Ladengeschäft allein zu leben, das wäre heute nicht mehr denkbar“, sagt sie.
In der Nähe der Kasse liegt ein Stapel von Taschenbüchern, in manchen Regalen stehen Exemplare für bibliophile Kundschaft. Doch ein Großteil der Kunden trägt den Einkauf nicht mehr zur Kasse, sondern nimmt ihn an seiner Haustür vom Paketboten in Empfang. Darin allein liege kein Problem, sondern in der Marktmacht einzelner Firmen: So gehört der deutschen Branchenprimus unter den antiquarischen Plattformen ZVAB der Firma Abebooks – und die gehört Amazon. Amazon verlangt teilweise hohe Gebühren für Händler. Wer die Konkurrenz nicht regelmäßig im Preis unterbietet, wird grundsätzlich weniger prominent platziert.
Eine Kunde, der russische Literatur sucht
Zurück ins Analoge: Die Ladentür öffnet sich, ein älterer Herr tritt ein und läuft zielstrebig zu einem Regal: russische Literatur, in deutscher Übersetzung, manchmal zweisprachig – die lockt ihn etwa einmal pro Woche her. Dieses Interesse entwickelte der Augsburger, als er Ende der 1950er Jahre bei der Bundeswehr Russisch lernte. Die Händlerin begrüßt ihn, sie schauen einige Bücher durch, dieses Mal geht er leer aus. Ein neu eingetroffenes Buch besitzt er bereits. Manche Kunden wünschen sogar, telefonisch benachrichtigt zu werden, wenn neue Ware eintrifft – die Antiquarin folgt diesem Wunsch.
Sie beobachtet, dass auch vermehrt junge Menschen ins Geschäft kommen. Oft wollten sie die Umwelt schonen, indem sie gebrauchte, bewährte Bücher kauften, statt neue. Kürzlich kam eine außergewöhnlich junge Kundin: Die Neunjährige betrat den Laden allein und fragte nach Büchern, die mit Musik und Geschichte zu tun haben sollten, erzählt die studierte Germanistin – sie wurden fündig.
Sie verkauft Bücher in die ganze Welt
Doch anders als das Mädchen kaufen die meisten heute online. Vor Jahren wäre kaum jemand eines Buchs wegen von Thüringen nach Augsburg gefahren – zumal er wohl gar nicht gewusst hätte, dass das gesuchte Exemplar dort zum Verkauf stand. Heute pflegen Antiquare ihre Bestandsdatenbank und sind auf mehreren Plattformen vertreten. Woeste verkauft dadurch Bücher in die ganze Welt, sogar nach Afghanistan. Dieser Umstand und ihre vielen Stammkunden stimmen sie insgesamt optimistisch.
Manch andere Antiquare gaben ihr Ladengeschäft auf und betreiben nur noch Lager und Onlineshop, häufig wegen hoher Mieten. In Teilen Münchens sei ein Großteil der Antiquariate verschwunden, unbezahlbar. Und auch der Ankauf von Büchern wird zunehmend zum Problem. „Das sogenannte Bildungsbürgertum schrumpft“, sagt Woeste. Antiquarische Nachlässe werden seltener, und wenn es sie gibt, wissen die Hinterbliebenen oft nichts damit anzufangen. Wer weiß, wie viele möglicherweise wertvolle Bücher auf dem Müll landen?
Bücher genießen immer noch Ansehen
Die Antiquarin bezweifelt aber, dass Bücher verschwinden werden. Sie genießen immer noch Ansehen: „Jeder Experte lässt sich im Fernsehen vor einem Bücherregal interviewen.“ Ein Buch vermittle ein anderes Gefühl als Bildschirme – besonders, wenn Papier und Einband hochwertig sind. Texte nur digital zu lesen, das sei, als sehe man sich Kunst nur im Internet an, statt Originale im Museum zu betrachten.
Etwa Zwei Kilometer entfernt, in der Maximilianstraße, liegt Hartmut Schreyers Antiquariat. Der 69-Jährige arbeitet seit 43 Jahren in der Branche – und dementsprechend gut weiß er, wie sie sich verändert hat. „Augsburg wurde zunehmend zur kulturellen Wüste“, sagt er. Seit 20 Jahren handelt er im Internet – mittlerweile ist das die wirtschaftliche Basis seines Geschäfts. „Ich verkaufe mehr Bücher nach Berlin als nach Augsburg.“
Antiquare in Konkurrenz zur Privatleuten
Was die Plattformen angeht, decken sich seine Beobachtungen mit denen Woestes: Mit Ausnahme der genossenschaftlichen Seite antiquariate.de entwickelten sie sich zunehmend „händlerunfreundlich“. Dazu komme, dass Antiquare stärker mit Privatleuten und Billiganbieten konkurrierten. „Jede Hausfrau kann heute das tun, was früher Antiquare taten.“ Statt eigene Expertise zu nutzen könnten Laien die Einschätzung von Fachleuten kopieren, um Bücher zu verkaufen. Es sei nicht mehr für den Handel notwendig, Fachliteratur zu besitzen. Das setze die Branche unter Druck.
Dass steigende Mieten auch in Augsburg für antiquarische Ladengeschäfte zum Problem werden, hält er für denkbar. „Schon jetzt betreibe ich das Ladengeschäft aus Passion.“ Er könnte vom Versand alleine leben.
Auch auf die Frage, was ihn optimistisch stimmt, reagiert er ähnlich: Er hoffe, dass eine Generation heranwächst, die „die Furcht vor dem anstrengend erscheinenden Buch verliert“. Immer mehr junge Kunden kämen zu ihm. Und auch die Schülerproteste stimmen ihn munter: „Das ist immerhin ein Anzeichen dafür, dass junge Menschen in die Realität und vielleicht auch zu Büchern zurückkehren.“
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