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Generation 60plus: Alkohol und Tabletten: Alt, einsam, abhängig

Generation 60plus

Alkohol und Tabletten: Alt, einsam, abhängig

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    Biergläser (Symbolbild)
    Biergläser (Symbolbild) Foto: Ulrich Wagner

    Vielen gibt ihre Arbeit das Gefühl, gebraucht zu werden. Mit der Rente fällt das Schulterklopfen der Kollegen, das aufmunternde Lob des Chefs plötzlich weg. Wenn Menschen nach einem langen Berufsleben in ein Loch fallen, trösten sie sich oft mit Alkohol oder Medikamenten, weiß Hilde Rainer-Münch, Referentin des bayerischen Caritasverbandes. „Geldsorgen durch eine geringe Rente verstärken die Gefahr, in eine Sucht abzurutschen“, sagt sie. Häufig sind Tabletten gegen Schlafstörungen der Einstieg in eine Abhängigkeit. Besonders fatal: Senioren, die oft ohnehin Medikamente nehmen müssen, verstärken deren Wirkung, wenn sie zu viel Alkohol trinken.

    Aus den Beratungsstellen der Caritas hört Rainer-Münch immer häufiger davon, dass Menschen erst mit über 60 süchtig werden. Verlässliche Zahlen gibt es dazu nicht. In Neuburg an der Donau hat die Caritas nun reagiert und bietet eine spezielle Beratung für Suchtkranke über 60 Jahre an.

    Beim Thema Alkoholmissbrauch beschränkt sich die Debatte oft auf Jugendliche und junge Erwachsene. Doch auch immer mehr ältere Menschen landen jedes Jahr mit einer akuten Alkoholvergiftung oder anderen psychischen Störungen, die durch Alkohol ausgelöst werden, im Krankenhaus. Hat das Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung für das Jahr 2000 unter den 60 bis 69-Jährigen noch 3000 Fälle in Bayern erfasst, waren es für das Jahr 2009 schon 4439.

    Helfen lassen sich die Betroffenen oft nicht. „Ältere haben größere Scham, in Beratungsstellen zu gehen als Junge, da sie ein anderes Wertesystem haben“, erklärt Rainer-Münch. Während junge Menschen auch in der Öffentlichkeit trinken würden, zähle für die Älteren, sich anständig zu benehmen und nicht aufzufallen. Die Hilfsorganisationen müssten sensibler für die Belange der alten Suchtkranken werden. Beispielsweise bräuchten sie spezielle Unterkünfte, da es in normalen Pflegeheimen beim Zusammenleben mit den anderen Bewohnern zu Schwierigkeiten komme, sagt die Caritas-Vertreterin. Auch Personal müsse speziell geschult werden.

    Oft wird eine Sucht nicht erkannt

    Neben den Beratungsstellen der Caritas ist auch der Hausarzt eine Anlaufstelle, um sich helfen zu lassen. Die Kosten für eine Entzugstherapie erstattet zu bekommen, sei für Senioren allerdings schwer, da sie nicht mehr ins Arbeitsleben eingegliedert werden können. „Aber es ist nicht unmöglich“, sagt Rainer-Münch. Sie fordert, dass die Abhängigkeit im Alter besser erforscht wird. Denn häufig scheitere die Hilfe schon daran, dass die Sucht erst gar nicht erkannt wird.

    Zu den Spezialisten auf dem Gebiet der psychischen Alterserkrankungen zählt Isabell Heuser, Professorin für Psychiatrie und Psychotherapie an der Berliner Charité. Auch sie bestätigt: Die Zahl der süchtigen Rentner steigt. Das liege auch daran, dass Alkohol- und Tablettenabhängige heute durch den medizinischen Fortschritt und verbesserte Hilfsangebote allgemein älter würden.

    Gerade die Älteren seien aber ein „hoch problematisches Klientel“, sagt Heuser. Denn sie litten ohnehin häufig an Krankheiten wie Bluthochdruck. Deshalb seien die Suchtstoffe für sie besonders gefährlich. Heuser betont, wie wichtig Hobbys im Alter sind: „Wer aus dem Berufsleben ausscheidet, muss sich darüber im Klaren sein, dass eine andere Lebensphase beginnt.“

    Laut Gerhard Hörath, dem Vorsitzenden des bayerischen Landesverbandes der Süchtigen-Selbsthilfe Blaues Kreuz, wird Abhängigkeit im Alter nicht nur von den Betroffenen selbst tabuisiert. „Auch von ihren Familien wird es oft verheimlicht“, sagt er. Viele Betroffene hätten ihm von den kaum zu überwindenden Hemmungen erzählt, sich zu offenbaren. Doch auch alte Menschen hegten den Wunsch, endlich von ihrer Sucht loszukommen.

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