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SPD-Winterklausur: Asylexperten der SPD: "Wir müssen den Blick auf alle richten"

SPD-Winterklausur

Asylexperten der SPD: "Wir müssen den Blick auf alle richten"

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    Viel Diskussionsstoff bei der Klausur: Angelika Weikert und Arif Tasdelen.
    Viel Diskussionsstoff bei der Klausur: Angelika Weikert und Arif Tasdelen. Foto: Mathias Wild

    Mehr als eine Million Flüchtlinge sind im vergangenen Jahr nach Deutschland gekommen. Wie lange kann das in dieser Dimension noch gut gehen?

    Arif Tasdelen: Nicht mehr lange. Eine europäische Lösung muss dringend her. Diese herbeizuführen, liegt eindeutig in der Verantwortung der Bundeskanzlerin. Sie muss Klartext reden mit den europäischen Partnern. Das heißt, sie muss auch deutlich machen, dass wir nicht mehr gewillt sind, das meiste Geld in EU-Töpfe zu zahlen, während sich Profiteure dieser Transferzahlungen der Flüchtlingsaufnahme beharrlich entziehen.

    Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer hat mehrfach die „Wir-schaffen-das-Politik“ Angela Merkels infrage gestellt und ziemlich scharf Kurskorrekturen gefordert.

    Tasdelen: Ja, ich höre auch von den Leuten immer wieder, dass Seehofer wenigstens etwas tue. Da frage ich dann immer nach, was er tatsächlich umgesetzt hat. Grenzschließungen, Transitzonen, Obergrenzen, Verfassungsklage – alles gefordert, nichts erreicht. Er ist ein Ankündigungs-Ministerpräsident.

    Verstehen Sie die Besorgnis in der Bevölkerung angesichts anhaltender hoher Flüchtlingszahlen?

    Angelika Weikert: Natürlich. Die SPD-Abgeordneten haben viele Gespräche mit Bürgerinnen und Bürgern und Ehrenamtlichen in Helferkreisen geführt. Deutschland ist seit Jahrzehnten ein Einwanderungsland. Bislang hat die Gesellschaft Zuwanderung insgesamt gut bewältigt. Aber die Sorge der Menschen in der aktuellen Situation ist gerechtfertigt.

    Sie haben sich in Irsee am Mittwochnachmittag mit der sozialen Lage in Bayern beschäftigt. Was leiten Sie aus den langen Zahlenreihen ab, die vom Sozialministerium in regelmäßigen Abständen veröffentlicht werden?

    Weikert: Dass man auch arm in einem reichen Land sein kann. Dabei geht es nicht darum, die Dinge schlecht zu reden. Bayern steht insgesamt gut da. Aber Langzeitarbeitslose, Rentner, Alleinerziehende und Jugendliche, die den Weg ins Berufsleben nicht schaffen, brauchen eine stärkere Unterstützung. Wir dürfen diese Menschen nicht vergessen. Sonst entsteht der fatale Eindruck, um Flüchtlinge kümmert man sich, um uns nicht.

    Tasdelen: Exakt. Wir müssen den Blick auf alle richten. Deshalb zielt unser Integrationsfahrplan für Bayern nicht nur auf Migranten ab. Ich kann diese Neiddiskussion, die nicht aufkommen darf, sehr gut nachvollziehen. Denn ich habe sie selbst erlebt, als mich mein Vater 1982 aus der Türkei nachgeholt hat. Ich bin mit dem Aktenkoffer zur Arbeit gegangen. Der Nachbar war arbeitslos. Da war es dann nicht mehr weit zum Vorurteil, ich hätte dem Mann die Arbeit weggenommen. Mit der Wirklichkeit hatte das nichts zu tun. Dennoch bleibt der Gedanke im Kopf und wächst sich aus bis hin zur Fremdenfeindlichkeit.

    Was also ist zu tun?

    Tasdelen: Ein Baustein ist, schnell bezahlbaren Wohnraum für alle, die es nötig haben, zu schaffen. Der fehlt vor allem in den Großstädten. Gleichzeitig ist es von der Staatsregierung versäumt worden, ländliche Regionen attraktiver zu gestalten.

    Erst am Dienstag hat Fraktionschef Markus Rinderspacher die CSU kritisiert, weil sie das Landesprogramm für den sozialen Wohnungsbau über Jahre radikal zurückgefahren hat. Aber muss nicht mindestens ein Finger auch nach Berlin zeigen? Dort sitzt die Bundesbauministerin – und die gehört der SPD an.

    Weikert: Das stimmt schon. Aber die Programme laufen doch jetzt an. Was über viele Jahre weggespart wurde, kann man nicht in wenigen Wochen und Monaten ausgleichen.

    Wie kann noch Integration gelingen. Was sind Schwerpunkte?

    Tasdelen: Arbeit und Bildung sind die Schlüssel. Am Anfang steht vor allem der Spracherwerb. Schauen Sie mal: In Deutschland leben Gastarbeiter inzwischen in der vierten Generation. Und nach wie vor gibt es faktische Probleme, weil man diese Leute nicht ausreichend einbezogen hat. Spätaussiedlern wurden intensive Sprachkurse angeboten. Sechs Monate lang. Vollzeit. Ich höre da nicht viel von fehlender Integration. So etwas muss auch für 50000 Zuwanderer mit Bleibeperspektive, die 2015 in Bayern eine neue Heimat gefunden haben, möglich sein. In diesen Intensivkursen lernt man nicht nur die Sprache. Teilnehmer erfahren auch, was diese Gesellschaft ausmacht. Und es geht darum, die eigene Rolle darin zu finden. Wie sieht hier das Kulturleben aus? Wie benutzt man öffentliche Verkehrsmittel? Was bedeutet Gleichberechtigung konkret? Das ist quasi ein Unterricht in Leitkultur.

    Weikert: Wichtig dabei ist auch, aufeinander abgestimmte und aufbauende Sprachlernprogramme zu entwickeln. Das fehlt.

    Die CSU ist dabei, ein eigenes Integrationsgesetz vorzulegen.

    Tasdelen: Das hat die SPD erstmals 2009 in Irsee beschlossen, 2010 eingebracht – und die Forderung vor einem Jahr erneuert. Die CSU hat stets abgelehnt. Wir wollen – und ich spreche jetzt von allen Parteien im Landtag – mit am Tisch sitzen, wenn das Gesetz entwickelt wird. Aber es sieht so aus, dass uns ein fertiges Konzept nach dem Motto „Friss oder stirb“ vorgelegt wird. Dann sind wir in der Zwickmühle, ob wir bereit sind, diese vermutlich minimalen Überstimmungen mit unseren Positionen mitzutragen.

    Weikert: Die Herausforderungen, die vor uns liegen, sind eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Deshalb ist es falsch, die Regierungspartei herauszukehren und uns draußen vor der Tür zu lassen.

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