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Gundelfingen: Auf dem Betriebsgelände des Unternehmers Josef Kurz stehen Diktatoren

Gundelfingen

Auf dem Betriebsgelände des Unternehmers Josef Kurz stehen Diktatoren

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    „Ein Stück Zeitgeschichte“: Unternehmer Josef Kurz aus Gundelfingen neben einer riesigen Lenin-Figur.
    „Ein Stück Zeitgeschichte“: Unternehmer Josef Kurz aus Gundelfingen neben einer riesigen Lenin-Figur. Foto: Bernhard Weizenegger

    Josef Stalin war nur 1,65 Meter groß. Ein kleiner Mann, sein Gesicht übersät von Pockennarben. Sein linker Arm war nach einem Unfall in der Kindheit verkrüppelt, er hinkte leicht. So sah die Wirklichkeit aus.

    Der Stalin, der auf das Büro von Josef Kurz starrt, ist über zwei Meter groß und steht zusätzlich auf einem zwei Meter hohen Fundament. Eine Statue des Massenmörders, und sie wirkt riesig. Sie ist aus Kalksandstein und hat ein paar Einschusslöcher, an einigen Stellen wächst Moos. Dieser Stalin hat den charakteristischen Schnurrbart des Originals, aber keine Pockennarben. Er hat einen Blick, wie ihn Bildhauer gerne von Diktatoren einfangen: ernst, entschlossen, weise.

    Heute existieren kaum noch Statuen von Stalin

    Josef Kurz schaut ein paar Sekunden zu ihm hoch. „Er war ein Dreckschwein“, sagt er dann. Ein Foto von ihm neben Stalin? „Niemals“, sagt er. Nicht neben dem.

    Kurz leitet hier in Gundelfingen im Kreis Dillingen einen Steinmetz-Betrieb, die Statue steht auf dem Gelände seiner Firma. Schwierig, ihm beim Dreckschwein zu widersprechen. Allein die „Säuberungen“, die Art, wie sich Stalin echter oder vermeintlicher politischer Gegner entledigte, kostete bis zu 20 Millionen Menschen das Leben. Als er 1953 einen Schlaganfall erlitt, in seinem Urin lag und starb, kam ihm stundenlang niemand zu Hilfe. Seine Vertrauten und Ärzte hatten Angst, dass er sie umbringen lassen würde, sollten sie ihn in diesem Moment der Schwäche sehen.

    Es ist angesichts von Stalins Verbrechen nicht verwunderlich, dass die meisten Statuen, die ihn darstellen, nicht mehr existieren. Sie sind von öffentlichen Plätzen verschwunden, fast alle wurden zerstört. Man muss nach Litauen oder Stalins Geburtsland Georgien reisen und dort Ausstellungen besuchen, wenn man eine sehen will.

    Oder man fährt eben zur Firma von Josef Kurz. Hier steht 25 Jahre nach dem Fall der Mauer noch eine Figur des Despoten. Und nicht nur eine von ihm. Stalin wird flankiert vom tschechoslowakischen Diktator Klement Gottwald und dessen Nachfolger Antonín Zápotocky.

    Auf dem Betriebshof reihen sich tausende Grabsteine und Engelsfiguren aneinander, aber dazwischen liegen auch die gewaltigen, steinernen Darstellungen von Wladimir Iljitsch Lenin und Ernst Thälmann, dem KPD-Vorsitzenden aus der Zeit der Weimarer Republik. Es ist die größte Sammlung dieser Art in Deutschland.

    In Gundelfingen hat Josef Kurz eine Sammlung kolossaler Steinfiguren

    Wie sind die Figuren bloß an diesen Ort gekommen? Nach Gundelfingen, zu einem Kaufmann, der von sich sagt, er sei ein schwäbischer Kapitalist. Josef Kurz bittet in sein Büro. Er setzt sich, ehe er das erklärt. Er muss etwas ausholen. Die Geschichte, die er erzählt, ist vor allem die Geschichte seines Vaters. Der Firmengründer hieß ebenfalls Josef Kurz. „Die Statuen sind ihm in den Schoß gefallen“, sagt der Sohn.

    Und das kam so: Als der Vater 1992 aus geschäftlichen Gründen nach Rma(r)ov (Römerstadt) in die damalige Tschechoslowakei fuhr, um dort Natursteine zu kaufen, nahm ihn der Bürgermeister beiseite. Ob er, der Steinhändler, etwas mit der Stalinstatue anfangen könne, die seit Jahren in einem Heuschuppen liege. Kurz senior wollte sie haben, aber er war nicht bereit, Geld dafür hinzulegen.

    Stattdessen spendete er an das örtliche Krankenhaus, in dem es zu der Zeit an so ziemlich allem mangelte: Verbandszeug, Bettpfannen, Spritzen. „So hat Stalin wenigstens als Statue den Menschen auch einmal etwas Gutes gebracht“, sagt Kurz junior heute.

    Nachdem sein Vater das erste Denkmal des Sozialismus nach Gundelfingen transportiert hatte, wurde er zu einer Art Medienstar. Deutsche Zeitungen berichteten über ihn und seinen ungewöhnlichen Besitz, aber auch Presseleute aus den Ländern des ehemaligen Ostblocks. Dort wollten viele Menschen nicht, dass das versteinerte Erbe des untergegangenen Sozialismus zerstört wurde. Sie kontaktierten Kurz, und der sagte zu den Angeboten nicht Nein. Innerhalb weniger Jahre eignete er sich auf diesem Weg eine regelrechte Sammlung kolossaler Statuen an. Er sah darin ein Stück Vergangenheitsbewältigung, eine Mahnung an die Nachwelt.

    Kurz senior muss ein ungewöhnlicher, ja eigensinniger Mensch gewesen sein. Als die Verwaltung Dresdens 1992 haderte, was sie mit dem 120 Tonnen schweren und sieben Meter hohen Lenin-Denkmal vor dem Hauptbahnhof anstellen sollte, legte er sich ins Zeug. Er war nun auch bereit zu zahlen. „Der Preis spielt keine Rolle“, teilte er der Stadt mit. „Stalin, Gagarin und Thälmann habe ich schon. So ein kleiner Lenin fehlt mir noch.“ Er bekam ihn schließlich geschenkt. Mittels einer Spezialmaschine wurde die Figur in ihre Einzelteile zerlegt und unter Polizeischutz auf sieben Lastzügen nach Schwaben transportiert. Zusammengebaut wurde sie seither nicht. Lenins tonnenschwerer Oberkörper liegt heute hinter der Werkhalle.

    Einige seiner Figuren waren fünf Meter hoch

    Gegen Rummel und Aufmerksamkeit hatte Kurz nichts. Zwischenzeitlich besaß er 20 Figuren, einige waren fünf Meter hoch. Er plante, einen Skulpturenpark in Wackersdorf in der Oberpfalz zu eröffnen; auf dem Gelände der Bayernwerk AG sollte eine Art Disneyland mit sozialistischen Steinfiguren entstehen. Kurz wollte dazu ein 43 Meter hohes Siegesdenkmal aus Sofia und 116 weitere Skulpturen anschaffen.

    Für den Geschäftsmann war das Projekt auch ein Ausdruck bayerischer Liberalität. Man könne es sich hier sogar leisten, rote Genossen aufzustellen, sagte er. Doch dann wurden die Bayernwerke privatisiert und die Pläne zerschlugen sich. 1995 starb Kurz, den Steinhandel und die Statuen übernahm sein Sohn Gerd. Der teilte das leidenschaftliche Interesse seines Vaters an den Figuren nicht. Die Sammlung hat sich seither verkleinert.

    2010 starb Gerd Kurz überraschend in China. Seitdem führt Bruder Josef das Familienunternehmen. Auch dessen Herz hängt nicht an den Hinterlassenschaften des Vaters. Das Haus der Geschichte in Bonn hat der Firma drei Exemplare abgekauft, darunter einen Stalin. Heute stehen auf dem Firmengelände noch sieben Statuen.

    Kurz ist, anders als seine Brüder, kein gelernter Steinmetz, sondern Groß- und Außenhandelskaufmann. Von Lenin stammt der Satz, dass man einen Menschen nicht an seinem Mund, sondern an seinen Händen erkenne. Das Zitat hätte genauso gut von Kurz senior sein können. Der hat seinem Sohn einst erklärt, mit diesen Händen solle er lieber etwas anderes machen als Steinmetz.

    „Er hatte für so etwas immer ein Gefühl“, sagt Kurz und hält wie zum Beweis die Hände in die Höhe. Seine Finger sind lang und zart wie die eines Pianisten, und auch sonst macht der Unternehmer nicht unbedingt den Eindruck eines Handwerkers. Er ist 50 und seine grauen Haare sind schulterlang. An seinem linken Ohr baumelt ein Ring, Kurz trägt Fünftagebart und lässige Kleidung. Er ist ein belesener Mann, der Politik und Geschichte studiert hat und die Biografien der Menschen hinter den Skulpturen sehr gut kennt. Das Risiko, dass sein Vater mit ihnen einging, war ihm immer klar. Nicht überall kam die Sache gut an. Manch ein Gundelfinger reagierte mit Unverständnis auf die spektakulären „Denkmäler“. „Es gab viele Befürchtungen, dass wir zu einer Pilgerstätte für Leute werden, die ihre Idole noch einmal besuchen wollen“, sagt Kurz.

    Skulpturen sind ein Stück Zeitgeschichte

    Das hat sich nicht bestätigt, im Gegenteil. Kurz erzählt die Geschichte eines alten Tschechen, der mal vorbeikam, um einen steinernen Stalin anzusehen, dem die Nase fehlte. „So wie der Sphinx bei Asterix.“ Der alte Tscheche hatte die Nase eben dieser Figur als junger Mann abgeschlagen und dafür zwei Jahre im Arbeitslager verbracht. Nun wollte er noch einmal einen Blick auf die Statue werfen, die ihm so viel Unglück gebracht hatte. Am Ende hoben ihn die Mitarbeiter des Steinmetz-Betriebes mit einem Kran auf die Schultern Stalins. Mehr Symbolik geht kaum. Kurz grinst, als er das erzählt.

    Auch heute noch, sagt Kurz, würden viele Menschen ihn fragen, was es mit den Statuen auf sich habe. Und was aus ihnen wird. Der beliebte Donau-Radweg führt direkt an der Firma vorbei, von dort aus ist es schwer, Stalin und Thälmann zu übersehen. Kurz erklärt dann den irritierten Besuchern, woher die Figuren kommen. Aber er tut sich schwer damit, zu sagen, was er mit ihnen vorhat. Es gebe immer mal wieder Kaufangebote, manche seien seriös, andere nicht. Ein Privatmann wollte Stalin zerkleinern und Schmuck aus den Einzelteilen machen. Kurz lehnte ab.

    „Eigentlich gehören die Skulpturen in den öffentlichen Raum, in ein Museum“, sagt er. „Sie sind ein Stück Zeitgeschichte.“ Vielleicht aber bleiben Stalin, Lenin und Co. auch noch eine ganze Weile dort, wo sie jetzt sind.

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