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Interview: "Bei Lawinen zählt jede Sekunde": Ein Bergführer im Interview

Interview

"Bei Lawinen zählt jede Sekunde": Ein Bergführer im Interview

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    Immer wieder gehen in den Alpen mächtige Lawinen ab. Derzeit ist die Situation besonders angespannt. Bergführer Bernd Zehetleitner rät, as Unfallszenario immer wieder zu üben.
    Immer wieder gehen in den Alpen mächtige Lawinen ab. Derzeit ist die Situation besonders angespannt. Bergführer Bernd Zehetleitner rät, as Unfallszenario immer wieder zu üben. Foto: Imago

    Herr Zehetleitner, Sie beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit der Lawinenproblematik und veranstalten kommenden Sonntag auch zum 21. Mal einen Lawinentag am Nebelhorn bei Oberstdorf. Wie ist die Situation derzeit in den Alpen?

    Bernd Zehetleitner: Im gesamten Alpenraum herrscht eine große bis sehr große Lawinengefahr. Auffällig ist, dass die Situation quasi in allen Höhenstufen gleich gefährlich ist. In den Lagen unter 1600 Meter besteht das große Problem der Nassschneelawinen durch Tauwetter und zeitweilige Niederschläge als Regen.

    In den Hochlagen wurde der viele Neuschnee durch starken Wind und Sturm intensiv verfrachtet und es besteht große Gefahr durch sehr störanfällige Triebschneeansammlungen. Wind gilt bekanntlich als Baumeister der Lawinen. Und in den vergangenen Wochen hat es ja wiederholt stark gestürmt.

    Im Flachland gab es ja in diesem Winter bisher nur sehr wenig Schnee. Und es war fast immer mild. Wie kann dann in den Bergen so viel Schnee fallen?

    Zehetleitner: Bedingt durch den normalen Temperaturrückgang in höheren Lagen kam dort alles, was es im Tal geregnet hat, als Neuschnee runter. Im Wallis hat es zum Beispiel innerhalb einer Woche sage und schreibe drei Meter Neuschnee gegeben. Soviel, wie seit 1999 nicht mehr.

    Hat es im Allgäu und in den bayerischen Alpen auch so viel geschneit?

    Zehetleitner: Im Allgäu waren die Schneefälle nicht ganz so ergiebig, aber allein seit Sonntagabend gab es auch hier immerhin 40 Zentimeter Neuschneezuwachs unter kräftigem Westwindeinfluss, was die Schneedecke sehr störanfällig macht.

    Wer beurteilt eigentlich die Lawinengefahr vor Ort?

    Zehetleitner: Grundsätzlich bietet die umfangreichste Basis für die Lawinenbeurteilung der Lawinenlagebericht. In Bayern erstellt diesen der Lawinenwarndienst in München. Dort werden die Empfehlungen und Beurteilungen der lokalen Lawinenkommissionen verarbeitet.

    In Bayern gibt es 35 Lawinenkommissionen. Darin sind Ehrenamtliche tätig, die täglich die Gefahr beurteilen. Die örtlichen Kommissionen beraten Gemeinden oder Liftbetreiber, die dann letztlich für Sperrungen zuständig und verantwortlich sind.

    Diese Grafik erklärt das "Phänomen" Lawine: Lawinentypen, Entstehung von Lawinen, Gefahrenstufen
    Diese Grafik erklärt das "Phänomen" Lawine: Lawinentypen, Entstehung von Lawinen, Gefahrenstufen Foto: Dpa-infografik Gmbh

    Wie sollten sich Wintersportler derzeit verhalten?

    Zehetleitner: Derzeit ist absolut zu empfehlen, auf den gesicherten Skipisten zu bleiben und auch den Hinweisen und Sperrungen unbedingt Folge zu leisten. Skitouren sind nur sehr bedingt möglich und erfordern großes lawinenkundliches Beurteilungsvermögen.

    Kann man auf gesicherten Pisten auch in Gefahr geraten?

    Zehetleitner: Theoretisch schon, aber die Gefahr ist bis auf ein geringes Restrisiko minimiert. Trotz intensivster Sicherungsmaßnahmen kommt es fast jedes Jahr auch mal auf Skipisten zu Lawinenunfällen, welche meist im freien Skiraum ausgelöst werden. Also durch Wintersportler, die abseits des gesicherten Pistenraums unterwegs sind. Kommt es ganz dumm, könnte ein Schneebrett dann auch eine Piste erreichen.

    Wo kann man sich über die Lawinengefahr informieren?

    Zehetleitner: Quasi jedes Land bietet im Internet den aktuellen, für die Region passenden Lawinenlagebericht und weitere Infos an. Außerdem gibt es diverse Apps.

    Bei welcher Gefahrenstufe ereignen sich eigentlich die meisten Lawinenunfälle?

    Zehetleitner: Die meisten Unglücke passieren bei Stufe 3. Da gibt es einen nicht ganz einfach zu beurteilenden Übergangsbereich, bei dem viele noch gehen. Aber es kann schon gefährlich sein. Während bei den Warnstufen 1 und 2 überwiegend sicherere Verhältnisse vorherrschen, sollte bei Stufe 4 und 5 hoffentlich jedem klar sein, dass es zu gefährlich ist. Übrigens gibt es aber auch bei Warnstufe 1 Lawinenunfälle.

    Wie lange dauert es jetzt, bis sich die Situation entspannt?

    Zehetleitner: Wir rechnen damit, dass sich die Lawinensituation in den nächsten Tagen nur langsam entspannen wird.

    Was gehört zwingend zur Sicherheitsausrüstung?

    Zehetleitner: Das Lawinenverschüttetensuchgerät, Sonde und Schaufel, sowie Handy müssen immer dabei sein. Grundsätzlich sollte man beim Skifahren immer einen Recco-Ortungsreflektor tragen, der oft schon in der Skibekleidung integriert ist. Good to have ist auch ein Lawinenairbag, der unter bestimmten Voraussetzung eine Verschüttung verhindern kann.

    Die ganze Sicherheitsausrüstung nützt natürlich wenig, wenn diese nicht im Notfall unter Stress angewendet werden kann. Das heißt, man sollte beispielsweise das Suchen, Sondieren und Ausgraben regelrecht üben.

    Wo kann man als Wintersportler das richtige Verhalten erlernen?

    Zehetleitner: Grundsätzlich sollte jeder, der abseits der Pisten unterwegs ist, zumindest über die wichtigsten Grundlagen der Lawinenbeurteilung und über die Handhabung der Notfallausrüstung Bescheid wissen. Hierzu bieten Bergschulen Kurse an.

    Aber auch danach ist es wichtig, das Notfallszenario immer wieder durchzuspielen. Nur dann besteht die Chance, dass im Ernstfall die Kameradenrettung funktioniert. Denn dann zählt jede Sekunde.

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