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Justiz: Die Hölle im Urlaubsparadies

Justiz

Die Hölle im Urlaubsparadies

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    Der 67-jährige Angeklagte steht vor Prozessbeginn im Landgericht mit seinem Anwalt Benjamin Ruhlmann im Sitzungssaal und hält sich Plastiktüte und Ordner vors Gesicht. Er soll 30 Jahre lang Kinder missbraucht haben.
    Der 67-jährige Angeklagte steht vor Prozessbeginn im Landgericht mit seinem Anwalt Benjamin Ruhlmann im Sitzungssaal und hält sich Plastiktüte und Ordner vors Gesicht. Er soll 30 Jahre lang Kinder missbraucht haben. Foto: Sven Hoppe, dpa

    Sonne, Strand – und Triebtäter. Thailand hat nicht nur den Ruf, ein paradiesisches Urlaubsziel zu sein, sondern gilt seit Jahrzehnten auch als Paradies für sogenannte Sextouristen und Pädophile. In München hat am Dienstag ein Prozess mit Seltenheitswert begonnen. Ein 67 Jahre alter Mann steht vor Gericht, weil er jahrzehntelang thailändische Kinder missbraucht haben soll. 103 Fälle hat die Staatsanwaltschaft angeklagt – und die sind möglicherweise nur die Spitze des Eisberges.

    Die Geschichte geht in die 1980er Jahre zurück. Damals begann der gebürtige Stuttgarter laut Staatsanwaltschaft seine regelmäßigen Reisen nach Thailand. 1987 lernte er dort auch seine Ehefrau kennen, die nach Angaben von Anwältin Brandes als Prostituierte arbeitete und bereits Kinder hatte. Sie kam mit ihm nach Deutschland. Er reiste fortan immer wieder in ihren Heimatort Uthai Thani, rund 230 Kilometer nördlich von Bangkok. Seine Opfer soll er dann vor allem im Umfeld der Familie seiner Frau gesucht und gefunden haben. Über mehr als 30 Jahre soll der Mann immer wieder Kinder – meistens Jungen – auf schwerste Weise missbraucht haben. Das jüngste Opfer war laut Anklage gerade einmal acht Jahre alt. Die Tatorte: das Dorf seiner Frau, verschiedene Touristenhotels in Thailand und auch seine Wohnung in München. Mindestens vier seiner Opfer soll er zeitweise nach Deutschland geholt haben.

    Die Ermittlungen kamen durch die Stieftochter des Mannes ins Rollen. Sie gibt an, selbst über zehn Jahre lang von ihm missbraucht worden zu sein. Die Taten sind längst verjährt. Als sie ein Video fand, auf dem der Missbrauch an einem Kind dokumentiert war, ging sie zur Polizei – so schildert es eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Bei einer Durchsuchung der Münchner Wohnung des Angeklagten soll sich dann das ganze Ausmaß des Missbrauchs gezeigt haben: Mehr als 8500 Kinderpornos wurden dort gefunden – darunter 19 Videos mit einer Gesamtlaufzeit von fast zwölf grauenvollen Stunden, die meisten auf VHS-Kassetten. Darauf soll auch der Angeklagte selbst zu sehen sein. In einem Fall soll er einem der Jungen Strumpfhosen und Frauenkleider angezogen haben, bevor er ihn missbrauchte. Die schockierenden Einzelheiten sind kaum zu ertragen. Er soll sich unter anderem an einem Neffen seiner Stieftochter vergangen haben, der in dem Verfahren vor dem Landgericht München I nun als Nebenkläger auftritt. Die Stieftochter ist als Zeugin geladen.

    Der 67-Jährige trägt zum Prozessauftakt am Dienstag Schlabberlook und das ungepflegte, graue und lichte Haar zusammengebunden. Sein Gesicht verbirgt er hinter einer weißen Plastiktüte vor den Fotografen. Vergeblich versucht er, über seinen Anwalt zu verhindern oder wenigstens zu verzögern, dass das Material gezeigt wird. Zur Vorführung der drastischen Szenen wird die Öffentlichkeit – wie auch schon bei einer Erklärung der Verteidigung zu den Tatvorwürfen – ausgeschlossen. Die Vertreterin des Nebenklägers, Anwältin Antje Brandes, sagt später, der Angeklagte habe die Vorwürfe am Dienstag weitgehend eingeräumt, sich aber in einigen Fällen auf Erinnerungslücken berufen. Sein Verteidiger will auf Anfrage nichts dazu sagen. Auch das Gericht verweist auf das nicht öffentliche Verfahren und macht keine Angaben zu der Erklärung.

    Kindesmissbrauch und der sogenannte Sextourismus sind in Thailand nach wie vor ein großes Problem. Prostitution ist dort zwar offiziell verboten. Polizei und andere Behörden unternehmen dagegen aber nicht besonders viel. Nach Zahlen der Vereinten Nationen von 2014 verdienen in dem südostasiatischen Königreich mehr als 123000 Menschen mit Sex ihr Geld. Über die Hälfte davon ist unter 18, meist Mädchen, aber auch viele Jungen. Ein beträchtlicher Teil der Kunden sind Ausländer. Zwar hat sich der Sextourismus inzwischen in andere Länder verlagert wie Vietnam und Kambodscha; aber in der Hauptstadt Bangkok oder in Urlauberhochburgen wie Phuket oder Pattaya finden Männer immer noch sehr einfach billigen Sex, auch mit Teenagern. Auch viele Deutsche sind darunter – bei 800000 deutschen Touristen, die pro Jahr nach Thailand kommen, kein Wunder. „Sextourismus und Kindesmissbrauch hängen vielfach zusammen“, sagt Rudi Tarneden, Sprecher des UN-Kinderhilfswerks Unicef. „Denn oft landen Kinder in der Prostitution, die bereits zuvor in ihren Familien Missbrauch erfahren haben.“ Da beides illegal ist, ist es extrem schwer, verlässliche Schätzungen über das Ausmaß zu bekommen. Unicef Thailand berichtet allerdings, dass dort jedes Jahr rund 10000 Kinder wegen verschiedener Formen der Gewalt im Krankenhaus behandelt werden müssen. Zwei Drittel dieser Fälle ließen sich auf sexuelle Gewalt, vor allem gegen Mädchen, zurückführen. Unicef-Sprecher Tarneden sagt: „Sextourismus wird durch die Kaufkraft und die Skrupellosigkeit von Reisenden begünstigt.“ Nur selten werden die Täter ermittelt oder gar verurteilt. Das wird dieses Mal wohl anders sein. Britta Schultejans und Christoph Sator, dpa

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