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Atomausstieg: Die bayerische Energiewende steckt in der Sackgasse

Atomausstieg

Die bayerische Energiewende steckt in der Sackgasse

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    Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima setzte sich die CSU-Staatsregierung ehrgeizige Ziele. Fünf Jahre später ist davon nicht viel übrig. Bayern ist zum Bittsteller geworden. (Symbolfoto)
    Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima setzte sich die CSU-Staatsregierung ehrgeizige Ziele. Fünf Jahre später ist davon nicht viel übrig. Bayern ist zum Bittsteller geworden. (Symbolfoto) Foto: Julian Stratenschulte, dpa

    Wer Sinn für schwarzen Humor hat, kann sich in die Archive graben und nachlesen, wie alles begann – vor fünf Jahren bei der CSU-Klausur auf dem „heiligen Berg“ in Kloster Andechs. Die Reaktorkatastrophe in Fukushima hatte der Welt einen Schock und die alte Atompartei CSU in helle Aufregung versetzt. Parteichef Horst Seehofer und der damalige Umweltminister Markus Söder waren plötzlich wild entschlossen, so schnell wie möglich aus der Atomkraft auszusteigen. Eine überwältigende Mehrheit im Parteivorstand hatte dagegen größte Bedenken und trug sie auch vor. Das schönste Zitat zur Glaubwürdigkeitskrise der CSU, das damals aus der siebenstündigen Sitzung nach draußen getragen wurde, lautete: „Vor drei Monaten ist uns erzählt worden, es ist alles sicher und wir müssen um 14 Jahre verlängern, sonst bricht alles zusammen. Und jetzt wird gesagt: Es geht alles schneller als bei Rot-Grün und kostet nix. Habt’s uns früher angelogen oder lügt’s uns jetzt an?“

    Abstimmen ließ Seehofer im CSU-Vorstand damals nicht. Vor der Presse aber erklärte er unmittelbar nach der Sitzung den Atomausstieg zur beschlossenen Sache. Die Kritik schob er zur Seite mit dem denkwürdigen Satz: „Einwände sind kein Widerspruch zur Zustimmung zum grundlegenden Weg.“ Und als das Gegrummel in der Partei nicht enden wollte, gab’s Tage später noch ein kräftiges Basta obendrauf: „Die Grundsatzentscheidung, die zu treffen war, war eindeutig – nämlich durch mich.“

    Doch damit nicht genug. Seehofer musste den Zweiflern auch noch erklären, wie die Energiewende in Bayern bewältigt werden soll. Isar 1 war gleich nach Fukushima vom Netz genommen worden, die vier anderen bayerischen Meiler liefen weiter. Seehofer sagte: „Vier Kernkraftwerke innerhalb von zehn Jahren zu ersetzen, das sollte sich ein hoch entwickeltes Land wie Bayern zutrauen.“ Seine Formel damals: 50 Prozent der Leistung sollten durch erneuerbare Energien, 50 Prozent durch drei bis sechs neue Gaskraftwerke ersetzt werden. Bayern, bis dato Atomland Nummer eins in Deutschland, sollte Vorreiter der Energiewende sein.

    Wertschöpfung sollte in Bayern bleiben

    Im „Bayernplan“ der CSU zum Wahljahr 2013 wurde sogar das Ziel ausgegeben, dass der Freistaat, der bis dahin Strom exportierte, auch in Zukunft insgesamt so viel Strom produzieren soll, wie er selbst verbraucht. Die Wertschöpfung, so lautete das Versprechen, sollte in Bayern bleiben. Der damalige CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt sprach davon, dass in Zukunft mit Bürgersolar- oder Bürgerwindkraftanlagen ein „Gegengewicht zur bisherigen Marktmacht der großen Energiekonzerne“ geschaffen werde. Und auch bei der CSU setzte sich die Erkenntnis durch, dass es bei einer Energiewende, die diesen Namen verdient, nicht nur um Strom gehen darf, sondern auch um Wärme und Mobilität.

    Vieles kam anders als gedacht. Dass er seiner Partei den Atomausstieg aufgezwungen hat, kann Seehofer im Rückblick als politischen Erfolg verbuchen. Ohne diese Entscheidung wäre eine Rückeroberung der absoluten Mehrheit in Bayern im Jahr 2013 wohl eine Illusion gewesen. Doch sowohl seine Vorstellungen über die praktische Umsetzung der Energiewende als auch viele Bedenken seiner Kritiker erscheinen aus heutiger Sicht fast schon naiv. Das Ziel, Bayern könnte mal eben ein paar Gaskraftwerke bauen, um die Stromlücke zu schließen, hat sich als völlig unrealistisch erwiesen. Gleichzeitig sind die Stimmen verstummt, die Bayern im Fall des Atomausstiegs einen wirtschaftlichen Niedergang vorhersagten. Aber es herrscht Ernüchterung.

    SPD, Grüne und Freie Wähler im Landtag kritisieren Politik scharf

    Die Deutschen und die Umwelt

    Bio: In Deutschland gibt es europaweit den größten Markt für Bio-Lebensmittel, weltweit liegt die Bundesrepublik auf Platz zwei hinter den USA. Etwa jeder zwölfte landwirtschaftliche Betrieb im Land ist ein Bio-Betrieb. Der Handel erzielte 2014 mit Öko-Waren 7,9 Milliarden Euro Umsatz. Der „typische“ Bio-Kunde ist älter, weiblich und schaut weniger stark auf den Preis.

    Müll: In Deutschland wurden 2013 385 Millionen Tonnen Abfall weggeworfen. Davon kamen nur rund 50 Millionen Tonnen aus privaten Haushalten. Im Bereich der Verpackungsabfälle sind die Deutschen die größten Sünder innerhalb der EU – 213 Kilo warf der Einzelne im Schnitt weg.

    Energie: Nach dem Reaktorunglück im japanischen Fukushima 2011 wurde in Deutschland die Energiewende beschlossen. Dafür sollen alle Atomkraftwerke bis 2022 vom Netz gehen. Um die Versorgungslücken in Bayern zu schließen, wurde 2012 die Errichtung der Gleichstrompassage Süd-Ost beschlossen. Diese soll Windenergie aus dem Norden in den Freistaat bringen. Kritiker befürchten, dass damit aber auch Kohlestrom transportiert werden soll. In Deutschland liegt der Anteil von Ökostrom am gesamten Stromverbrauch bereits bei 33 Prozent, in zehn Jahren sollen es mindestens 40 Prozent sein.

    Der Ausbau der erneuerbaren Energien, die im Freistaat zu Beginn der Energiewende mit Wucht und mit viel Engagement der Bürger und Kommunen vorangetrieben wurde, ist nahezu völlig zum Erliegen gekommen. Das liegt zum Teil an Entscheidungen der schwarz-roten Bundesregierung (wie bei der Kürzung der Förderung von Sonnenenergie und Biogas), zum Teil an Entscheidungen der CSU-Staatsregierung (wie bei der Genehmigungspraxis für Windräder). Begründet wird die Zurückhaltung im Bereich der erneuerbaren Energien damit, dass sie bisher, weil es noch keine rentablen Speichertechnologien gibt, keinen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten und gleichzeitig über die EEG-Umlage die Preise in die Höhe treiben.

    SPD, Grüne und Freie Wähler im Landtag kritisieren diese Politik scharf. Ihr Hauptvorwurf: Die Staatsregierung lasse längst jeden Ehrgeiz vermissen, habe ihre Ausbauziele nach unten korrigiert, bleibe in entscheidenden Punkten vage und missachte den Klimaschutz. Außerdem komme Bayern auch bei den Themen Wärme und Mobilität nicht wirklich voran. Die CSU entgegnet, dass es keinen Sinn mache, große Ziele für eine ferne Zukunft zu formulieren, sondern dass es darauf ankomme, Schritt für Schritt das umzusetzen, was in Bayern und für Bayern möglich ist.

    Einst ehrgeiziges Projekt steckt in der Sackgasse

    Doch hier offenbaren sich die größten Schwächen der einst so hochgesteckten Ziele Seehofers. Für Gaskraftwerke finden sich, weil sie auf absehbare Zeit nicht rentabel sind, bisher keine Investoren. Erneuerbare Energien lassen sich mit größeren Ertragsaussichten und geringeren Kosten andernorts leichter realisieren. Bayern wird, so musste das Wirtschaftsministerium jüngst kleinlaut einräumen, im Jahr 2025 schätzungsweise 40 bis 50 Prozent seines Strombedarfs durch Einfuhr decken müssen.

    Was Strom angeht, ist die Staatsregierung in praktisch allen entscheidenden Bereichen der Energiewende auf die Bundesregierung angewiesen. Bei der Stromtrassenplanung hat sie sogar Kompetenzen abgegeben – was prompt für mächtig Ärger und Bürgerproteste sorgte. Bayern muss, um seine Wettbewerbsnachteile auszugleichen, in Berlin immer wieder um Sonderregelungen und höhere Subventionen bitten. Der bisher wichtigste Verhandlungserfolg: Das hochmoderne, aber derzeit unrentable Gaskraftwerk Irsching durfte am Netz bleiben. Für die Zukunft wurde vereinbart, dass Bayern zwei Gigawatt Leistung aus Gas zubauen darf. Irgendwann, vielleicht, wenn es sich lohnt. Bei den Verhandlungen zur Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), die kommende Woche zum Abschluss kommen sollen, steht für Bayern erneut viel auf dem Spiel. Unter anderem geht es um die Frage, ob bestehende Biogasanlagen, die vielen Landwirten ein Zusatzeinkommen beschert hatten und im Freistaat eine wichtige Rolle für die Versorgungssicherheit spielen, weiter gefördert werden.

    Der Traum von der Vorreiterrolle Bayerns in der Energiewende ist ausgeträumt. Das einst ehrgeizige Projekt steckt in der Sackgasse.

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