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Duogynon: Allgäuer kämpft wegen Missbildungen gegen Bayer-Konzern

Duogynon

Allgäuer kämpft wegen Missbildungen gegen Bayer-Konzern

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    Hat 15 große Operationen hinter sich: André Sommer aus Pfronten. Er kämpft seit Jahren gegen den Bayer-Konzert, der Schuld an seinen Missbildungen sein soll.
    Hat 15 große Operationen hinter sich: André Sommer aus Pfronten. Er kämpft seit Jahren gegen den Bayer-Konzert, der Schuld an seinen Missbildungen sein soll. Foto: Markus Raffler

    Zweimal haben deutsche Richter André Sommer bereits in die Schranken gewiesen. Keine Akteneinsicht. Kein Schmerzensgeld. Die Urteile fußen nicht auf Schuld oder Unschuld. Sie fußen auf einem einzigen Kriterium: Verjährung. Denn der Streitpunkt, der den Grundschullehrer aus Pfronten 2011 und 2012 gegen den Bayer-Konzern vor Gericht ziehen ließ, lag damals bereits über 30 Jahre zurück.

    Doch der David aus dem Ostallgäu bleibt stur, kämpft weiter gegen den Goliath aus Leverkusen. Nun erhält der Fall, der seit Jahren Medien in mehreren Ländern beschäftigt, neue Brisanz. Sommer durfte jüngst im Landesarchiv Berlin bislang nicht zugängliche Dokumente sichten. Und die belegen in seinen Augen eindeutig, wovon er seit langem überzeugt ist: Das Hormonpräparat Duogynon ist verantwortlich für die massiven Fehlbildungen, mit denen er vor 39 Jahren zur Welt kam.

    Ist das Präparat Duogynon Schuld an den Missbildungen?

    Seine Blase lag bei der Geburt außerhalb des Körpers, die Genitalien waren deformiert und mussten von Medizinern in komplizierten Eingriffen korrigiert werden. „Bis heute sind es 15 große Operationen. Die ersten vier Lebensjahre habe ich zur Hälfte in Kliniken verbracht“, sagt der Grundschullehrer, der inzwischen verheiratet ist und zwei Kinder (fünf und zwei Jahre) hat.

    In den 1950er Jahren hatte die Schering AG, die später im Bayer-Konzern aufging, Duogynon in Europa auf den Markt gebracht. Das hoch dosierte Hormonpräparat wurde unter anderem als Schwangerschaftstest eingesetzt. Auch Sommers Mutter gehörte 1975 zu den schwangeren Frauen, die das Präparat verschrieben bekamen – und ahnungslos einnahmen.

    Erst Anfang der 1980er Jahre wird Duogynon nach kritischen Rückmeldungen in Deutschland vom Markt genommen. Ein Ermittlungsverfahren in Berlin wird eingestellt, weil ein Zusammenhang zwischen Missbildungen und Präparat nicht 100-prozentig belegbar ist.

    Der 39-jährige Ostallgäuer kam trotz seines erheblichen Handicaps vergleichsweise glimpflich davon, wie er findet: „Ich konnte immer Sport treiben und bin normal zur Schule gegangen.“ Andere dagegen kamen mit massiven Herzfehlern, offenem Rücken, Wasserköpfen und deformierten Gliedmaßen zur Welt. „Von den vielen Fehlgeburten ganz zu schweigen.“ Allein in Deutschland haben sich fast 400 Betroffene in einem Netzwerk zusammengeschlossen. „Insgesamt sind es tausende Menschen“, sagt Sommer.

    Auch in ihrem Namen hat der Ostallgäuer nun im Landesarchiv Berlin über 30 Jahre alte Schriftwechsel und Gutachten der Schering AG durchforstet. Die 7000 Seiten sind für den Lehrer und seine britische Mitstreiterin Marie Lyon „purer Sprengstoff“. Denn sie lassen nach Sommers Überzeugung keinen Zweifel daran, dass Schering bereits in den 60er Jahren von den Risiken des Präparats wusste – bis hin zu Schwangerschaftsabbrüchen durch die hohe Hormondosierung.

    Der Allgäuer André Sommer kämpft seit Jahren gegen den Bayer-Konzern

    „Später durchgeführte Tierversuche ergaben ein Missbildungsrisiko von 1:5“, sagt Sommer. Das Präparat jedoch blieb auf dem Markt. Und noch etwas offenbaren die internen Pharma-Dokumente laut Sommer: „Es gab ein System der Verschleierung und Täuschung, angefangen von geschönten Gutachten bis hin zu Gefälligkeiten der Gesundheitsbehörden.“ Enttäuscht ist Sommer auch vom Rechtsnachfolger Bayer: „Da wird auf Zeit gespielt und Verantwortung weggedrückt.“

    Das Pharma-Unternehmen schließt das Präparat nach wie vor als Ursache für embryonale Missbildungen aus, wie es auf Anfrage unserer Zeitung erklärt: In den 70er und 80er Jahren seien umfangreiche Untersuchungen namhafter Experten zur Aufklärung möglicher Ursachen durchgeführt worden – Hinweise auf einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Einnahme und den gemeldeten Fällen hätten sich aber nicht ergeben. Dies hätten Gerichtsverfahren bestätigt.

    Auch heute seien „keine wissenschaftlichen Erkenntnisse bekannt, die die Gültigkeit der damaligen Bewertung infrage stellen“, heißt es bei Bayer. Zum Vorwurf, Ergebnisse von Tierversuchen seien ignoriert und Gutachten geschönt worden, bezieht Bayer keine Stellung.

    Sommers Hoffnungen ruhen nun auf den Behörden in England: Dort hat vor kurzem eine Untersuchungskommission die Arbeit aufgenommen. Sie soll mögliche Zusammenhänge zwischen Duogynon und den Missbildungen aufklären. „In England gelten andere Verjährungsfristen, möglicherweise kommt es dort zu einem Verfahren gegen Bayer.“ Wobei es ihm nicht um eine Entschädigung, sondern um etwas anderes geht: „Die Übernahme von Verantwortung und das Eingestehen gravierender Fehler.“

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