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Geiselnahme Ingolstadt: Geiselnehmer lehnt Gericht wegen Befangenheit ab

Geiselnahme Ingolstadt

Geiselnehmer lehnt Gericht wegen Befangenheit ab

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    Am zweiten Verhandlungstag im Geiselnahme-Prozess entsprach der Angeklagte seinem Ruf.
    Am zweiten Verhandlungstag im Geiselnahme-Prozess entsprach der Angeklagte seinem Ruf. Foto: Peter Kneffel (dpa)

    Schon am ersten Verhandlungstag hatten sich einige gewundert, die den Angeklagten bereits im Sommer vergangenen Jahres während des Stalking-Prozesses gegen ihn vor Gericht erlebt hatten – noch vor der von ihm verübten Geiselnahme. Er sei im Vergleich zu damals erstaunlich ruhig und gelassen geblieben, sagten sie. Am zweiten Verhandlungstag im seit Dienstag laufenden Geiselnahme-Prozess entsprach der 25-jährige Mann am Landgericht Ingolstadt gestern dann seiner Reputation. Und verursachte vor Gericht einen Eklat.

    "Wir fangen von vorne an"

    Landgerichtsvizepräsident Jochen Bösl hatte die Verhandlung gerade eröffnet und ihn gefragt, ob er heute keine rechte Lust gehabt habe, das Gericht zu beehren, als der psychisch kranke Mann von der Anklagebank her zurückblaffte: „Ich weiß von überhaupt nichts mehr. Nein, nein! Wir fangen von vorne an.“ Es folgte eine heftigere Diskussion, in der der Angeklagte dem Vorsitzenden der großen Strafkammer vorwarf, ihn zum ersten Verhandlungstag vorgeladen zu haben, obwohl er gewusst habe, dass es ihm nicht gut gehe. „Haben Sie mitbekommen, dass ich hier am Dienstag mit dem Rollstuhl rausgefahren werden musste?“, fragte er mit lauter werdender Stimme.

    Während der Pflichtverteidiger Jörg Gragert seinen Mandanten zu beruhigen versuchte, wurde dieser immer aufgebrachter. Er lehne das Gericht ab. Bösl unterbrach die Sitzung. Im Rausgehen wurde es dann nochmals lauter: Der Beisitzer wurde schärfer im Ton. Und Staatsanwalt Ingo Desing ermahnte den Angeklagten – mit gehobener Stimme – er möge sich jetzt mal zusammenreißen. Der quittierte das alles mit einem „Arschloch“.

    Ein mutmaßliches Schädel-Hirn-Trauma

    Der Hintergrund der Turbulenzen ist dieser: Im Gefängnis hat sich der Angeklagte – aus auf Nachfrage beim Verteidiger nicht genannten Gründen – wohl am Kopf verletzt. Jedenfalls habe der Kaisheimer Gefängnisarzt, der seinen Mandanten vor Prozessbeginn kurz examiniert hatte, wohl von einer Gehirnerschütterung gesprochen. Zugleich hatte er ihn aber für verhandlungsfähig erklärt, so Gragert. Wegen dieses mutmaßlichen Schädel-Hirn-Traumas könne sich der Angeklagte, wie er selbst sagte, an den ersten Verhandlungstag kaum erinnern. Die Aussage der wichtigsten Zeugin, der Vorzimmerdame des Dritten Bürgermeisters von Ingolstadt, sei ihm deshalb nicht mehr geläufig. Er wolle daher, dass sie erneut befragt wird. Auf Nachfrage des Richters konnte er sich gestern auch nicht mehr daran erinnern, dass er seine Ärzte am Dienstag von der Schweigepflicht entbunden habe. „Was?“, fragte er.

    Angeklagt wegen vierfacher Geiselnahme

    Der gelernte Lagerist ist angeklagt, weil er am 19. August vergangenen Jahres im Alten Rathaus von Ingolstadt vier Geiseln über Stunden festgehalten hatte. Verteidiger Gragert hatte am Dienstag eine Erklärung seines Mandanten vorgetragen. Der räume die ihm zur Last gelegten Vorwürfe vollumfänglich ein. Er bereue, was er getan habe. Das war der Stand der Dinge am Dienstag.

    Als nach kurzer Unterbrechung die Sitzung gestern fortgesetzt wurde, eröffnete der Angeklagte dem Gericht, dass er die Kammer zur Gänze wegen Befangenheit ablehne. Er sei nicht verhandlungsfähig gewesen. Er stelle diesen Antrag, nicht sein Pflichtverteidiger, sagte er. Der hatte ihm davon abgeraten, denn erklärtes Ziel der Verteidigung ist es, die Einweisung in den Maßregelvollzug einer geschlossenen Psychiatrie zu vermeiden. Warum er seinen Anwalt immer so ernst anschaue, wollte der Angeklagte dann von Richter Bösl wissen. „Ich benehme mich schließlich daneben, nicht mein Anwalt.“ Als die Situation erneut zu eskalieren schien, drohte Richter Bösl dem Angeklagten, Ordnungsmittel gegen ihn zu verhängen. Der erwiderte: „Ach was denn, Haft?“

    Kein Grund für eine Befangenheit

    Staatsanwalt Desing stellte seinerseits einen Antrag auf Ablehnung des Befangenheitsantrages. Auch der Anwalt der Nebenkläger, Peter Gietl, erklärte, dass er keine Gründe für eine Befangenheit der Kammer erkennen könne. Richter Bösl habe den Angeklagten zur Prozesseröffnung doch gefragt, ob er der Verhandlung folgen könne. Das habe dieser schließlich bejaht. Zudem habe er nicht den Eindruck gemacht, verhandlungsunfähig zu sein. Was der psychiatrische Gutachter Béla Serly dem Augenschein nach bestätigte: „Auf mich hat er einen wachen Eindruck gemacht.“

    Am Montag geht es weiter

    Wie es nun weitergeht und was der Vorfall für den weiteren Verlauf der Verhandlung bedeutet, wird sich am kommenden Montag entscheiden. Bis dahin muss eine andere Kammer des Landgerichts über den Befangenheitsantrag befinden. Zu der Erklärung mit seinem vollumfänglichen Geständnis stehe der Angeklagte jedenfalls, versicherte dessen Verteidiger Gragert gestern.

    Als sein Mandant sich wieder etwas beruhigt hatte, sagte er mit Blick auf die Vorzimmerdame des Bürgermeisters: „Ich kann ja verstehen, dass es für sie eine schwierige Situation ist, aber ich weiß eben nichts mehr.“ Deren Anwalt Gietl sorgt sich, dass die Frau möglicherweise tatsächlich wieder aussagen und ihrem Stalker und Geiselnehmer dabei erneut in die Augen schauen muss.

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