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Georgensgmünd: Die "Reichsbürger" in den Reihen der Polizei

Georgensgmünd

Die "Reichsbürger" in den Reihen der Polizei

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    Dieses selbst entworfene Wappen war bei „Reichsbürger“ Wolfgang P., dem Todesschützen von Georgensgmünd, überall am Haus zu finden.
    Dieses selbst entworfene Wappen war bei „Reichsbürger“ Wolfgang P., dem Todesschützen von Georgensgmünd, überall am Haus zu finden. Foto: Daniel Karmann, dpa

    Als am frühen Morgen des 19. Oktober das Spezialeinsatzkommando zu Wolfgang P. kam, um ihm seine 31 Waffen wegzunehmen, wartete der „Reichsbürger“ schon hinter der Schlafzimmertür. Er hatte eine Pistole und trug eine schusssichere Weste. Die Beamten kamen die Treppen hoch, P. eröffnete das Feuer. War der Mann gewarnt?

    Gleich nach dem tödlichen Vorfall von Georgensgmünd (Landkreis Roth) wurde aufgrund der Umstände des Einsatzes dieser Verdacht laut. Jetzt versuchen die Ermittler, mehr darüber herauszufinden. Am Mittwochvormittag wurden die Wohnungen und Diensträume zweier mittelfränkischer Polizisten durchsucht. Der Oberkommissar, 49, und der Hauptkommissar, 50, haben offenbar über einen WhatsApp-Chat regen Kontakt zum „Reichsbürger“ P. gepflegt. Ihre Handys und Computer wurden sichergestellt. Beim 49-Jährigen wurden zudem verbotene Gegenstände wie Wurfsterne, ein Wurfmesser und eine Schreckschusswaffe ohne Zulassung entdeckt.

    Im Polizeicomputer für den "Reichsbürger" recherchiert

    Was die Ermittler bisher offiziell bestätigen, ist, dass gegen den Oberkommissar wegen des Verdachts der Verletzung von Dienstgeheimnissen ermittelt wird. Konkret: Nachdem das Landratsamt Wolfgang P. mitgeteilt hat, dass er wegen Unzuverlässigkeit seine Waffen abgeben muss, soll der 49-jährige Beamte Ende August im Polizeicomputer recherchiert haben, ob etwas gegen den „Reichsbürger“ vorliegt.

    Reichsbürger, Germaniten, Identitäre - Die Szene der Staatsverweigerer

    Die Bewegung der Staatsverweigerer ist sehr heterogen. Sie umfasst mehrere sektenartige Gruppen von Verschwörungstheoretikern und Rechtsextremen, die seit den 1980er-Jahren entstanden und untereinander zerstritten sind.

    Nur in einem sind sie sich einig: Deutschland sei kein echter Staat, das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 bestehe fort.

    Die Gruppen haben keine feste Organisationsstruktur.

    Die erste bekannte Organisation von „Reichsbürgern“ wurde 1985 als „Kommissarische Regierung des Deutschen Reiches“ gebildet. Gründer war Wolfgang Gerhard Günter Ebel, ein Westberliner Eisenbahner, der sich fortan „Reichskanzler“ nannte.

    Die Anhänger sprechen dem Grundgesetz, Behörden und Gerichten die Legitimität ab.

    Ein Schwerpunkt in der Region ist das Allgäu. Doch bayernweit nehmen die Zahlen der "Reichsbürger" zu. Derzeit sind knapp über 300 Personen im Bereich des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West als „Reichsbürger“ eingestuft.

    Die Germaniten wurde im Dezember 2010 von einer gewissen Ulrike Kuklinski auf der Schwäbischen Alb gegründet.

    Sie sieht sich als Opfer der deutschen Justiz und bildete mit Gleichgesinnten die Behindertenfürsorge „Deutsche Ringvorsorge“, die Keimzelle des „Staates Germanitien“.

    Die Bewohner verstehen sich allen Ernstes als souveränes Staatsvolk mit einem eigenen Staatsgebiet in den Grenzen von 1937.

    Der Ursprung der Identitären Bewegung liegt in Frankreich, wo sie zu Beginn des Jahrhunderts im Dunstkreis des Front National entstand. Sehr aktiv ist die IB in Österreich, neuerdings auch in Bayern.

    Sie ist ethnopluralistisch – jede Ethnie soll ihren eigenen Raum haben – und geht von einer geschlossenen „europäischen Kultur“ aus, die vor allem vom Islam bedroht sei. Für Experten ist die IB eine neue Form des Rechtsextremismus. (hogs, sohu)

    Was die Ermittler nicht sagen: Es wird auch geprüft, ob die Polizisten Wolfgang P. vor dem SEK-Einsatz am 19. Oktober gewarnt haben. Dazu müssen nun die Chatprotokolle ausgewertet werden. Das kann auch deshalb einige Zeit dauern, weil nach Informationen unserer Zeitung teilweise verschlüsselt kommuniziert worden ist. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte gestern: „Ich bin entsetzt über diesen Verdacht. Es muss jetzt restlos aufgeklärt werden, ob er begründet oder unbegründet ist.“

    An dem Handy-Chat waren neben P. die beiden Polizisten, die Lebensgefährtin des 49-jährigen Oberkommissars und weitere Personen beteiligt, so Oberstaatsanwalt Alfred Huber. Würde sich der Verdacht bestätigen, dass einer der Polizisten Wolfgang P. vor dem Polizei-Einsatz gewarnt hat, dann wäre er mitverantwortlich für die tödlichen Schüsse auf einen Kollegen. Bei der Bluttat waren zudem drei weitere SEK-Beamte schwer verletzt worden. Es wäre eine Polizei-Affäre von gewaltigem Ausmaß.

    Der mittelfränkische Polizeipräsident Johann Rast betonte am Mittwoch, es werde nun akribisch ermittelt, inwieweit die beiden Polizisten Anhänger der „Reichsbürger“-Bewegung sind. Bislang seien sie gegenüber den Behörden nicht als solche aufgetreten. Beide sind vorläufig suspendiert. Die „Reichsbürger“ erkennen den Staat nicht an. Sie behaupten, das Deutsche Reich bestehe bis heute fort. Und sie sprechen dem Grundgesetz, Behörden und Gerichten die Legitimität ab.

    Auch Beamter aus dem Kreis Augsburg suspendiert

    Nach den tödlichen Schüssen von Georgensgmünd hat die Polizei bundesweit begonnen, in ihren eigenen Reihen nach möglichen „Reichsbürgern“ zu suchen. Sie wurde überall fündig. In Bayern gibt es nach Angaben des Innenministeriums derzeit zwölf Disziplinarverfahren gegen Polizisten wegen „Reichsbürger“-Verdachts, darunter sind zehn aktive und zwei Ruhestands-Beamte. Mit den beiden mittelfränkischen Polizisten sind momentan sechs Beamte vom Dienst suspendiert, davon stammt einer aus dem Landkreis Augsburg. Insgesamt gibt es bei der bayerischen Polizei rund 41000 Mitarbeiter. Erst am Dienstag hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière angekündigt, die „Reichsbürger“-Bewegung werde jetzt auch bundesweit vom Verfassungsschutz beobachtet.

    Angesichts dieses Zahlenverhältnisses will Hermann Benker, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, nicht von einer größeren Bewegung von „Reichsbürgern“ innerhalb der bayerischen Polizei sprechen. Benker sagt aber auch: „Jeder Fall ist einer zu viel“ und fordert ein konsequentes Vorgehen gegen Anhänger dieser Ideologie. „Reichsbürger“ würden bei ihnen sofort aus der Gewerkschaft ausgeschlossen werden. „Ich hoffe aber, dass es nicht noch mehr Fälle gibt“, so Benker.

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