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Kreis Aichach-Friedberg: Hat der israelische Geheimdienst ihren Vater getötet?

Kreis Aichach-Friedberg

Hat der israelische Geheimdienst ihren Vater getötet?

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    Auf der Suche nach der Wahrheit: Beate Soller und Kaj Krug mit dem Foto ihres Vaters Heinz Krug und ihrem eigenen Buch.
    Auf der Suche nach der Wahrheit: Beate Soller und Kaj Krug mit dem Foto ihres Vaters Heinz Krug und ihrem eigenen Buch. Foto: Ulrich Wagner

    Beate Soller saß gerade mit ihren Kindern beim Abendbrot, als die Männer in den dunklen Anzügen hereinkamen. „Die Herren sind vom Bundesnachrichtendienst“, sagte Sollers Ehemann, der dem unangekündigten Besuch die Tür geöffnet hatte. Er zeigte auf die Ausweise, die die beiden in den Händen hielten. „Wir sind hier, um Sie zu warnen“, erklärten die zwei Agenten des deutschen Geheimdienstes. „Wovor?“, fragte Soller. „Sie stechen mit Ihren Nachforschungen in ein Wespennest. Denken Sie daran, Sie haben Familie und Kinder. Es ist in Ihrem eigenen Interesse und auch in dem Ihres Bruders, wenn Sie die Finger von dem Fall lassen.“

    Dieser Besuch liegt schon ein paar Jahrzehnte zurück. Es sollte nicht das einzige Zusammentreffen mit Geheimagenten bleiben, erzählt Beate Soller. Sie sitzt am Esstisch in ihrer Wohnung in Ried. Der Mann der 70-Jährigen ist vor einigen Jahren gestorben. Soller wohnt inzwischen mit ihren erwachsenen Kindern in einem Mehrfamilienhaus in der 3000-Einwohner-Gemeinde im Süden des Landkreises Aichach-Friedberg. „Der BND wollte damals nicht, dass wir das Buch veröffentlichen“, sagt Soller. Sie wirkt deutlich jünger, als sie ist. Sollers feuerrote Haare fallen ihr in die Stirn. Ihre Fingernägel sind in einem ähnlichen Ton lackiert. In der Hand hält sie ein gerahmtes Porträt ihres Vaters Heinz Krug.

    Der wurde vor gut 55 Jahren aus ihrem Leben gerissen. Eines Tages war er plötzlich verschwunden. Agenten des israelischen Geheimdienstes Mossad haben ihn entführt und umgebracht – davon ist jedenfalls ein renommierter Enthüllungsjournalist überzeugt, der sich auf Zeugenaussagen und geheime Dokumente beruft. Von diesem Mann wird noch die Rede sein.

    Beim Gespräch in Ried sitzt neben Soller ihr Bruder Kaj Krug. Der 66-Jährige ist aus München gekommen, um bei dem Gespräch dabei zu sein. Er trägt ein kariertes Hemd, seine Haare sind kurz geschnitten. Krug ist höflich und spricht mit ruhiger Stimme. Er hat unter anderem als Journalist und Regisseur gearbeitet und eine eigene Nachrichtenagentur gegründet. Vor allem versucht er seit Jahrzehnten, das Schicksal des Vaters aufzudecken. Warum ist Heinz Krug verschwunden und was ist mit ihm geschehen?

    Unbekannte Männer passten Sohn Kaj auf der Straße ab

    Bei seinen Nachforschungen ging Sohn Kaj zeitweise über seine Grenzen hinaus. 2003 streikte sein Körper: Herz, Niere und Lunge versagten. „Ich lag im Koma“, sagt er. Er rappelte sich wieder auf und forschte weiter. Das brachte ihm zahlreiche unheimliche Begegnungen ein, wie er heute erzählt. Männer passten ihn auf der Straße ab, sie gaben sich als Agenten aus und drohten ihm unverhohlen. Unbekannte brachen in seine Redaktionsräume und seine Wohnung ein. Sie stahlen Fotos, Aufzeichnungen und Manuskripte und durchkreuzten damit seinen Plan, die mühevoll gesammelten Erkenntnisse über seinen Vater in einem Buch zu veröffentlichen.

    Als Krug ein weiteres Mal alle Dokumente genommen worden waren, war er kurz davor, aufzugeben. „Ich dachte nicht, dass ich die Kraft habe, es noch ein drittes Mal zu versuchen“, sagt er. Inzwischen haben er und seine Schwester doch das Buch veröffentlicht. „Am Ufer des Nils. Unser Vater ,Raketen-Krug‘ und der Mossad“ ist gerade erst erschienen.

    Wenn die beiden über die Zeit vor dem Verschwinden ihres Vaters reden, schwelgen sie in Erinnerungen an gemeinsame Ausflüge. Heinz Krug, ein begeisterter Pilot, nahm beide gerne mit. Überhaupt war sein Leben eng mit der Fliegerei verbunden. Im Zweiten Weltkrieg war er Pilot der deutschen Luftwaffe und dem Afrikakorps zugeteilt. Krug wurde im Krieg 13 Mal abgeschossen. Beate Soller ist der Überzeugung, dass das Gros der deutschen Piloten nicht mit den Nationalsozialisten sympathisiert habe. „Mein Vater war kein Nazi.“

    Heinz Krug (links) als Pilot in seiner Douglas DC-3. Zuvor war er Kampfflieger im Zweiten Weltkrieg.
    Heinz Krug (links) als Pilot in seiner Douglas DC-3. Zuvor war er Kampfflieger im Zweiten Weltkrieg. Foto: Privatarchiv Soller/Krug

    Allerdings arbeitete Heinz Krug zweifellos mit den führenden Wissenschaftlern des Regimes zusammen. Im Sommer 1944 wurde er nach Peenemünde auf die Ostsee-Insel Usedom abkommandiert. Dort wirkte er am deutschen Raketenprogramm mit. Wernher von Braun, Raketenkonstrukteur und technischer Direktor der Heeresversuchsanstalt Peenemünde, wollte Krug in seinem Team haben. Der Kampfflieger hatte kurz zuvor in Jura promoviert. Krug war kein Ingenieur, aber er kannte sich gut mit der Technik aus, sagt Sohn Kaj. Er beschaffte die Teile, die von Braun für seine Konstruktionen brauchte, und sorgte für die nötige Unterstützung in den Ministerien.

    Nach dem Krieg, sagen die Kinder, sei Krug im Zuge der Entnazifizierung von den US-Behörden als „sauber“ eingestuft worden. Er arbeitete zeitweise als Strafverteidiger. 1954 traf er den Strahlenforscher Eugen Sänger wieder, den er gegen Kriegsende kennengelernt hatte. Ein Jahr später wurde Krug Geschäftsführer des in Stuttgart angesiedelten Forschungsinstituts für Physik der Strahlantriebe, aus dem das heutige Forschungszentrum des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt entstand. Dort arbeitete damals eine Gruppe Wissenschaftler daran, für den ägyptischen Staatspräsidenten Gamal Abdel Nasser Raketen zu entwickeln.

    Die Raketen konnten auch für militärische Zwecke genutzt werden

    Ein gefährlicher Auftrag. Die Raketen konnten nicht nur dazu genutzt werden, um Satelliten in die Luft zu schießen, sondern auch für militärische Zwecke. Das war dem mit Ägypten verfeindeten Nachbarstaat Israel ein Dorn im Auge, schließlich drohte Nasser mit der Vernichtung Israels und traf umfangreiche Kriegsvorbereitungen.

    Heinz Krug beschaffte über seine „Intra Handelsgesellschaft“ notwendige Bauteile für das Programm und ließ diese nach Ägypten transportieren. Er war inzwischen als Fachmann in diesem Bereich bekannt. Die Presse verpasste ihm den Spitznamen „Raketen-Krug“. Seine Kinder glauben, dass der israelische Geheimdienst früh erkannte, wie wichtig er war.

    Dann kam der 11. September 1962. Heinz Krug war 49 Jahre alt, als er in München verschwand. „Unsere Familie ist an diesem Tag mehr oder weniger zerbrochen“, sagt Beate Soller. Ihre Mutter habe den Verlust ihres Mannes zeit ihres Lebens nicht überwunden. „Sie dachte stets, dass er irgendwann wieder zurückkommt.“ Lange stand die Familie unter Polizeischutz. Schon ein paar Tage nach dem Verschwinden von Heinz Krug erhielt die Familie einen seltsam aussehenden braunen Umschlag ohne Absender. Die Polizei ließ ihn röntgen. Es handelte sich um eine Briefbombe.

    Ein anderes Mal hörte Soller in der Gästetoilette ein seltsames Ticken. „Ich dachte zunächst, es handelt sich um einen Streich meines Bruders“, sagt sie. Doch in einer Lüftungsklappe versteckt entdeckte die Polizei erneut einen Sprengkörper, dieses Mal mit einem Zeitschalter. Die Ermittlungen zu der Frage, wer ihn dort deponiert hatte, brachten kein Ergebnis. „Wir fragen uns vor allem, warum jemand unsere Mutter und uns aus dem Weg schaffen wollte?“ Eine Antwort darauf haben die beiden, wie auf so viele andere Fragen, niemals erhalten.

    2016 kam dann noch einmal Fahrt in den Fall Heinz Krug. Plötzlich standen Journalisten vor der Tür von Beate Soller. Zeitungen berichteten weltweit. Ursache für den Aufruhr war ein Artikel in der israelischen Tageszeitung Haaretz. Demnach soll es der ehemalige SS-Obersturmbannführer Otto Skorzeny gewesen sein, der Heinz Krug in München erschoss, gemeinsam mit Helfern den Leichnam mit Säure überschüttete und diesen in einem Wald vergrub. „Das war sehr erschütternd“, sagt Soller. Angeblich hatte der Mossad den Nazi-Schergen zuvor angeworben.

    Soller hielt diese Version nie für überzeugend. Sie glaubt, ihren Vater ein Jahr nach seinem Verschwinden noch einmal in einem Park gesehen zu haben. Bevor sie ihn ansprechen konnte, wurde er von einem anderen Mann in ein Gebüsch gezerrt und verschwand. Inzwischen schließt Beate Soller nicht mehr aus, dass sie damals einem Doppelgänger begegnete. Das würde zu dem Enthüllungsbuch „Der Schattenkrieg“ über geheime Tötungskommandos passen, das Anfang des Jahres erschienen ist. Hier ist von einem solchen Doppelgänger die Rede.

    Ein renommierter Journalist glaubt, die Lösung zu haben

    Der israelische Investigativjournalist Ronen Bergman, 45, der an der berühmten britischen Universität Cambridge mit einer Arbeit über die Geschichte des Mossad promovierte, beruft sich auf Aussagen von Agenten und geheime Dokumente, die ihm zugespielt worden seien. Nach Bergmans Recherchen startete der Mossad damals eine groß angelegte Operation, um das ägyptische Raketenprogramm zu stoppen. Israelische Agenten nahmen Krug ins Visier. Einer, der sich als Oded bezeichnete, lockte ihn unter einem Vorwand in ein Haus in einem Münchner Vorort. Er gab vor, dass die ägyptischen Auftraggeber etwas mit Krug besprechen wollten. Dieser soll Oded mit seinem Mercedes selbst zu dem Haus gefahren haben.

    Dort überwältigen andere Agenten Krug – angeblich unter Führung des damaligen Mossad-Chefs Isser Harel. Sie verschleppten Krug nach Israel. Der Deutsche wurde nach Bergmans Angaben mehrere Monate lang „harten Verhörmethoden“ unterzogen. Krugs Kinder glauben, dass damit Folter gemeint ist. Die Verhöre brachten „üppige Früchte“; so heißt es zumindest in den Akten. Nach einigen Monaten habe Geheimdienst-Chef Harel einen seiner Männer beauftragt, Krug zu erschießen. Seine Leiche sei aus einer israelischen Militärmaschine über dem Meer abgeworfen worden.

    Krugs Kinder halten viel von dem israelischen Geheimdienst-Experten Bergman. Er hat das Vorwort für ihr eigenes Buch geschrieben. Jedoch zweifeln sie daran, dass jemals die volle Wahrheit über den Tod ihres Vaters ans Licht kommen wird. „Ronen Bergman kann auch nur berichten, was der Mossad ihm zugänglich gemacht hat“, sagt Soller. Die beiden befürchten, dass sich hinter dem Durchstecken der Geheimdokumente nur die Absicht verbirgt, einen Schlussstrich unter die Affäre zu ziehen.

    Von der deutschen Regierung sind Beate Soller und Kaj Krug enttäuscht. Diese habe trotz der Anfragen an zahlreiche hochrangige Politiker niemals eine Antwort geliefert. Aufgrund der neuen Erkenntnisse haben sie vor kurzem einen Brief an die israelische Botschaft in Berlin geschrieben. Darin bitten sie die zuständigen Stellen um umfassende Aufklärung des Falls. Eine Antwort blieb bislang aus. Soller sagt: „Ich glaube nicht, dass es jemals zu Ende ist.“

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