Startseite
Icon Pfeil nach unten
Bayern
Icon Pfeil nach unten

München: NSU-Prozess: Beate Zschäpe soll wahre Gefühle verborgen haben

München

NSU-Prozess: Beate Zschäpe soll wahre Gefühle verborgen haben

    • |
    Beate Zschäpe soll aus Angst keine Gefühlsregungen vor Gericht gezeigt haben.
    Beate Zschäpe soll aus Angst keine Gefühlsregungen vor Gericht gezeigt haben. Foto: Andreas Gebert (dpa)

    Die Hauptangeklagte im NSU-Prozess, Beate Zschäpe, hat ihr langes Schweigen und ihre ausbleibenden Gemütsregungen vor Gericht mit der Prozessstrategie ihrer ursprünglichen Verteidiger erklärt. Sie habe vor Gericht ihre "wahren Gefühle" verborgen, ließ die unter anderem wegen zehnfachen Mordes vor dem Oberlandesgericht München angeklagte 42-Jährige am Dienstag von ihrem später ins Verfahren eingestiegenen Verteidiger Mathias Grasel verlesen.

    Zschäpe stellte die Aussage vor das bevorstehende psychiatrische Gutachten des Sachverständigen Henning Saß, der seine Einschätzung im Wesentlichen auf Prozessbeobachtungen stützt und nach dem bekannt gewordenen vorläufigen Gutachten auch auf Zschäpes passive Art eingeht. Das psychiatrische Gutachten dürfte entscheidend für die Frage der Schuldfähigkeit und eine mögliche Sicherungsverwahrung Zschäpes werden.

    Angst vor Zusammenbruch

    Verteidiger Grasel erklärte, Zschäpe seien erst im Prozess die Auswirkungen der Morde und Anschläge des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) "voll bewusst" geworden. Tatsächlich sei ihr die "zermürbende Schweigestrategie" von ihren drei Altanwälten Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm nahegelegt worden, verlas ihr vierter Pflichtverteidiger Grasel. Befreit habe sie sich erst nach ihrer Aussage im Dezember 2015 gefühlt.

    Zudem habe Zschäpe sich Gefühlsregungen versagt, weil sie befürchtet habe, im Gerichtssaal zusammenzubrechen. Dieses Verhalten habe sie während der rund 13-jährigen Zeit im Untergrund mit ihren Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt praktiziert.

    Nach der Stellungnahme beendete das Gericht den Verhandlungstag, die anderen Prozessbeteiligten sollten Reaktionen auf die Ausführungen vorbereiten können. Das Gutachten von Saß hatte sich bereits vor Weihnachten wegen verschiedener Anträge verzögert.

    Das ist Beate Zschäpe

    Beate Zschäpe wurde am 2. Januar 1975 in Jena geboren. Dem Hauptschulabschluss folgte eine Ausbildung als Gärtnerin.

    Von Mitte 1992 bis Herbst 1997 ging Beate Zschäpe einer Arbeit nach, zweimal unterbrochen von Arbeitslosigkeit. So steht es in einem Bericht des ehemaligen Bundesrichters Gerhard Schäfer für die Thüringer Landesregierung. «Ihre Hauptbezugsperson in der Familie war die Großmutter», heißt es weiter.

    Mit dem Gesetz kam Zschäpe erstmals als 17-Jährige in Konflikt. Der Schäfer-Bericht vermerkt 1992 mehrere Ladendiebstähle. 1995 wurde sie vom Amtsgericht Jena wegen «Diebstahls geringwertiger Sachen» zu einer Geldstrafe verurteilt.

    Zu der Zeit war sie aber häufiger Gast im Jugendclub im Jenaer Plattenbaugebiet Winzerla, bald an der Seite des Rechtsextremen Mundlos. Über das ungewöhnliche Dreiecksverhältnis zwischen ihr, Mundlos und Böhnhardt ist viel spekuliert worden.

    Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt beteiligten sich zu der Zeit an Neonazi-Aufmärschen im ganzen Land.

    Im Alter von 23 Jahren verschwand die junge Frau mit den beiden Männern aus Jena von der Bildfläche. Zuvor hatte die Polizei ihre Bombenbauerwerkstatt in der Thüringer Universitätsstadt entdeckt.

    Danach agierte Zschäpe mit einer Handvoll Aliasnamen: Sie nannte sich unter anderem Silvia, Lisa Pohl, Mandy S. oder Susann D. Zeugen beschrieben sie als freundlich, kontaktfreudig und kinderlieb. Bei Diskussionen in der Szene soll sie jedoch die radikaleren Positionen ihrer beiden Kumpane unterstützt haben.

    Nach der Explosion in Zwickau am 4. November 2011 war Zschäpe mit der Bahn tagelang kreuz und quer durch Deutschland unterwegs. Sie verschickte auch die NSU-Videos mit dem menschenverachtenden Paulchen-Panther-Bildern. Am 8. November stellte sie sich der Polizei in Jena.

    Im Prozess schwieg Zschäpe lange Zeit. An Verhandlungstag 211, im Juni 2015, antwortete sie dem Richter ein erstes Mal, und zwar auf die Frage, ob sie überhaupt bei der Sache sei.

    Zu den Vorwürfen äußerte sich Zschäpe erstmal im September 2015. Ihr Verteidiger las das 53-seitige Dokument vor, in dem Zschäpe ihre Beteiligung an den Morden und ihre Mitgliedschaft im NSU bestritt. Lediglich die Brandstiftung in der letzten Fluchtwohnung des Trios gestand sie.

    Ein psychologisches Gutachten aus dem Januar 2017 beschreibt Zschäpe als "voll schuldfähig".

    Das NSU-Trio soll aus dem Untergrund heraus aus rechtsextremen Motiven zehn Morde und zwei Bombenanschläge verübt haben. Nach dem mutmaßlichen Suizid von Böhnhardt und Mundlos im November 2011 ist Zschäpe die einzige Überlebende des Trios. In dem seit Mai 2013 laufenden NSU-Prozess sind zudem vier mutmaßliche NSU-Helfer angeklagt. afp

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden