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NSU: Neue Panne und Kritik am Prozess

NSU

Neue Panne und Kritik am Prozess

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    Das Oberlandesgericht München hat die Anklage gegen die mutmaßliche Neonazi-Terroristin Beate Zschäpe nach Medienberichten in vollem Umfang zugelassen.
    Das Oberlandesgericht München hat die Anklage gegen die mutmaßliche Neonazi-Terroristin Beate Zschäpe nach Medienberichten in vollem Umfang zugelassen. Foto: dpa

    Aus dem Untersuchungsausschuss des Bundestages zum Neonazi-Terrortrio werden schwere Vorwürfe gegen das Bundeskriminalamt und den Generalbundesanwalt erhoben. Der Grünen-Obmann im Ausschuss, Wolfgang Wieland, sprach am Donnerstag in Berlin von einem "Kommunikationsdesaster".

    NSU-Ausschuss: Zweite Adressenliste aus Neonazi-Garage aufgetaucht

    Es geht dabei um eine Liste mit Adressen und Kontakten der NSU-Terrorzelle, die dem Ausschuss nicht zugeleitet worden war. Die Liste stammt ebenso wie eine erste, bereits bekannte Liste, aus einer von den Neonazis genutzten Garage in Jena und wurde dort im Januar 1998 entdeckt, berichteten Mitglieder des Ausschusses am Donnerstag in Berlin. SPD-Ausschussmitglied Eva Högl sagte, sie sei "einigermaßen schockiert", dass das Bundeskriminalamt BKA diese Liste bisher nicht an den Ausschuss weitergeleitet habe. Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) müsse sicherstellen, dass die Arbeit des Ausschusses durch seine Behörden nicht weiter behindert werde, sagte Högl. Auch der Generalbundesanwalt hätte längst darüber informieren müssen, sagte Wieland. Die Adressen hätten die Ermittler damals rechtzeitig auf die Spur des Trios bringen können, wurden allerdings den mit dem Fall befassten Zielfahndern nicht zur Verfügung gestellt.

    NSU-Terrorzelle: Kommunikationsdesaster

    Das Neonazi-Trio und seine mutmaßlichen Helfer

    UWE MUNDLOS: Der Professorensohn gilt als intellektueller Kopf der Terrorzelle. Am 4. November tötete sich der 38-Jährige selbst in einem Wohnmobil.

    UWE BÖHNHARDT: Der 34-Jährige soll ein Waffennarr gewesen sein, der schnell und gerne zuschlug. Auch er wurde am 4. November tot in dem ausgebrannten Wohnmobil gefunden, wohl von Mundlos erschossen.

    BEATE ZSCHÄPE: Die 37-Jährige ist als Mittäterin wegen Mordes angeklagt. Sie stammt aus zerrütteten Verhältnissen. Aufgefallen ist die erstmal als 17-Jährige bei mehreren Ladendiebstählen. In einem Jugendclub im Jenaer Plattenbaugebiet Winzerla lernte sie Uwe Mundlos kennen. Mit Uwe Böhnhardt hatte sie später eine Beziehung. Nachdem sie am 4. November 2011 die konspirative Wohnung der Gruppe in die Luft gesprengt hatte, fuhr Zschäpe tagelang mit der Bahn tagelang kreuz und quer durch Deutschland, bevor sie sich der Polizei stellte.

    RALF WOHLLEBEN: Der ehemalige NPD-Funktionär sitzt seit dem 29. November 2011 in Untersuchungshaft. Er soll dem Terrortrio 1998 beim Untertauchen finanziell geholfen, ihnen Geld und auch die spätere Tatwaffe zukommen lassen haben. Der 37-jährige Fachinformatiker ist inzwischen zwar nicht mehr NPD-Mitglied. Dass er noch als NPD-Funktionär die NSU unterstützt hat, gilt aber als wichtiges Argument für ein mögliches neues NPD-Verbotsverfahren.

    HOLGER G.: Der am 14. Mai 1974 in Jena geborene G. war der erste mutmaßliche NSU-Helfer, den die Polizei festnahm. G. soll seit Ende der 90er Jahre Kontakt mit dem aus Thüringen stammenden Trio gehabt haben. Den Dreien soll er seinen Führerschein, eine Krankenversichertenkarte und noch im Jahr 2011 einen Reisepass überlassen haben. So soll er ihnen ermöglicht haben, weiterhin verborgen zu agieren und rechtsextreme Gewalttaten zu verüben.

    CARSTEN S.: Der 32-Jährige soll zusammen mit Ralf Wohlleben die Tatwaffe zu den Morden beschafft haben. Nachdem S. umfassend ausgepackt hatte, ließ ihn die Bundesanwaltschaft im Mai nach viermonatiger Untersuchungshaft wieder frei. S. sagte sich nach Auffassung der Ermittler glaubhaft vom Rechtsextremismus los. Außerdem war er zur Tatzeit erst 19 Jahre alt, ihm könnte nach dem milderen Jugendstrafrecht der Prozess gemacht werden.

    ANDRE E.: Dem aus Sachsen stammenden 33-Jährigen wirft die Bundesanwaltschaft Beihilfe zum Sprengstoffanschlag des NSU in der Kölner Altstadt vor. E. soll eine enge Bindung zu dem Trio unterhalten haben. Im Jahr 2006 gab er Zschäpe als seine Ehefrau aus. Er soll den Wohnort der Drei verschleiert haben und ihnen seit dem Jahr 2009 Bahncards beschafft haben. Diese waren auf ihn und seine Frau ausgestellt, jedoch mit den Fotos von Zschäpe und Uwe Böhnhardt versehen.

    Die zweite Liste lag dem BKA und dem Generalbundesanwalt seit einem Jahr vor, wurde dem Ausschuss aber erst unmittelbar vor der Donnerstags-Sitzung vom Innenministerium zugeleitet. Die mutmaßlichen Mitglieder des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) - Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe - waren Anfang 1998 untergetaucht. Das umfangreiche Adressenverzeichnis hätte die Ermittler nach Chemnitz führen können, wo sich das Trio zeitweise aufhielt. Die drei Neonazis, von denen nur noch Zschäpe lebt, sollen zwischen 2000 und 2007 zehn Morde begangen haben. Erst im November 2011 flog die Bande auf.

    Unwissende V-Leute

    Der Ausschuss vernahm am Donnerstag zwei V-Leute-Führer des Thüringer Verfassungsschutzes, ohne wesentliche neue Erkenntnisse gewinnen zu können. Norbert Wießner und Reiner Bode hatten den Rechtsextremisten Tino Brandt geführt, der eine zentrale Rolle in der Neonazi-Szene spielte. "Es ist überraschend, wie wenig die V-Leute von der rechten Szene wussten", sagte Unions-Obmann Clemens Binninger.

    Brandt soll bis zu 100 000 Euro vom Verfassungsschutz erhalten haben, nach eigenen Angaben hat er damit die rechte Szene unterstützt. Nach Ansicht der Ausschussmitglieder konnte der Verdacht nicht ausgeräumt werden, dass die V-Leute regelmäßig die Neonazi-Szene vor Polizeieinsätzen warnten. Welchen Kontakt Brandt zu dem Neonazi-Trio hatte, ist bisher unklar.

    Zu wenig Platz im Gericht

    Sieben Wochen vor Beginn des NSU-Prozesses in München gegen Zschäpe und andere sehen SPD und Grüne große Mängel in der organisatorischen Vorbereitung.  Der Schwurgerichtssaal des Oberlandesgerichts sei mit 100 Plätzen für Zuschauer und Journalisten zu klein, sagten der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz und der rechtspolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Jerzy Montag, der Berliner Zeitung.

    "Der NSU-Prozess ist ein Jahrhundertprozess und in seiner Bedeutung nur vergleichbar mit den RAF-Prozessen. Das Medieninteresse war vorhersehbar und kann niemanden überraschen", sagte Wiefelspütz. Man dürfe jedenfalls nicht glauben, man könne mit 100 Plätzen Öffentlichkeit herstellen. "Das ist ein eindeutiges Versagen der bayerischen Justiz. Sie hat so schnell wie möglich angemessene Bedingungen zu schaffen."

    Auch Vertreter der Angehörigen von Opfern kritisierten die Platzverhältnisse: "Familienangehörige, die nicht als Nebenkläger auftreten können, haben kaum eine Chance, in den Gerichtssaal zu kommen", sagte Nebenklage-Anwalt Jens Rabe. dpa

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