
Wenn das Kind weg ist: Verzweifelte Mütter rufen bei Radikalisierung-Hotline an

In Nürnberg klingelt das Telefon gerade regelrecht Sturm. Dort kümmern sich drei Mitarbeiter um Eltern, die befürchten, dass ihre Kinder sich dem radikalen Islam zugewendet haben.
Einen regelrechten Ansturm auf die Radikalisierung-Hotline des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge gab es in den vergangenen Monaten. Der Grund dafür ist die Syrien-Krise. Die Berater bearbeiteten derzeit mehr als 300 Fälle, sagte Florian Endres von der Beratungsstelle Radikalisierung. Jede Woche kämen drei bis vier neue dazu. "Wir können feststellen, dass wir seit Anfang des Jahres ein deutlich höheres Anruferaufkommen haben", sagte Endres. "Das kann man analog zur Thematik Syrien setzen." Antenne Bayern hatte darüber zuerst berichtet.
Berater werden von verzweifelten Müttern angerufen
Die Berater helfen den Eltern von Jugendlichen, die in die islamistische Szene abkommen. Hauptsächlich rufen verzweifelte Mütter an. Derzeit geht es um Jugendliche, die nach Syrien oder in den Irak ausreisen wollen. "Diese Fälle bearbeiten wir zurzeit am meisten. Manche Jugendliche sind auch schon ausgereist." Mehr als 1.000 Anrufer haben sich bisher mit Hilferufen an die Berater gewandt. Rund 100 Anrufe waren es alleine in den vergangenen drei Monaten. Seit Anfang 2012 gibt es die Hotline.
Die Anrufe werden von drei Mitarbeitern in Nürnberg an eine der vier regionalen Beratungsstelle in Berlin, Bochum, Bremen und Frankfurt vermittelt. Dort versuchen die Experten, die gestörte Kommunikation zwischen Eltern und Kindern wieder herzustellen. Endres erklärt, dass es Fälle gebe, in denen die Eltern gar nicht mitbekommen haben, was ihr Kind vor hat. Erst durch einen Abschiedsbrief oder ein Telefonat würden sie dann erfahren, dass der Jugendliche inzwischen in Syrien ist. "Für die Eltern ist die reine Vorstellung wahnsinnig belastend, dass ihr Kind etwa in einem Video mit Gräueltaten auftauchen könnte." Endres erklärte: "Wir versuchen, den Eltern Hoffnung zu machen und sie darin zu bestärken, Vertrauen wiederherzustellen und eine Kommunikationsbasis aufzubauen."
Spezielle Programme werden für die zeitintensive Beratung gebraucht
Derzeit läuft in Hessen ein Programm, das die Berater bei der Salafismus-Prävention und De-Radikalisierung unterstütze. Mit dem Projekt "Wegweiser" leiste auch Nordrhein-Westfalen eine präventive Arbeit. Die Berater hoffen, dass solche Projekte auch in anderen Bundesländern entstehen. Grund dafür ist die intensive Betreuung, die einen Mitarbeiter stark auslastet. Die Beratung sei in den wenigsten Fällen mit ein paar Telefonaten oder Treffen getan, ein Zeitraum von einem Jahr müsste schon eingeplant sein. In den wenigsten Fällen könnte sie ganz abgeschlossen werden.
Seit dem Ausbruch der Kämpfe in Syrien im Jahr 2011 sind mehr als 400 Islamisten aus Deutschland in den "Heiligen Krieg" gezogen. Etwa 40 sollen dort gestorben sein, einige auch bei Selbstmordanschlägen. Viele Islamisten ziehen auch weiter in den Irak. (dpa/lby/AZ)
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