Startseite
Icon Pfeil nach unten
Bayern
Icon Pfeil nach unten

Schwaben: Trotz Arbeit bleibt die Angst vor der Abschiebung

Schwaben

Trotz Arbeit bleibt die Angst vor der Abschiebung

    • |
    Der junge Mann an der Bohrmaschine hat es geschafft: Seit drei Wochen macht der 19-Jährige eine Ausbildung bei Krisztina und Nikolaus Tichawa in Friedberg.
    Der junge Mann an der Bohrmaschine hat es geschafft: Seit drei Wochen macht der 19-Jährige eine Ausbildung bei Krisztina und Nikolaus Tichawa in Friedberg. Foto: Michael Hochgemuth

    Seine kleine Mietwohnung in der Kaufbeurer Wagenseilstraße und seine Arbeitsstelle sind seit Wochen verwaist. Marof K. versteckt sich bei Verwandten irgendwo in der afghanischen Provinz Lugar, bangt um sein Leben. Dazwischen liegen die völlig überraschende Abschiebung im Morgengrauen und ein Dutzend Flugstunden. "Ich lebe hier wie in einem Gefängnis", sagt Marof K.

    Der 32-Jährige galt als einer der zuverlässigsten Mitarbeiter bei der Kaufbeurer Schweißtechnik-Firma Burkhard. Am 4. Juli erschien er nicht an seinem Arbeitsplatz. Chefin Tanja Burkhard kam das seltsam vor, Kollegen spekulierten bereits über eine Abschiebung. Erst als sich der Afghane über Facebook meldete, sich entschuldigte, dass er nicht zur Arbeit kommen könne, gab es Gewissheit. Marof K. war am Morgen von der Polizei aus seiner Kaufbeurer Wohnung geholt, zum Flughafen gebracht und nach Kabul geflogen worden. Sieben Wochen später wechselt er regelmäßig seine Unterkunft. "Ich darf hier eigentlich nicht rausgehen", schreibt er per WhatsApp. "Ich weiß nicht, wann die Taliban vor der Tür stehen."

    "Marofs Schicksal nimmt uns sehr mit", sagt seine Chefin

    Marof K. gehört zu den Betroffenen der viel kritisierten rigorosen Abschiebepraxis in Bayern – vor sieben Jahren nach Deutschland geflüchtet, dreieinhalb Jahre in der Stammbelegschaft von Burkhard, in dieser Zeit vier Tage krank, höflich, fleißig, Aufenthaltsgestattung bis 17. Juli, unbefristeter Arbeitsvertrag, unbefristete Arbeitsgenehmigung. "Ich vermisse meine Kollegen und deutschen Freunde sehr", sagt er. Und dann ist da das Unternehmer-Ehepaar Tanja und Jürgen Burkhard – Inhaber des stark expandieren Familienbetriebs mit 175 Mitarbeitern, händeringend auf der Suche nach Fachkräften und zugleich persönlich betroffen. "Marofs Schicksal nimmt uns sehr mit", sagt Tanja Burkhard. "Wir haben Angst um ihn."

    Ihr Mann verweist aber auch auf einen Pakt zwischen der bayerischen Wirtschaft und der Staatsregierung zur beruflichen Eingliederungsarbeit von 2015, den Horst Seehofer, damals noch Ministerpräsident, unterzeichnet hat: "Mein Unternehmen hat wie viele andere in Schwaben die Herausforderung der Integration von Flüchtlingen in Arbeit gerne angenommen." Er fordert die Politik auf, besser zu differenzieren, die Leistungen der Betriebe zu respektieren. "Es muss möglich sein, dass ein unbefristet Beschäftigter, der sich selbst finanziert und die deutsche Sprache erlernt hat, bei uns bleiben kann."

    Wie viele Flüchtlinge in Bayern eine Ausbildung machen

    Immer mehr Flüchtlinge fassen Fuß auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Das belegen unterschiedliche Statistiken.

    Nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) haben deutschlandweit 28.479 junge Flüchtlinge inzwischen eine duale Ausbildung begonnen.

    Diese Zahl bezieht sich auf Ende 2017 und die acht wichtigsten Herkunftsländer, aus denen Asylbewerber nach Deutschland kommen: Syrien, Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan und Somalia.

    In Bayern wiederum ist in der Statistik von 6280 jungen Asylbewerbern die Rede, die Ende 2017 eine Ausbildung machten.

    Also so jemand wie Marof K. Er ist das, was man integriert nennen muss: Der 32-Jährige spricht gut Deutsch, unterstützte die Asylsozialarbeit der Caritas als Übersetzer, engagierte sich für seine Landsleute in der Gemeinschaftsunterkunft. Er will arbeiten, steht wirtschaftlich auf eigenen Füßen. Bis er in dem inzwischen berüchtigten Flieger nach Afghanistan sitzt. Berüchtigt, weil Innenminister Seehofer darüber witzelt, dass ausgerechnet an seinem 69. Geburtstag 69 Afghanen abgeschoben wurden. Vor Juni schob Deutschland wegen der prekären Sicherheitslage in Afghanistan nur Straftäter ab, sogenannte Gefährder und Identitätsverweigerer. Dann legte das Auswärtige Amt einen neuen Lagebericht vor. Die Bundesregierung hob die Beschränkungen auf. Auch unbescholtene Menschen wie Marof K. werden nun wieder in das vom Krieg zerrissene Land zurückgebracht – sogar mehrheitlich, wie die Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl mitteilt.

    Bayern sei bei der Abschiebung abgelehnter Asylbewerber besonders aktiv. Ob ein Flüchtling zur Schule geht, kurz vor dem Abschluss steht, eine Arbeits- oder Ausbildungsstelle hat, Deutsch spricht, integriert ist, wie sein Leben in Afghanistan weitergeht, das alles spiele keine entscheidende Rolle, kritisiert Pro Asyl. Für das Bundesinnenministerium sei dies das Mittel, um wie gewünscht die Zahl der Rückführungen nach Afghanistan deutlich zu erhöhen, heißt es.

    Freunde und Helfer aus Kaufbeuren halten nun Kontakt zu Marof K. Zum Telefonieren muss er seine Unterkunft verlassen. "Das ist für ihn gefährlich", sagt Waltraud Schürmann, die ihren Schützling noch aus seiner Zeit in einer Ostallgäuer Flüchtlingsunterkunft kennt. Er halte sich in einem von Taliban und Regierungstruppen stark umkämpften Gebiet auf. Seit er Anfang August einem Anschlag der Taliban knapp entkommen ist, ihm seine Papiere abgenommen wurden, müsse er sich verstecken. "Als Rückkehrer aus Deutschland gilt er bei radikalen Islamisten als Volksverräter oder deutscher Spion", sagt Schürmann.

    Der Flüchtling will Metzger werden, aber er soll abgeschoben werden

    Es ist ein menschliches Drama. Eines von vielen. Man muss nur mit Unternehmern in der Region sprechen, um weitere zu hören. Beispielsweise mit Metzgermeister Anton Weithmann aus Roggenburg im Landkreis Neu-Ulm. Händeringend sucht er Mitarbeiter. Keiner will mehr als Metzger arbeiten, sagt er. Da stellte er im Juli 2017 einen 31-jährigen Flüchtling aus Nigeria an. Unbefristet. "Ich will ihn jetzt ausbilden", erzählt er. "Aber er ist Analphabet, also muss er vorher Deutsch lernen, sonst kommt er doch in der Berufsschule nicht mit." Nun drohe ihm die Abschiebung. "Obwohl er alles selber zahlt, seine Wohnung, den Sprachkurs, niemandem auf der Tasche liegt", betont Weithmann und sagt: "Ist er weg, habe ich wieder niemanden."

    Marcello Danieli kennt das. Er ist Inhaber des Sonderdienstleisters Harder Logistics in Neu-Ulm. Betriebsverlagerungen sowie Montage und Demontage komplexer Anlagen gehören zu seinem Gebiet. Weltweit. Doch ihm fehlen Mitarbeiter. 14 aktuell – Elektriker etwa, Mechaniker, Schreiner. Alles habe er versucht, nichts habe geholfen. Manche Aufträge könne er gar nicht mehr annehmen, "wir vergraulen dadurch Kunden", schildert Danieli die angespannte Lage. Seit über zwei Jahren bemüht er sich, fünf Flüchtlinge auszubilden. Junge Männer, die motiviert und unglaublich engagiert seien. "Wenn ich Glück habe, bekomme ich im September einen, vielleicht zwei." So schwierig gestalteten sich die Genehmigungen. Einer sei schon abgeschoben worden, dem anderen drohe die Abschiebung. Danieli hat bereits Bundeskanzlerin Angela Merkel angeschrieben und seine Probleme geschildert.

    In diesen Branchen arbeiten Flüchtlinge

    In welchen Branchen die meisten Flüchtlinge tätig sind, darüber gibt eine Untersuchung der Bundesagentur für Arbeit Aufschluss.

    Demnach finden die meisten Jobs in der Zeitarbeit.

    Eine Rolle spielen darüber hinaus auch das Kfz-Gewerbe, der Bau, die Metall- und Elektroindustrie, das Gastgewerbe sowie der Dienstleistungssektor.

    Auch Fritz Maya kennt diese Fälle. Wenn auch nur aus Erzählungen seiner Kollegen. Er ist seit etwa vier Jahren ehrenamtlicher Flüchtlingshelfer in seinem Heimatort Obergriesbach im Landkreis Aichach-Friedberg. Der frühere Banker, der jetzt im Ruhestand ist, hat es sich von Beginn seines Ehrenamtes an zur Aufgabe gemacht, Flüchtlinge in Arbeit zu bringen. Nun gibt es einen Fall, der ihm und seinen Mitstreitern zumindest Hoffnung gibt. Es ist der des 19-jährigen Aman. In Wirklichkeit heißt der junge Mann anders. Doch seine Lage ist zu unsicher, als dass er seinen richtigen Namen in der Zeitung lesen wollte. Seit zweieinhalb Jahren lebt er mit seiner Familie in Deutschland, genauer in Obergriesbach. Während seine Familie mit den beiden jüngeren Brüdern eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten hat, sollte der 19-Jährige abgeschoben werden. Obwohl er gute Noten hat. Obwohl er gut Deutsch spricht. Obwohl er bestens im Dorf integriert ist, beispielsweise im örtlichen Fußballverein kickt, erzählt Maya. Zweimal sei Amans Antrag auf Aufenthaltserlaubnis abgelehnt worden. Er sollte nach Afghanistan abgeschoben werden, wie der junge Mann selbst erzählt. Weil seine Eltern ursprünglich von dort kommen. Er sagt, er sei noch nie dort gewesen, kenne keinen Menschen in dem Land, er sei im Iran geboren. Nun darf er wenigstens ein weiteres Jahr sicher in Deutschland bleiben. Dank eines Ausbildungsvertrags.

    Tichawa weiß, wie schwierig es sein kann, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen

    Vor drei Wochen hat er seine Lehre zur Fachkraft für Metalltechnik bei der Friedberger Firma Tichawa begonnen, zwei Jahre soll sie dauern. Doch Krisztina und Nikolaus Tichawa wollen sie eigentlich auf dreieinhalb Jahre verlängern. Für das Unternehmerpaar ist Integration eine Selbstverständlichkeit. Nicht nur aus betriebswirtschaftlicher Notwendigkeit. Ihnen geht es um Menschlichkeit. Krisztina Tichawa ist gebürtige Ungarin, ihr Mann Österreicher. Vor etwa 30 Jahren hat er selbst erlebt, was es heißt, in Deutschland um eine Arbeitserlaubnis bangen zu müssen. Der promovierte Physiker und seine Frau haben das innovative Unternehmen Tichawa aufgebaut. Sie entwickeln und fertigen Kameratechnik für die Industrie und bauen beispielsweise Scanner, die prüfen, ob Tabletten in Verpackungen fehlen oder der Aufdruck auf Dosen und Flaschen perfekt ist.

    25 Mitarbeiter zählt Tichawa. Und vier Auszubildende. Den Kontakt zu Aman hat Josefine Steiger geknüpft. Sie leitet bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Schwaben den Bereich Ausbildung und setzt sich seit langem für die Integration von Flüchtlingen ein. Bei den Tichawas musste sie nicht viel Überzeugungsarbeit leisten. Die beiden waren sofort bereit.

    Ein Bild, das Marof K. aus Afghanistan geschickt hat. Am 4. Juli wurde er abgeschoben.
    Ein Bild, das Marof K. aus Afghanistan geschickt hat. Am 4. Juli wurde er abgeschoben. Foto: Marof K.

    Steiger kann die Unternehmer ein Stück weit beruhigen: "Ist der Ausbildungsvertrag unterschrieben und eine Lehre begonnen, wurde bei uns in der IHK Schwaben noch kein Flüchtling abgeschoben." Aber allein die Aussicht auf eine Lehrstelle reiche nicht. Die Ausbildungsexpertin betont: "Ich kann nur jeden Flüchtling, jeden Flüchtlingshelfer eindringlich auffordern: Klärt die Identität, helft mit, einen Pass zu bekommen." Denn schon durch dieses Bemühen erhöhe sich oft die Chance auf eine Ausbildungs- beziehungsweise Arbeitserlaubnis.

    Noch sind ihrer Einschätzung nach viele Betriebe bereit, Flüchtlinge auszubilden. "Doch die Unternehmen brauchen Sicherheit." Denn selbst die bestehende "3+2-Regelung" hilft in der Praxis nicht immer. Diese besagt, dass ein Flüchtling, der eine Ausbildung begonnen hat und die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt, diese auch dann abschließen und eine zweijährige Anschlussbeschäftigung ausüben kann, wenn sein Asylantrag abgelehnt wird.

    Was das für Firmen und ihre Auszubildenden bedeutet? Künftig soll kein Flüchtling mehr aus der Lehre abgeschoben werden, sagt Schwabens Handwerkskammer-Präsident Hans-Peter Rauch und verweist auf eine Zusage, die ihm Ministerpräsident Markus Söder gegeben hat. Wirtschaftsminister Franz Josef Pschierer wiederum hat unlängst "Missverständnisse" eingeräumt. Und im Hinblick auf die Abschiebung von Marof K. gesagt: "Das war nicht richtig."

    Der 32-Jährige hatte als Hilfsarbeiter bei Burkhard in Kaufbeuren angefangen. Zuletzt arbeitete er als Schweißerhelfer. Der Betrieb wollte ihn zum Schweißer ausbilden. Und jetzt? Was mit seiner Wohnung in Kaufbeuren wird, ist unklar, schreibt er. Er wolle seine Miete weiterzahlen, die Möbel habe er doch neu gekauft. Sein Arbeitgeber und seine Unterstützer hoffen auf ein laufendes Härtefallverfahren. Ein Freundeskreis sammelt Unterschriften für seine Rückkehr. Für Marof K. ist das ein Hoffnungsschimmer: "Ich möchte sehr gerne zurück nach Kaufbeuren, zu meinen Freunden, an meine Arbeitsstelle."

    Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier .

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden