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NSU-Prozess: Verteidiger fordern maximal zehn Jahre Haft für Zschäpe

NSU-Prozess

Verteidiger fordern maximal zehn Jahre Haft für Zschäpe

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    Beate Zschäpe im Oberlandesgericht in München.
    Beate Zschäpe im Oberlandesgericht in München. Foto: Peter Kneffel, dpa (Archiv)

    Die Verteidiger der mutmaßlichen Rechtsterroristin Beate Zschäpe haben im NSU-Prozess eine maximal zehnjährige Haftstrafe für ihre Mandantin gefordert. Die heute 43-Jährige sollte nur wegen besonders schwerer Brandstiftung und Beihilfe zu mehreren Raubüberfällen verurteilt werden, nicht aber wegen Mittäterschaft oder Beihilfe an den Morden und Bombenanschlägen des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU). Das sagten ihre Vertrauensanwälte Hermann Borchert und Mathias Grasel am Donnerstag am Ende ihres Plädoyers vor dem Münchner Oberlandesgericht. Auch die Voraussetzungen für eine Sicherungsverwahrung seien nicht erfüllt.

    Die Bundesanwaltschaft hatte für Zschäpe dagegen lebenslange Haft und anschließende Sicherungsverwahrung gefordert. Nach Überzeugung der Anklage war Zschäpe eines von drei gleichberechtigten Mitgliedern der Terrorzelle NSU und sollte deshalb als Mittäterin an sämtlichen Verbrechen der Gruppe bestraft werden. Dazu zählen zehn Morde, neun davon aus rassistischen Motiven, einer an einer deutschen Polizistin, sowie zwei Bombenanschläge in Köln mit Dutzenden Verletzten. Zschäpe soll alle Taten ihrer Freude Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gewollt und unterstützt und einen Willen zur "Tatherrschaft" gezeigt haben - auch wenn sie bei den Morden und Anschlägen nicht mit dabei war.

    Verteidiger: Rechtsstaat wird es aushalten müssen, dass es Verbrechen gibt, für die die eigentlichen Täter nicht mehr belangt werden können"

    Diese Argumentation wiesen Zschäpes Verteidiger zurück. Die in mehreren höchstrichterlichen Urteilen aufgestellten Kriterien für eine Mittäterschaft seien nicht erfüllt. Zschäpe sei kein gleichberechtigtes Gruppenmitglied gewesen. Die Morde und Anschläge seien allein von Böhnhardt und Mundlos begangen worden. Zschäpe sei nachweislich an keinem der Tatorte anwesend gewesen, habe nie eine Waffe abgefeuert und sei nicht in die Tatplanungen eingebunden gewesen. Und auch dass sie Kassenwart des Trios gewesen sein und das gemeinsame Leben im Untergrund erst ermöglicht haben soll, reiche für eine Verurteilung als Mittäterin oder wegen Beihilfe nicht aus. 

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    "Den nachvollziehbaren Wunsch, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen und für ihre abscheulichen Taten zu bestrafen, rechtfertigt es nicht, meine Mandantin als einzige Überlebende des Trios für die Taten der beiden Verstorbenen verantwortlich zu machen", sagte Grasel. "Der Rechtsstaat wird es aushalten müssen, dass es Verbrechen gibt, für die die eigentlichen Täter nicht mehr belangt werden können." Mundlos und Böhnhardt hatten sich nach einem misslungenen Banküberfall im November 2011 in Eisenach das Leben genommen. 

    Zschäpe hatte in schriftlichen Einlassungen lediglich eingeräumt, die letzte Fluchtwohnung des Trios in Zwickau in Brand gesteckt und von den Raubüberfällen gewusst zu haben, mit denen das Trio das fast 14 Jahre lange Leben im Untergrund finanzierte. Von den Morden und Anschlägen will sie dagegen immer erst im Nachhinein erfahren haben. Auch den Vorwurf des versuchten Mordes an einer Nachbarin und zwei Handwerkern im Zuge der Brandstiftung wiesen ihre Anwälte zurück.

    NSU-Prozess ist in seine letzte Etappe gegangen

    Grasel zitierte mehrere Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, mit denen Verurteilungen wegen Mittäterschaft in anderen Fällen kassiert wurden. Dieselben Kriterien würden auch für Beate Zschäpe gelten und stünden einer Verurteilung wegen Mittäterschaft an den Morden im Weg, betonte er. Bei Zschäpe seien allenfalls "Ansatzpunkte erkennbar, die auf ein Interesse am Erfolg der Taten schließen lassen könnten". Dies alles reiche jedoch nicht aus, um eine Tatbeteiligung oder eine Tatherrschaft als gegeben anzunehmen. Vielmehr habe seine Mandantin "keine Einflussmöglichkeit auf die Durchführung der Taten" gehabt. 

    Ganz am Ende des Plädoyers verwies Borchert darauf, dass Zschäpe habe vortragen lassen, dass sie sich "moralisch schuldig" fühle, auch dass sie die Morde und Bombenanschläge nicht habe verhindern können. "Die moralische Schuld der Mandantin kann jedoch nicht Grundlage für eine Verurteilung im juristischen Sinne sein." Zschäpe sei "Schuld im juristischen Sinne" nur im von ihm vorgetragenen Umfang vorzuwerfen, "so sehr dies auch in moralischer Hinsicht unbefriedigend sein mag". 

    Die Anklage hatte in ihrem Plädoyer zudem argumentiert, Zschäpe habe mit ihren Komplizen die fanatische nationalsozialistische Gesinnung geteilt und "ein Drittel eines verschworenen Triumvirats" gebildet. Grasel betonte nun allerdings, die Gesinnung sei "als Indiz für eine Tatbeteiligung und eine Tatherrschaft ungeeignet". Er fügte außerdem hinzu, die innere politische Einstellung Zschäpes habe sich weiterentwickelt und verändert. "Aus zahlreichen Gesprächen in den vergangenen Monaten und Jahren bin ich der festen Überzeugung, dass bei Frau Zschäpe heutzutage keinerlei rechtsextremes, staats- oder gesellschaftsfeindliches Gedankengut vorhanden ist", sagte Grasel.

    Mit dem Start der Verteidiger-Plädoyers ist das seit Mai 2013 laufende Mammutverfahren in die letzte Etappe gegangen. Nach Borchert und Grasel sollen von der kommenden Woche an die Anwälte der insgesamt vier mitangeklagten mutmaßlichen Terrorhelfer das Wort für ihre Plädoyers bekommen, gefolgt von den drei Altverteidigern Zschäpes, Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm. Wann das Gericht ein Urteil sprechen könnte, ist aber nach wie vor offen. (Christoph Trost und Christoph Lemmer, dpa)

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