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Interview: Wie das Zufriedenheits-Hormon die Pflege verbessern soll

Interview

Wie das Zufriedenheits-Hormon die Pflege verbessern soll

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    Harmonie erzeugt Gesundheit – gerade in der Pflege.
    Harmonie erzeugt Gesundheit – gerade in der Pflege. Foto: Stephanie Pilick, dpa

    Herr Bauer, Sie sind Pflegewissenschaftler aus dem Ostallgäu und haben vor 25 Jahren das Konzept der sogenannten „kongruenten Beziehungspflege“ entwickelt. Heute arbeiten zahlreiche Pflegeeinrichtungen in Deutschland nach Ihrem Konzept, in Slowenien sind es gar ein Viertel aller Heime. Was hat es damit auf sich?

    Rüdiger Bauer: Das Konzept der kongruenten Beziehungspflege fußt letztlich auf der Erkenntnis, dass das Verhalten und die Gefühle eines Menschen in Einklang miteinander sein müssen. Das sagt einem ja letztlich auch schon der gesunde Menschenverstand. Wenn jemand nach außen etwa immer lächelt, innerlich aber traurig ist, dann führt das zu psychischen Belastungen und irgendwann auch zu Erkrankungen. Verhalten und Emotionen müssen in Einklang, also kongruent sein.

    Was hat das nun mit der Arbeit in einem Pflegeheim zu tun?

    Rüdiger Bauer: Ich bin der Meinung, dass diese innere Übereinstimmung nicht nur innerhalb einer Persönlichkeit herrschen sollte, sondern auch in der Beziehung des Menschen zu seinen Kollegen in einem Pfleeheim und ebenso zu den betreuten Bewohnern.

    Wieso ist das so wichtig?

    Rüdiger Bauer: Aus der Neurowissenschaft weiß man: Wenn der Mensch in Harmonie lebt, dann wird beispielsweise Oxytocin ausgeschüttet. Das ist das Zufriedenheits-Hormon, das für die Bindung von Mutter und Kind verantwortlich ist. Heute weiß man, dass es soziale Interaktionen insgesamt positiv beeinflusst. Und nicht nur das: Es macht gesünder, zufriedener. Ziel ist es, diese Zufriedenheit etwa beim Heimbewohner zu erreichen.

    Wie funktioniert das?

    Rüdiger Bauer: Zum Beispiel durch Biografiearbeit. Man muss herausfinden, was den betreuten Menschen früher glücklich gemacht hat. Beispiele sind etwa Aufenthalte in der Natur. Welche Musik hat er gern gehört? Da gibt es mannigfaltige Aspekte. Diese müssen herausgefiltert werden. Und dann muss man versuchen, den Betreffenden wieder in diese früheren positiven Zustände hineinzuversetzen.

    Und wie ist das bei den Mitarbeitern?

    Rüdiger Bauer: Wir bringen die Mitarbeiter dazu, sich darüber im Klaren zu werden, wo sie mit ihrer Arbeit hinwollen. Oft gibt es darüber völlig unterschiedliche Ansichten. Aber das wissen die Mitarbeiter voneinander gar nicht so genau. Wir bieten Persönlichkeits-Einschätzungstests an, Teamaufstellungen, aufschlussreiche Rollenspiele. Dieser Prozess dauert oft drei bis fünf Jahre. Ziel ist es, auch die Zufriedenheit der Mitarbeiter stark zu verbessern.

    Das klingt sehr aufwendig. Warum machen die Pflegeheime das Ganze trotzdem?

    Rüdiger Bauer: Die betreuten Bewohner sind zufriedener und gesünder. Das Faszinierende ist beispielsweise: Allein die Kosten für Inkontinenzartikel sinken nachweislich. In den nach diesen Prinzipien arbeitenden Pflegeheimen gibt es zudem spürbar weniger Fluktuation der Mitarbeiter, viel weniger Fehltage, kaum Fachkräftemangel.

    Wie viele Heime und Einrichtungen haben Sie beraten?

    Rüdiger Bauer: Über 100. Viele davon befinden sich in Nordrhein-Westfalen, im Raum Berlin, im Saarland, in Österreich, in Wien sind es alle neun Caritasheime – dazu kommt, wie schon erwähnt, Slowenien.

    Ihr Konzept stößt inzwischen nicht nur in Pflege-Fachkreisen auf Interesse.

    Rüdiger Bauer: Richtig. Derzeit wird ein Dokumentarfilm mit dem Titel „Erzähl mir deine Geschichte – eine dokumentarische Reise von der Angst zur Bindung“ gedreht, der im Januar 2019 in die Kinos kommen soll. Zudem gibt es ab September eine gänzlich neue, dritte Auflage meines Buches „Beziehungspflege“. Es wendet sich nicht nur an das Fachpublikum, sondern auch an normale Leser. Darum ist es allgemein verständlich als Sachbuch verfasst.

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