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V-Mann-Affäre: Wie ein Spitzel die bayerische Polizei vorführte

V-Mann-Affäre

Wie ein Spitzel die bayerische Polizei vorführte

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    Mario H. war einer der Top-Ermittler im Landeskriminalamt. Bis zur V-Mann-Affäre. Nun steht der Augsburger vor Gericht.
    Mario H. war einer der Top-Ermittler im Landeskriminalamt. Bis zur V-Mann-Affäre. Nun steht der Augsburger vor Gericht. Foto: Daniel Karmann

    Es geht um den Ruf des Landeskriminalamts. Um die Glaubwürdigkeit von bayerischen Ermittlern. Um die seit Jahren schwelende V-Mann-Affäre des LKA. Am Freitag soll ein Schlusspunkt gesetzt werden hinter den wohl peinlichsten Skandal in der Geschichte der erfolgsverwöhnten Behörde. Vorher aber haben im Nürnberger Landgericht die Verteidiger und die Angeklagten das letzte Wort. Und dann das.

    Einer der Verteidiger wirft sich in Pose, zitiert plötzlich William Shakespeare – einen Hamlet-Monolog, genauer gesagt. Ein zweiter beruft sich auf den fränkischen Kabarettisten Urban Priol: „So viel Alkohol kann ich gar nicht trinken, um auf so absurde Gedanken zu kommen“, sagt er mit Blick auf die Anklage. Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft gegen sechs LKA-Beamte seien „an Haltlosigkeit nicht zu überbieten“. In dieser Situation muss sich selbst der Vorsitzende Ulrich Flechtner ein Schmunzeln verkneifen.

    Und dann zitiert der Verteidiger des LKA-Manns Shakespeare

    Dabei hatten Flechtner und die anderen Nürnberger Richter in dem Mammutprozess, der seit November 2017 läuft, wenig zu lachen. Wenn sie ihr Urteil fällen, geht es vor allem um die Frage: Glauben sie dem Hauptkommissar Norbert K. und seinen fünf LKA-Kollegen, dass ihr Spitzel sie getäuscht hat? Oder glauben sie dem kriminellen V-Mann? Dieser wiederum behauptet, die LKA-Beamten wollten einen Einsatz vertuschen, der außer Kontrolle geraten war.

    Das eine wäre menschlich, das andere kriminell. Der Fall könnte den Hauptangeklagten Norbert K., 54, die Karriere, Pension und Freiheit kosten. Und er könnte die anderen LKA-Beamten mit in den Abgrund reißen.

    Einer davon ist Kriminaldirektor Mario H. aus Augsburg. Der hat eine steile Karriere beim LKA hinter sich, erst als Drogenermittler mit etlichen spektakulären Fahndungserfolgen. Später wurde er zum Spezialisten für Organisierte Kriminalität. Mafia, Rocker, Russen-Banden, solche Sachen. 2015 ernannte man ihn sogar zum Chef jener Sonderkommission, die sich im Auftrag des Generalbundesanwalts um die Aufklärung des Oktoberfest-Attentats aus dem Jahr 1980 kümmern sollte. Spätestens von da an nannten ihn die Kollegen „Super Mario“.

    Mario H. ist seit Dezember 2016 vom Dienst suspendiert – ebenso wie die fünf anderen LKA-Beamten. Sie alle sollen verantwortlich sein für den Einsatz im kriminellen Rocker-Milieu, der komplett aus dem Ruder der Rechtmäßigkeit gelaufen ist.

    „Super Mario“ wirkt, als wäre er im falschen Film

    An dieser Stelle kommt ein anderer Mario ins Spiel – Mario W. Die LKA-Beamten haben ihn als V-Mann in die Rockergruppe „Bandidos“ in Regensburg eingeschleust. Als er immer wertvollere Informationen über das Innenleben der Rocker lieferte, sollen die LKA-Leute ihn mit allen Mitteln geschützt haben, ihn sogar zum Diebstahl von Mini-Baggern und anderen Baumaschinen 2011 in Dänemark angestiftet haben. Danach hatten sie laut Anklage alle Hände voll zu tun, um zu vertuschen, dass sie die Grenzen des Rechts überschritten hatten. Manche der Beamten sollen demnach Unterlagen für andere Behörden frisiert, andere vor Gericht falsch ausgesagt haben.

    Mario H., der andere nicht nur in Sachen Körpergröße, sondern auch in puncto Selbstbewusstsein überragt, verfolgt den Prozess kopfschüttelnd, manchmal gequält lachend, als finde er sich im falschen Film wieder. Er sei in den Einsatz gar nicht involviert gewesen, sagt der Top-Ermittler im November aus. Trotzdem muss er sich wegen Diebstahls in mittelbarer Täterschaft und uneidlicher Falschaussage vor Gericht verantworten – als Vorgesetzter von Norbert K., der im Mittelpunkt der Ermittlungen steht. Der 54-Jährige gilt als Kriminalist mit großer Erfahrung. Um die 100 Spitzel hat er „geführt“. Männer wie Mario W., die gegen Bares hoffentlich Wahres berichten, wertvolle Informationen aus schwer zugänglichen kriminellen Gruppierungen wie den „Bandidos“ zutage fördern. K. hat darüber sogar Kurse bei der bayerischen Polizei gegeben. Er weiß genau, wann die Linie zum Verbotenen überschritten ist.

    Mario W. kontaktierte seinen Beichtvater zu allen Tag- und Nachtzeiten – wenn er medizinische Hilfe brauchte oder jemanden, dem er sich anvertrauen konnte. Das belegen E-Mails. Als der Spitzel allerdings an der tschechischen Grenze mit Drogen erwischt wurde, beendete das LKA die anrüchig gewordene Zusammenarbeit. Seither will der V-Mann seinen Betreuer „hängen“ sehen. Aus seiner Sicht hat Norbert K. ihn ins Messer der Justiz laufen lassen, statt ihn weiter vor Strafverfolgung zu schützen.

    Er hat Rocker für das LKA bespitzelt und mit Drogen gehandelt

    Es gibt keinen Zweifel daran, dass Mario W. mit Drogen gehandelt hat, während er für das LKA kriminelle Rocker bespitzelte. Die entscheidende Frage aber ist: Beging er Straftaten als Tarnung, um von den „Bandidos“ akzeptiert zu werden? Oder handelte er auf eigene Rechnung – und will LKA-Beamte mit hineinziehen, um sich dafür zu rächen, dass sie ihn fallen gelassen haben wie eine heiße Kartoffel?

    Mario W. stand nach dem abrupten Ende seiner Spitzelkarriere zwei Mal in Würzburg vor Gericht. Er hat so viel erzählt über die Zusammenarbeit mit dem LKA, dass eine Lawine ins Rollen kam. Nun sitzt er im Nürnberger Gerichtssaal seinem Ex-Betreuer buchstäblich im Nacken, die Schultern breit, das Kinn gereckt und genießt seinen Triumph: Sein Anwalt hat ihm die Rolle eines Nebenklägers erkämpft, „weil er als Verletzter einer Freiheitsberaubung in Betracht kommt und eine Verurteilung der Angeklagten rechtlich möglich erscheint“, entschied das Oberlandesgericht.

    Die Spitzel-Affäre beim bayerischen Landeskriminalamt

    Spätestens April 2011: Das LKA setzt Mario W. als V-Mann bei der Rockergruppe „Bandidos“ in Regensburg ein.

    August 2011: Mario W. teilt seinen Kontaktleuten beim LKA mit, dass die Rocker in Dänemark Minibagger stehlen wollen.

    September 2011: Er entwendet zusammen mit mehreren „Bandidos“ in Dänemark Baumaschinen im Wert von rund 55 000 Euro und wird später festgenommen.

    Dezember 2012 und Januar 2013: In Schreiben an das Innenministerium bestreiten LKA-Beamte, vom Bagger-Diebstahl gewusst zu haben.

    Juli 2013: Das Innenministerium erlässt eine Sperrerklärung über den V-Mann-Einsatz für das Landgericht Würzburg. Das Landgericht Würzburg verurteilt W. wegen Drogenhandels zu über sechs Jahren Haft.

    Oktober 2013: Die Nürnberger Polizei stößt auf sieben Dokumente, die den Verdacht der Strafvereitelung durch das LKA aufwerfen.

    Mai 2014: Die Polizei in Nürnberg beginnt Ermittlungen gegen drei LKA-Beamte.

    August 2016: Das Landgericht Würzburg rollt einen der Prozesse neu auf und verurteilt Mario W. wegen Drogenschmuggels zu zwei Jahren und drei Monaten Haft.

    Februar 2017: Die Staatsanwaltschaft Nürnberg erhebt Anklage gegen sechs LKA-Beamte.

    7. November 2017: Der Prozess gegen sechs LKA-Beamte beginnt.

    Der vielfach vorbestrafte Kriminelle, der sich wie ein Chamäleon seiner Umgebung anpassen kann, hat die „Bandidos“ in Regensburg erfolgreich unterwandert – als Fahrer des Bosses erfuhr er viel. Er besorgte den Rockern Rauschgift und Mädchen aus Tschechien, beteiligte sich an besagtem Baggerdiebstahl und schmuggelte geklaute Münzen, wie er erzählte. Das LKA habe ihn immer wieder rausgehauen – sogar, als sein vom Staat bezahlter Leihwagen zu viele Kilometer draufhatte. Da habe man auf Behörden-Kosten in einer Hinterhof-Werkstatt einfach den Tacho zurückgedreht.

    Mario W. will sogar von einem Rechtsextremen Waffen angeboten bekommen haben, wie er im Gespräch im Würzburger Gefängnis 2012 erzählte. Aber das LKA habe den Mann mit den zwei Pistolen beim Treffen auf einer Raststätte einfach laufen lassen. Ein Vorwurf, der schwierig zu prüfen ist. Das LKA schwieg zunächst zu dem Fall – aus heutiger Sicht ein medialer GAU. So überließ man dem Ex-Spitzel die Deutungshoheit. Erst viel später traute man sich. „Glauben Sie ernsthaft, wir hätten uns so einen Fang damals entgehen lassen?“, entgegnete ein LKA-Vertreter. „2011, kurz nach Bekanntwerden der NSU-Mordserie, hätten wir das mit Handkuss genommen, wenn wir es gewusst hätten.“

    Auch sonst sind viele von Mario W.s Aussagen mit Vorsicht zu genießen. Im zweistündigen Interview mit unserer Redaktion erzählte W. 2012 von einer verschwundenen Prostituierten und einem beseitigten Anwalt im Umfeld der „Bandidos“. Seltsam nur, dass beide 2016 quicklebendig wieder auftauchten. So blieb der Eindruck: Mario W. weiß viel, aber er erzählt noch mehr. Dazu passt etwa auch, dass im Würzburger Prozess 2016 ein Ermittler eine Liste von 50 Straftaten präsentierte, denen das LKA trotz Hinweisen von Mario W. nicht nachgegangen sei – angeblich ein Indiz dafür, wie man schützend die Hand über ihn hielt. Doch inzwischen ist davon so gut wie nichts übrig. Das meiste davon hat sich als Luftnummer erwiesen.

    Die Mehrzahl der Zeugen – Rechtsanwälte, Ermittler, Staatsanwälte und Richter aus Würzburg – ließ in Nürnberg starke Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Spitzels anklingen. Die Beweisaufnahme war ein mühseliges Vergleichen, wer wann was gesagt haben soll. Andererseits haben auch die Gerichte geschlampt. Entscheidend ist etwa, was Norbert K. im Drogenprozess 2012 gegen seinen Spitzel ausgesagt hat. Doch das hat keiner protokolliert. Notizen, die sich Verteidiger und Staatsanwalt machten, weichen offenbar stark voneinander ab. Reporter waren an diesem Tag vom Prozess ausgeschlossen.

    Mario H. sagt, er habe einen hohen Preis bezahlt

    Dennoch hält die Nürnberger Staatsanwaltschaft, die einen Mann für die Ermittlungen ein volles Jahr freigestellt hatte, ihre Anklage nach 36 Prozesstagen für erwiesen. Für Norbert K. fordert sie zweieinhalb Jahre Haft, für Mario H. und drei weitere Beamte Bewährungsstrafen zwischen einem Jahr und einem Jahr und neun Monaten, was Folgen für ihre Beschäftigung und Pension hätte. Die sechs Angeklagten wollen einen Freispruch. Sie hätten nichts Strafbares getan, betonen sie.

    Mario H. räumt am Mittwoch vor Gericht ein, dass es Fehler bei der Bewertung von Vorgängen gegeben habe. „Wir hätten genauer hinschauen müssen, das wird sich nicht wiederholen.“ Für diesen Fehler habe er, wie seine Kollegen, dienstlich und privat „einen sehr hohen Preis“ zahlen müssen. Aber er habe keinerlei strafbare Handlungen begangen.

    Der Hauptangeklagte Norbert K. hat monatelang zu den Vorwürfen geschwiegen. Nun, wo er das letzte Wort vor der Urteilsverkündung hat, will er reden. Er habe den V-Mann wiederholt darauf hingewiesen, dass der keine Straftaten begehen dürfe, betont er. „Ich habe mich an keinerlei Straftaten beteiligt.“ Er habe auch keinerlei Akten frisiert, um illegale Praktiken zu vertuschen. Unterschiedlich ausführliche Akten seien völlig legal zu verschiedenen Zwecken geführt worden, um den Kreis der Beteiligten zum Schutz des eingesetzten Spitzels klein zu halten. Er habe unter den vierjährigen Ermittlungen sehr gelitten. „Ich hoffe, dass ich mit dem Urteil einen Schlussstrich ziehen und meine polizeiliche Tätigkeit fortsetzen kann.“ Der Fall wirft auch Schatten auf den Wahlkampf seiner Frau, die als Landtags-Kandidatin ein Ziel von Mutmaßungen ist. Trotzdem zeigt sie sich mit ihm in der Öffentlichkeit – auch im Prozess.

    Der Platz von Mario W. aber bleibt in den letzten Tagen vor dem Urteil leer. Der Nebenkläger hat das Interesse an dem Prozess erkennbar verloren. Stattdessen hat er zuletzt eifrig Interviews über sein Leben als missbrauchter V-Mann gegeben.

    Wem die Richter glauben? Am Freitag fällt das Urteil.

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