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Corona-Pandemie: Experte warnt: "Wir haben noch fünf bis sechs harte Wochen vor uns"

Corona-Pandemie

Experte warnt: "Wir haben noch fünf bis sechs harte Wochen vor uns"

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    Bayerns Kliniken sind in Folge der Pandemie noch immer stark belastet.
    Bayerns Kliniken sind in Folge der Pandemie noch immer stark belastet. Foto: Boris Roessler, dpa

    In Bayerns Krankenhäusern herrscht eine anhaltend hohe Belastung. Sind die Intensivstationen gleichbleibend stark belegt, werden vor allem wieder auf den Normalstationen immer mehr Patientinnen und Patienten behandelt, die mit Covid infiziert sind, schildert Roland Engehausen die aktuelle Lage. Er ist der Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft. „Vor allem haben wir seit Mitte November einen Stau an verschobenen Behandlungen. Diese Bugwelle bekommen wir einfach nicht weg. Nach wie vor müssen akute Operationen verschoben werden.“ Jetzt im Bundestag bereits verbindliche Lockerungen mit kurzen Übergangsfristen zu beschließen, hält Engehausen daher für „fahrlässig“. Er sagt: „Wir haben sicher noch fünf bis sechs harte Wochen vor uns.“

    Roland Engehausen ist seit Ende 2020 Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft.
    Roland Engehausen ist seit Ende 2020 Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft. Foto: Bayerische Krankenhausgesellschaft

    Die Inzidenzen steigen im Freistaat seit Tagen rasant an. Die Patientinnen und Patienten auf den Normalstationen der bayerischen Kliniken kommen zwar nicht nur verstärkt wegen, sondern vor allem mit einer Covid-Infektion, sagt Engehausen. Der Pflegeaufwand ist aufgrund der Isolierung dennoch wesentlich höher. Das Problem verschärft sich zudem, „weil sehr viele Klinikmitarbeiter infiziert sind und ausfallen“. Die Kapazitäten auf den Intensivstationen könnten daher nicht hochgefahren werden. Die Klinikbeschäftigten seien längst am Limit.

    Engehausen: Alle Corona-Schutzmaßnahmen sollten bis nach Ostern gelten

    „Daher verstehen wir den Bundesgesetzgeber nicht, dass jetzt Lockerungen bereits verbindlich festgeschrieben werden und sich der Bund weitgehend aus der Pandemieverantwortung zurückzieht“, sagt Engehausen, der den angekündigten Erhalt der wichtigsten Corona-Regeln zumindest bis 2. April in Bayern begrüßt: „Wir würden uns wünschen, dass bis nach Ostern alle Schutzmaßnahmen erhalten bleiben, und zwar flächendeckend bundesweit.“ Auch in den Schulen hätte Engehausen jetzt keine Lockerungen beschlossen, denn auch die Zahl der infizierten Schüler klettert rasant nach oben.

    Und auch der Plan, dass die Länder Hotspot-Regelungen erlassen können, hält Engehausen für nicht ausreichend: „Wir erleben es gerade, dass sich Hotspots sehr sprunghaft entwickeln und plötzlich, oft binnen zwei Wochen, in einzelnen Regionen extrem hohe Inzidenzen auftreten. Regelungen hinken dieser schnellen Entwicklung dann immer nur hinterher. Solche Pläne gehen an der Realität vorbei. Diese Kurzatmigkeit können wir nicht verstehen.“

    Die Krankenhäuser brauchen jetzt aber noch etwas, betont Engehausen: „Die allgemeine Impfpflicht ist nach wie vor unbedingt nötig, wenn wir nicht im Herbst die gleiche Eskalation der Lage erleben wollen. Dass die Politik dieses Thema jetzt auf die lange Bank schiebt und zerredet, ist unverantwortlich.“ In den bayerischen Krankenhäusern seien in der Regel über 95 Prozent der Beschäftigten mittlerweile geimpft. Gleichwohl will man nicht nachlassen, jeden einzelnen noch ungeimpften Mitarbeiter zu motivieren, bevor das Betretungsverbot für Ungeimpfte im Zuge der einrichtungsbezogenen Impfpflicht ab dem Sommer in Kraft tritt.

    Und wie schätzt der Geschäftsführer von Bayerns Krankenhäusern die Belastung durch den Ukraine-Krieg ein? Zunächst betont Engehausen, dass gerade unter den Klinikmitarbeitern eine enorme Hilfsbereitschaft für die geflüchteten Menschen zu beobachten ist – sei es in Form von Hilfslieferungen von medizinischem Material, sei es durch Behandlungen jetzt vor Ort. Ein Riesenproblem sieht Engehausen aus einem anderen Grund auf die Kliniken und damit auch auf die Kommunen zukommen: „Krankenhäuser haben einen extrem hohen Energiebedarf – allein schon aufgrund der medizinischen Geräte.“ Und die Häuser haben keinerlei Möglichkeiten, diese immensen Kostensteigerungen zu kompensieren. „Wir stehen hier völlig blank da.“ Und schon jetzt erhält er viele besorgte Meldungen, „denn es wäre ja verrückt, wenn aufgrund der steigenden Energiepreise dann wieder am Personal gespart wird“.

    Klinik in Ingolstadt am Rande der Leistungsfähigkeit

    Unsere Redaktion hat mit den Leitern dreier großer Krankenhäuser aus der Region gesprochen. Sie alle haben Ähnliches zu berichten. „Seit Beginn des Jahres hat sich die Zahl der Corona-Patienten mehr als verdoppelt“, berichtet Andreas Tiete, Ärztlicher Direktor des Klinikums Ingolstadt. 136 Corona-Patienten behandeln seine Angestellten aktuell, nur neun davon auf Intensivstation, das sei „der entscheidende Unterschied zu früheren Wellen“. Und doch: Sein Krankenhaus wähnt Tiete „am Rande der Leistungsfähigkeit“.

    Roger Kolb, Direktor des Klinikums Memmingen, zeichnet ein ähnliches Bild: Nach einer Corona-Pause Mitte Januar steigen in seinem Haus die Fallzahlen. Auch hier sind die Verläufe im Schnitt leichter. „Ein relevanter Anteil“ der Patientinnen und Patienten würde ursprünglich mit einer anderen Erkrankung aufgenommen, dann aber positiv getestet werden.

    Gleiches im Universitätsklinikum Augsburg: Zwar käme man mit Omikron allein schon zurecht, sagt der Ärztliche Direktor Professor Dr. Michael Beyer. Auf der Intensivstation würden aktuell nur vereinzelt Covid-Patientinnen und -Patienten liegen und auf den Normalstationen seien es über 100. Die meisten sind jedoch nicht wegen, sondern mit Covid in stationärer Behandlung, was aber den enormen pflegerischen Zusatzaufwand infolge der Isolierung dieser Patienten nicht schmälert.

    Professor Dr. Michael Beyer ist der Ärztliche Direktor des Universitätsklinikums Augsburg. Ihm macht aktuell vor allem auch Deltakron große Sorgen.
    Professor Dr. Michael Beyer ist der Ärztliche Direktor des Universitätsklinikums Augsburg. Ihm macht aktuell vor allem auch Deltakron große Sorgen. Foto: Klaus Rainer Krieger

    Belastend sind für Beyer derzeit vor allem die düsteren Aussichten. Nicht nur, dass der Krieg und seine Folgen vor allem zu enormen Ängsten bei den Menschen führt, auch von der Pandemiefront gibt es weitere Hiobsbotschaften: Besonders die neue Corona-Variante Deltakron bereitet ihm große Sorge, „denn die hohe Ansteckungsgefahr von Omikron gepaart mit der hohen Pathogenität von Delta wäre ein wirklicher Shutdown“.

    Nicht nur Corona: Tracheobronchitis grassiert auch noch

    Das Hauptproblem sieht Beyer schon jetzt im hohen Krankenstand des Personals: „Wir haben eine Krankheitsquote von 30 Prozent – und zwar in allen Bereichen, also von der Reinigung über die Verwaltung bis hin zur Pflege und den Ärzten.“ Auch eine Verkürzung der Quarantäne würde hier keine Erleichterung bringen, da viele Menschen auch mit den aktuellen Omikron-Varianten BA1 und BA2 schwer krank sind. Und gerade die aktuell am häufigsten zu beobachtende Variante BA2 bringe eine hohe Viruslast mit sich. Als würde dies alles nicht schon reichen, grassiere auch noch eine Tracheobronchitis, die den Betroffenen quälende Hustenattacken bereitet, die gerade nachts stark sind.

    „Uns fehlt Personal, das nicht nur wegen Corona, sondern auch wegen anderen jahreszeittypischen Erkrankungen ausfällt“, klagt auch Ingolstadts Klinikdirektor Tiete. „Aufgrund der hohen Belastung haben wir derzeit keine Ressourcen für elektive Eingriffe.“ Sein Memminger Kollege Kolb bezeichnet die schiere Zahl seiner in Quarantäne befindlichen Angestellten als „bedenklich“. Auch hier müssten Operationen verschoben werden – nicht wegen überbelegter Betten, sondern wegen des Personalausfalls. „Wir erhöhen derzeit die pflegerischen Kapazitäten, um einer Überbelastung entgegenzuwirken“, sagt Kolb.

    Eine solche will Bayerns Regierung verhindern und zumindest bis 2. April an den Corona-Schutzmaßnahmen festhalten. Professor Beyer vom Uniklinikum begrüßt das: „Mit über 200.000 Neuinfektionen an einem Tag müssen gerade wir als kritische Infrastruktur alles daransetzen, den Betrieb weiter aufrechtzuerhalten.“ Besonders schmerzhaft sind für ihn die noch immer restriktiven Besucherregeln. Doch er bittet hier um Verständnis: Angesichts der rasanten Ansteckungszahlen müsse gerade das Klinikum sowohl zum Schutz der Patienten als auch zum Schutz der Beschäftigten daran leider weiter festhalten.

    Aus Memmingen heißt es von Direktor Kolb: Noch sei die Situation stabil. „Aber es ist schwer absehbar, wie eine neue Virusvariante die Infektionszahlen beeinflussen wird.“ Andreas Tiete aus Ingolstadt sagt: „Es gibt aus unserer Sicht keinen Anlass, die Schutzmaßnahmen aufzugeben.“

    Hören Sie sich dazu auch unseren Podcast an. In "Augsburg, meine Stadt" spricht eine Augsburgerin über ihre Long-Covid-Erkrankung – und über den mühsamen Weg zurück in ein normales Leben.

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