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Foto: Stefan Puchner, dpa
Foto: Stefan Puchner, dpa

Aktuell gibt es in Deutschland zwei verschiedene Auffassungen darüber, ob die Benutzung von gefälschten Impfpässen in Apotheken vor Ende November strafbar war oder nicht.

Dillingen
20.07.2022

Warum Impfpass-Fälscher in Bayern oft davonkommen

Von Jonathan Mayer

Plus Während in anderen Bundesländern Impfpass-Fälscher zur Rechenschaft gezogen werden, bleiben in Bayern viele von ihnen straffrei. Grund dafür ist ein Fall aus Landsberg.

Sergej L. (Name geändert) hat einen gefälschten Impfpass benutzt. In einer Apotheke in Dillingen wollte er sich damit ein digitales Impfzertifikat erschleichen. Das gibt er auch zu. Doch Sergej L. hat gleich doppeltes Glück. Zum einen nutzte er die Fälschung am 22. November, zwei Tage vor einer wichtigen Gesetzesänderung. Zum anderen lebt er in Bayern – und kommt damit ungestraft davon. In anderen Bundesländern hätte er mit einer Geldstrafe rechnen müssen. Der Richter am Dillinger Amtsgericht, David Wagner, macht es noch deutlicher: „Dann wären jetzt zwei bis vier Monatsgehälter weg.“ Und: „Sie haben Glück, dass Sie gerade in Bayern sitzen.“

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Die Impfpass-Fälschung unterliegt noch einem alten Gesetz

Es ist eine spezielle Situation, in der sich der Angeklagte befindet. Denn als er die Fälschung benutzte, galten noch andere Gesetze. Seit 24. November ist die Nutzung eines gefälschten Impfpasses auch in Apotheken strafbar. Über das, was davor galt, streiten sich die Gerichte in Deutschland bis heute.

Um die Hintergründe zu verstehen, muss man tief ins deutsche Recht eintauchen. Ein Blick nach München: Das Bayerische Oberste Landesgericht hat vor kurzem als höchstes Gericht in Bayern ein Urteil des Amtsgerichts Landsberg revidiert, das einen Mann zu 4500 Euro Strafe verurteilte. Auch er hatte einen gefälschten Impfpass in einer Apotheke vorgezeigt. Nach Ansicht der Münchner Richter handelte es sich dabei aber nicht um eine strafbare Urkundenfälschung. Denn der Impfpass gilt rechtlich gesehen nicht nur als Urkunde, sondern auch als Gesundheitszeugnis. Und für die gab es bis zum 24. November spezielle Normen im Gesetz.

So stand zwar auch damals schon das Fälschen eines Impfpasses unter Strafe, aber nur unter bestimmten Bedingungen. Etwa wenn der Pass einer Behörde oder einer Versicherung vorgelegt wurde. Von Apotheken war nicht die Rede. Die Regelung stammte aus dem Jahr 1871, als medizinische Methoden weniger genau waren. Die Münchner Richter waren der Meinung, dass dieses spezielle Gesetz eine Verurteilung wegen Urkundenfälschung verhindert.

Viele der Verfahren gegen Impfpass-Fälscher werden eingestellt

Daraus ergibt sich eine juristische Besonderheit: Denn nur wenige Tage vor München urteilte das Oberlandesgericht in Celle, also das oberste Gericht in Niedersachsen, in einem fast identischen Fall völlig anders. Die Richter dort entschieden, dass sich Nutzer von gefälschten Impfpässen auch vor dem 24. November strafbar machten. Das spezielle Gesetz zu den Gesundheitszeugnissen dient ihrer Ansicht nach nicht dazu, den Täter zu begünstigen. Wer dort also gefälschte Impfpässe benutzt hat, wird bestraft. In Bayern kommen die Nutzerinnen und Nutzer wiederum frei.

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Und von denen gibt es viele. Allein in Bayern registrierte das Landeskriminalamt im vergangenen Jahr 3600 entsprechende Anzeigenvorgänge. Wie viele davon tatsächlich vor Gericht landen, darüber gibt es keine Statistik. Bei der Pressestelle der Staatsanwaltschaft Augsburg ist lediglich von „einer Vielzahl von Verfahren“ die Rede. Diese werden jetzt überwiegend eingestellt oder – wie in den Verhandlungen in Dillingen – es wird ein Freispruch beantragt.

In Bayern bleiben Nutzer von gefälschten Impfpässen häufig unbestraft

Normalerweise hätten die Münchner Richter nach ihrer Entscheidung den Bundesgerichtshof anrufen müssen. Das passiert immer, wenn ein Oberstes Gericht von einem Urteil eines anderen abweicht. Doch scheinbar wusste man in München nichts vom Urteil in Celle. Der zeitliche Abstand war zu knapp und es gibt keine gemeinsame Datenbank, um sich auszutauschen. Aktuell besteht also keine Rechtssicherheit. Doch eine Entscheidung des BGH ist nur eine Frage der Zeit. Allein bei der Generalstaatsanwaltschaft in München sind aktuell drei weitere Revisionsverfahren bei anderen Senaten des Bayerischen Obersten Landesgerichts anhängig. Egal, wie die Richterinnen und Richter dann entscheiden: Die Sache landet zwangsläufig vor dem BGH. Doch bis dahin bleiben Nutzer von gefälschten Impfpässen in Bayern oft ungestraft.

In Dillingen entschuldigt sich Sergej L. für seine Taten. Nach allem, was er über die Impfung gehört habe, hätte er Angst gehabt. Trotzdem wollte er am gesellschaftlichen Leben teilhaben, in Urlaub fahren, seine Prüfungen zum Industriemechaniker absolvieren. Also habe er sich verleiten lassen. Richter Wagner redet ihm ins Gewissen: „Nur, weil es nicht strafbar ist, ist es nicht unmoralisch.“

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