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Interview: Infektiologe zu Affenpocken: "Kein Grund zur Panik"

Interview

Infektiologe zu Affenpocken: "Kein Grund zur Panik"

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    Fälle der eigentlich seltenen Affenpocken werden mittlerweile in immer mehr Ländern nachgewiesen.
    Fälle der eigentlich seltenen Affenpocken werden mittlerweile in immer mehr Ländern nachgewiesen. Foto: Cynthia S. Goldsmith, Russell Regner, cdc/AP

    Herr Spinner, zuletzt ging es immer wieder um Affenpocken. Was genau versteht man darunter?
    CHRISTOPH SPINNER: Affenpocken sind Erreger, die vor allem im Tierreich vorkommen und nicht primär Menschen befallen. Dennoch gibt es Übertragungen zwischen Tieren und Menschen. Und auch von Mensch zu Mensch – was wir jetzt zunehmend sehen. Wer sich infiziert, bekommt meist zunächst Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen, in der Regel also eher milde Symptome. Wenige Tage danach treten dann die charakteristischen Hautveränderungen auf, die optisch auch den pockenartigen Erkrankungen ähneln: ein juckender, schmerzender Ausschlag mit Bläschen oder Pusteln.

    Wie ansteckend ist die Krankheit denn wirklich?
    SPINNER: Anders als Sars-Cov-2 sind Pockenviren nicht aerogen übertragbar, also nicht über die Luft. Es braucht vielmehr einen sehr engen, direkten Kontakt von Mensch zu Mensch. Die Übertragungen sind vor allem durch sehr engen Haut-zu-Haut-Kontakt mit infizierten Läsionen möglich, selten gibt es auch Infektionen durch Tröpfchen. Erst wenn die Erkrankten nach zwei bis drei Wochen vollständig ausgeheilt sind – und auch deren Pockenkrusten abgefallen sind –, sind sie nicht mehr infektiös.

    Warum tauchen Affenpocken gerade jetzt in Deutschland auf?
    SPINNER: Die Ausbreitung in Deutschland ist eher zufällig. Wir sehen mittlerweile auf über drei Kontinenten eine auffällige Häufung von Affenpocken. Etwa 250 Infektionsfälle sind bis heute bekannt. Wir hatten in München vergangene Woche unseren ersten Patienten, am Wochenende kamen in Berlin weitere hinzu, dann gab es bestätigte Fälle aus Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg. Man muss davon ausgehen, dass es weitere Fälle geben wird. Die sind wahrscheinlich alle auf ein Kontakt-Cluster zurückzuführen, aber genau das wird im Moment sehr intensiv untersucht.

    Wie kann man sich am besten schützen?
    SPINNER: Im Allgemeinen helfen auch die Corona-Schutzmaßnahmen ganz gut. Es braucht einen direkten Kontakt von Mensch zu Mensch, um sich zu infizieren. Das heißt im Umkehrschluss: Wenn man einen Haut-zu-Haut-Kontakt vermeidet, dann geht das mit einem guten Infektionsschutz einher. Für die eher weniger bedeutende Tröpfcheninfektion bieten insbesondere (FFP2-)Masken guten Schutz. Stark vereinfacht lässt sich sagen: Abstand, Hygiene und Maske bieten auch hier den besten Schutz.

    Gibt es auch Medikamente, die helfen?
    SPINNER: Es gibt in Europa ein zugelassenes Präparat mit dem Namen Tecovirimat. Das ist ein spezifisches Medikament, das die Virusvermehrung hemmt. Affenpockenvirusinfektion führen nur in sehr seltenen Fällen und vor allem bei immungeschwächten Personen zu größeren Komplikationen wie einer Erblindung und auch zu allgemein schwereren Verläufen. Deshalb macht derzeit vor allem in dieser Risikogruppe eine spezifische Therapie mehr Sinn. Das Präparat steht ebenso wie ein anderes im Moment nur eingeschränkt zur Verfügung. Denn in den vergangenen Jahren brauchte es keine Pockentherapeutika im großen Stil – Deutschland und die Welt sind seit Dekaden pockenfrei.

    Wie gefährlich sind die Pocken – kann es zu einer erneuten Pandemie kommen?
    SPINNER: Die Chance für eine Pandemie ist als gering einzustufen. Das liegt daran, dass das Affenpockenvirus nur im direkten Kontakt übertragbar ist. Wir sehen immer mal wieder – insbesondere in Afrika – zoonotische Übergänge von Affenpocken, sprich von Tier zu Mensch. Oft bekommen wir das in Europa gar nicht mit. In den aktuellen Fällen wurden die Infektionen aufmerksam erkannt. Es wurde sehr schnell reagiert, man verfolgt jetzt die Kontaktketten und auch Infektionsketten nach. Das Hauptproblem ist: Die Pockenimpfung, die bis Mitte der 1970er Jahre verabreicht wurde, bietet zwar einen guten Schutz gegen Affenpocken. Aber die jetzt betroffenen Menschen sind eben mehrheitlich jünger und nicht mehr pockengeimpft. Genau deshalb fehlt es hier an der Immunkompetenz, so kann sich der Erreger auch ausbreiten.

    Dr. Christoph Spinner, Infektiologe am Klinikum rechts der Isar in München, rät zur Besonnenheit in Sachen Affenpocken.
    Dr. Christoph Spinner, Infektiologe am Klinikum rechts der Isar in München, rät zur Besonnenheit in Sachen Affenpocken. Foto: S. Willax

    Würde es dann Sinn machen, dass man sich gegen Pocken impfen lässt?
    SPINNER: Die Europäische Seuchenschutzbehörde hat das Konzept von Ringimpfungen vorgeschlagen, also Menschen, die in direktem Kontakt waren, sollen geimpft werden. Aber, da komme ich wieder zurück zum Problem: Weil Pocken als ausgerottet gelten, stehen im Moment keine regulären Pockenvakzine zur Verfügung. Dennoch gibt ein zugelassenes Präparat, dessen potentieller Nutzen, Beschaffung und Verwendung derzeit geklärt wird.

    Sie raten also zur Besonnenheit?
    SPINNER: Absolut. Ich glaube, es gibt jetzt wirklich keinen Grund zur Panik. Die Affenpocken sind in der Regel eine für Immunkompetente mild verlaufende Erkrankung, man infiziert sich über einen direkten Kontakt – dadurch ist eine unkontrollierte Verbreitung nicht wahrscheinlich. Aktuell ist der Ausbruch auch vor allem auf Männer, die Sex mit Männern haben, begrenzt. Die Kenntnis einer Risikogruppe erlaubt gezielte Schutzmaßnahmen. In einem weiteren Schritt könnte man dann prüfen, inwieweit Impfungen und Therapien – auch in der Breite – von Bedeutung sind.

    Zur Person

    Christoph Spinner ist Infektiologe und Pandemiebeauftragter des Universitätsklinikums rechts der Isar in München. Außerdem ist der 36-Jährige im Vorstand der deutschen AIDS-Gesellschaft.

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