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Tschernobyl: 35 Jahre nach Tschernobyl: Wildschweine um Augsburg immer noch verstrahlt

Tschernobyl

35 Jahre nach Tschernobyl: Wildschweine um Augsburg immer noch verstrahlt

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    Viele Wildschweine  sind verstrahlt - selbst 35 Jahre nach Tschernobyl.
    Viele Wildschweine sind verstrahlt - selbst 35 Jahre nach Tschernobyl. Foto: Andrea Warnecke, dpa

    Manchmal ist die Strahlung sogar für das Messgerät zu viel. "Das Messgerät kann Werte bis zu 9999 Becquerel pro Kilogramm anzeigen", sagt Jagdwirt Jörg Richter, der für seine Abschlussarbeit die Belastung von Schwarzwild im Landkreis Augsburg nach der Katastrophe von Tschernobyl untersucht hat. Dann aber ist einfach Schluss. Doch bei der hohen Strahlung ist das auch schon egal - das Fleisch des Wildschweins ist dann absolut ungenießbar.

    Manchmal ist die Strahlung sogar für das Messgerät zu viel.
    Manchmal ist die Strahlung sogar für das Messgerät zu viel. Foto: dpa, (Symbolbild)

    26. April 1986 - die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl jährt sich zum 35. Mal

    35 Jahre ist der Super-GAU jetzt her. In der Nacht auf den 26. April 1986 verloren sowjetische Ingenieure die Kontrolle über ihre Meiler im Atomkraftwerk Tschernobyl. Ein Reaktor explodierte, radioaktive Stoffe wurden in die Atmosphäre geschleudert. Eine schädliche Wolke zog über Europa hinweg - erst Richtung Schweden, dann nach Österreich und Bayern.

    "Entscheidend war der 30. April vormittags", erzählt Richter. Dunkle Wolken zogen über Landstriche in Schwaben, über den Bayerischen Wald und den Süden Oberbayerns. "Es regnete, aber wie in Bayern üblich nur lokal." Das Wetter von damals prägt die Landschaft noch heute: In Meitingen zum Beispiel, einem Markt im nördlichen Landkreis Augsburg, sei es trocken geblieben, berichtet der 53-Jährige. "Strahlung ist dort kaum mehr ein Thema." Doch nur wenige Kilometer weiter südlich regnete es - und die Messgeräte schlagen noch immer aus.

    Denn mit dem Regen drangen damals radioaktive Stoffe in den Boden. Die meisten sind längst kein Problem mehr, nur Caesium 137 hält sich hartnäckig. Der Stoff hat eine Halbwertzeit von 30 Jahren, gut die Hälfte davon ist also erst zerfallen.

    "Caesium 137 kann man sich vorstellen wie ein Salz", erklärt Jagdwirt Richter. Im Waldboden setzt es sich an organische Stoffe in den oberen zehn bis fünfzehn Zentimetern des Bodens. Über ihre Wurzeln nehmen Bäume Mineralien wie Calcium und eben auch Caesium auf, im Herbst fallen die belasteten Blätter wieder auf den Boden und zersetzen sich - ein ewiger Kreislauf, wodurch der Stoff im Boden bleibt.

    Anders ist es auf den Feldern, wo Caesium 137 einfach ausgespült und mehrfach untergepflügt wurde. Die radioaktive Konzentration in Getreide, Gemüse, Salat oder Milch selbst aus belasteten Regionen sei nur noch äußerst gering, heißt es aus dem Landesamt für Umwelt (LfU).

    Strahlenbelastung nach Tschernobyl: Wildschweinfleisch weißt immer noch Spitzenwerte auf

    Für Pilze und Fleisch von Wildschweinen, die den belasteten Waldboden nach Nahrung durchwühlen, weisen Stichproben der Behörde aber noch immer Spitzenwerte auf: Weißer Rasling aus dem Landkreis Garmisch-Partenkirchen  - 5100 Becquerel, Semmel-Stoppelpilz aus dem Landkreis Miesbach - 1300 Becquerel oder Wildschwein aus dem Landkreis Ostallgäu - 1400 Becquerel. Der Grenzwert liegt bei 600 Becquerel. Nahrungsmittel mit höheren Werte dürfen nicht verkauft werden, sonst drohen Strafen.

    "Jedes Wildschwein wird überprüft", versichert Richter vom Bayerischen Jagdverband, der 124 Messstationen betreibt. "Auch wenn ich als Jäger einem Freund Wildbret schenke, muss ich das vorher überprüfen lassen." Ein halbes Kilo Muskelfleisch wird dafür zu Gulasch verarbeitet. Die vollautomatische Messung mit einer Art Geigerzähler, einem Gerät von der Größe einer Kaffeemaschine, dauert nicht einmal zehn Minuten.

    In einem guten Jahr sind nach Schätzungen des Experten nur etwa 10 bis 15 Prozent der erlegten Wildschweine aus den betroffenen Gegenden so verstrahlt, dass sie entsorgt werden müssen. Es können aber auch bis zu 60, 70 Prozent sein, sagt Richter. "Das sind zwei von drei Wildschweinen. Es tut einem in der Seele weh, eigentlich so gutes Fleisch entsorgen zu müssen."

    Je weniger Tiere im belasteten Boden wühlen, desto weniger sind verstrahlt

    Die Strahlung der Wildschweine schwankt je nach Jahr und Jahreszeit. Entscheidend ist die Nahrung, wie die Untersuchungen des Jagdwirts zeigen. Je weniger die Tiere im belasteten Waldboden nach Nahrung wühlen, desto weniger sind sie verstrahlt. Wenn im Herbst also viele Eicheln, Bucheckern und Kastanien abfallen und im Sommer Mais und Getreide, "ist der Boden im Wald auch nicht mehr so interessant". Das wasserlösliche Caesium 137, das sich bei den Wildschweinen in den Zellen einlagert, wird wieder ausgeschwemmt.

    Doch es werde wohl noch 70 bis 80 Jahre dauern, bis sich die Belastung bei den Wildschweinen zumindest halbiert, schätzt Richter. Auch wenn der radioaktive Stoff langsam zerfällt, nehmen die Tiere noch mehr als genug davon auf. Das Landesamt für Umwelt wagt erst gar keine Prognose. "Eine Aussage darüber, wann die Aktivität nicht mehr messbar sein wird, ist nicht möglich", erklärt eine Sprecherin. Also laufen die Messungen weiter - auch Jahrzehnte nach der Katastrophe von Tschernobyl. (dpa)

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