Natürlich er, wer sonst. Irgendwie wundert es nicht, dass es ausgerechnet Sascha Lobo war, der den Seinen den Kopf wusch. „Netzgemeinde?“, meinte der Mann mit dem Schnauzbart und dem markanten roten Irokesenschnitt. „Ich habe mich mit dem Begriff angefreundet wie mit einem dreibeinigen blinden Hund“, ätzte er, um sich dann doch noch an eine Definition zu wagen. Die fiel nicht allzu positiv aus. Die Netzgemeinde sei doch höchstens eine „selbst ernannte Hobbylobby für ein freies, offenes und sicheres Internet.“
Sascha Lobo, das schillernde Aushängeschild eben jener deutschen Netzgemeinde, sorgte für reichlich Gesprächsstoff mit seinem Vortrag auf der re:publica 13. Drei Tage lang diskutierten 5000 Menschen vergangene Woche in Berlin über Politik im und rund um das Internet, über Bürger- und Freiheitsrechte, Geldverdienen in digitalen Kanälen, über Blogs und Journalismus, über Technik.
Sascha Lobo: Die Netzgemeinde diskutiert viel, es bewegt sich aber nur wenig
Das ist die re:publica
Die re:publica ist eine Konferenz über Blogs, soziale Medien und die digitale Gesellschaft.
Sie wird seit 2007 jährlich in Berlin veranstaltet.
Die re:publica begann als reiner Blogger-Kongress. Inzwischen reichen die diskutierten Themen von Netzpolitik über gesellschaftliche Entwicklung bis hin zu Recht und technischen Entwicklungen.
Die Veranstalter der re:publica bezeichnen sie als "eine der weltweit wichtigsten Konferenzen rund um die digitale Welt".
Veranstaltet wird die Konferenz von den Betreibern der Blogs Spreeblick und Netzpolitik.org.
Zur ersten re:publica kamen 700 Menschen. Inzwischen sind es weit über 4500 Besucher.
Die ersten fünf Konferenzen fanden in der Berliner Kalkscheune und im Friedrichsstadtpalast statt. Seit 2012 ist die STATION Berlin Veranstaltungsort.
Die siebte re:publica fand vom 6. bis zum 8. Mai 2013 unter dem Motto IN/SIDE/OUT statt.
Vor allem aber beschäftigten die Besucher der re:publica sich mit sich selbst, ihrem Selbstverständnis – und ihrer Position in der Gesellschaft. Lobos plakative Feststellung, dass die deutsche Netzgemeinde zwar viel und laut diskutiere, letztlich aber nur wenig bewege, barg da reichlich Zündstoff.
Ziemlich genau 20 Jahre ist es her, dass der Zugang zu HTML-Dokumenten über Datenleitungen freigeschaltet wurde – im April 1993 war die Geburtsstunde des Internets, wie wir es jetzt nutzen. Die heute 30- und 40-Jährigen mussten in diese Welt erst hineinwachsen, sie sind die „Digital Immigrants“ – im Gegensatz zur jungen Generation der „Digital Natives“, also den Menschen, die mit dem Internet aufgewachsen sind.
Viele Normen passen für die Netzgemeinde nicht mehr in die heutige Zeit
Für die heute 20 bis 30-Jährigen ist es selbstverständlich, Musik, Filme und Nachrichten im Netz zu beziehen, Inhalte zu teilen, fremde Bilder bei Diensten wie Tumblr oder Pinterest einzustellen. Youtube hat für sie das Fernsehen ersetzt, der Facebook-Chat die E-Mail. Nachrichten? „Wenn etwas wichtig ist, wird es mich schon erreichen“. Der legendäre Satz eines US-Studenten aus dem Jahr 2008 ist angesichts von Facebook, Twitter und Rivva – einem Dienst, der das Netz nach den meistempfohlenen Artikeln durchforstet – eine Binsenweisheit.
Und das deutsche Urheberrecht oder gar das „geistige Eigentum“? Für viele digitale Eingeborene sind sie Normen einer vergangenen Epoche, nicht mehr zeitgemäß, da Bilder und Texte mit einem Mausklick unendlich oft kopiert werden können.
Eine Anpassung des Urheberrechts an die heutige Realität ist allerdings in weiter Ferne. Überhaupt: Wenn es um Gesetzgebung und politische Regulierung geht, hat die Netzgemeinde in Deutschland bis heute praktisch keinen Einfluss. Einzig, dass das umstrittene Anti-Produktpiraterie-Abkommen Acta begraben wurde, ist wohl auch dem lautstarken Protest netzaffiner Aktivisten zuzurechnen.
„Die Stimmung ist auf einem Tiefpunkt angekommen“
Aber sonst? Das gerade bei Bloggern umstrittene Leistungsschutzrecht der Verlage ist verabschiedet. Die Sicherheitsgesetze werden immer weiter verschärft – zulasten von Datenschutz und Bürgerrechten, die in der Netzgemeinde besonders hoch gehalten werden. Wer es wagt, in Deutschland ein offenes WLAN zu betreiben, muss damit rechnen, zum Ziel von Abmahn-Kanzleien zu werden. Überhaupt scheinen es vor allem Juristen zu sein, die in den Mitgliedern der Netzgemeinde nur eines sehen: Melk-Kühe, mit denen sie schnell Kasse machen können. Millionen kostenpflichtiger Abmahnungen in den vergangenen Jahren sprechen Bände.
Entsprechend groß ist der Frust bei den jungen Wilden, dass sie an den Umständen bisher nur wenig ändern können. „Die Stimmung bei Netzaktivisten und Anhängern eines freien Internets in Deutschland ist auf einem Tiefpunkt angekommen“, stellte Martin Weigert kürzlich im viel gelesenen Blog netzwertig.com fest. „Wir haben verloren“, gab Sascha Lobo offen zu. Und auch die Hoffnung, in den Piraten endlich einen politischen Arm zur Durchsetzung ihrer Ziele zu bekommen, hat sich für viele zerschlagen. Man befinde sich ja praktisch in der „post piracy“-Epoche, wurde auf der re:publica schon gelästert.
Die "Hobbylobby" will endlich erhört werden
Keine Chance auf politischen Einfluss also für die Generation, die im und mit dem Netz lebt? Markus Beckedahl mag in das Wehklagen nicht einstimmen. Er ist Vorsitzender des Vereins „Digitale Gesellschaft“, Betreiber von Netzpolitik.org und wohl der bekannteste Lobbyist der deutschen Netzgemeinde. „Es stimmt schon, dass nicht viele etwas Konkretes tun, dafür sehr viele nur meckern und erklären, was andere tun müssten“, sagt er. Das aber könne sich demnächst ändern.
Ein Thema, bei dem die netzaffine Generation endlich einmal Pflöcke einschlagen könnte, hat er schon ausgemacht: die Netzneutralität. Ausgerechnet die Telekom hatte dem sperrigen Begriff Leben eingehaucht. Netzneutralität bedeutet, dass alle Daten gleich behandeln sollten – eine Art Grundsatz des Internets. Die Telekom steht im Verdacht, dieses Prinzip abschaffen zu wollen. Sie will ab 2016 die Surf-Geschwindigkeit drosseln, sobald ein Kunde ein bestimmtes Datenvolumen erreicht hat. Ihre eigenen Dienste wird das Unternehmen von der Drosselung aber ausnehmen.
Genau diese „Zweiklassen-Gesellschaft“ sorgt seit Wochen für Empörung in den Blogs – aber eben auch darüber hinaus. Gestern demonstrierten Aktivisten vor der Hauptversammlung der Telekom in Köln gegen die Pläne. Wohl nur ein Anfang. „Das Thema Netzneutralität ist endlich einmal die Chance, etwas über einen längeren Zeitraum zu machen“, sagt Beckedahl. Man habe bei der Analyse der Debatte um Netzsperren festgestellt, „dass es keine Strukturen gibt, um langfristig an Themen zu arbeiten und auch mal Zeit- und Geldressourcen zur Verfügung zu haben.“ Man brauche eine Professionalisierung der Netzgemeinde, „vergleichbar mit der Umweltbewegung“. Die Hobbylobby, wie Sascha Lobo sie nannte, sie will endlich erhört werden.