Es ist ein schriller Ton, der Leben retten könnte: Das Warnsystem Cell Broadcast steht seit Donnerstag (23. Februar) nach Auskunft der Handynetzbetreiber bundesweit zur Verfügung. Man sei bereit, hieß es von Vodafone, Telefónica (O2) und von der Deutschen Telekom.
"Kein anderes System erreicht im Notfall so viele Menschen in einem Gefährdungsgebiet", sagte Telefónica-Deutschlandchef Markus Haas. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) teilte mit, es sei "ein weiterer wichtiger Schritt zur Stärkung des Bevölkerungsschutzes erreicht". Bei Cell Broadcast erhalten Handys einen Warntext, und es gibt einen lauten Ton. Das soll auf drohende Katastrophen hinweisen.
Gewarnt wird vor Großbrand oder vor Hochwasser
Bei dem System werden Nachrichten wie Rundfunksignale an alle kompatiblen Geräte geschickt, die in einer Funkzelle eingebucht sind - daher der Name "Cell Broadcast". Gewarnt wird zum Beispiel vor einem Großbrand oder vor Hochwasser. Anlass für die Einführung von Cell Broadcast in Deutschland war die Unwetterkatastrophe in NRW und Rheinland-Pfalz im Sommer 2021 mit mehr als 180 Toten.
In anderen EU-Staaten wird das System längst genutzt - Deutschland ist hier also alles andere als ein Vorreiter. "Cell Broadcast ist von Seiten der Europäischen Union längst vorgeschrieben, Deutschland musste das also ohnehin umsetzen und ist mal wieder zu spät dran", sagt die Linken-Bundestagsabgeordnete Anke Domscheit-Berg.
Sie hält das System für "die absolut beste Option für Warnungen, um viele Menschen auf einfachen Wegen zu erreichen". Auch Menschen aus dem Ausland, die in Deutschland seien, oder Menschen, die kein Guthaben mehr auf Prepaid-Handy haben, bekämen die Warnung.
Ergänzung zu Radiodurchsagen oder Sirenen
Cell Broadcast ist eine Ergänzung anderer Warnkanäle, zum Beispiel Radiodurchsagen oder Sirenen an Gebäuden. Bei Cell Broadcast muss keine App installiert werden, wie dies bei den Warnhinweisen von Nina oder Katwarn der Fall ist.
Hilfreich an Cell Broadcast ist, dass ein Handy auch dann laut schrillt, wenn es auf stumm geschaltet ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand den Hinweis auf drohendes Unheil einfach nicht mitbekommt, wird dadurch wesentlich verringert. Ist das Handy hingegen im Flugmodus - etwa wenn jemand schläft und nicht gestört werden will -, so bleibt es stumm und bekommt auch keine Nachricht, da es in dieser Zeit nicht im Netz ist. Besser wäre hier die Nutzung des Schlafmodus, bei dem Anrufe und Chatnachrichten blockiert werden, das Handy aber mit dem Netz verbunden ist und dadurch für Cell Broadcast erreichbar ist.
Bundesweiter Warntag im Dezember als erfolgreich bewertet
Die Netzbetreiber waren verpflichtet, das Warnsystem bis zu diesem Donnerstag zu implementieren und überall in Deutschland zu ermöglichen - diese Frist haben sie nach eigenen Angaben nun eingehalten. Bei einem bundesweiten Warntag Anfang Dezember wurde das System erprobt. Dennoch bewerteten die Telekommunikationsfirmen den Test als insgesamt erfolgreich.
In diesem Jahr führten die Netzbetreiber weitere Tests durch. Es seien Ergebnisse gesammelt und Optimierungen vorgenommen worden, sagte ein Telekom-Sprecher. Die Kosten für den Betrieb bekommen die Betreiber vom Staat zurück. Ausgelöst werden die Warnmeldungen von den für Katastrophenfälle zuständigen Landesbehörden.
Die Verbraucherzentrale NRW bewertet Cell Broadcast in Deutschland als "positive Erweiterung des bestehenden Katastrophenwarnsystems". Wichtig sei, den Kreis der Menschen, die erreicht werden sollen, so umfassend wie möglich zu erweitern, sagte Verbraucherschützer Felix Flosbach. "Bei den digitalen Lösungen ist insbesondere auf eine breite Verfügbarkeit für eine Vielzahl von Geräten zu achten."
Nicht alle Handys werden erreicht
Tatsache ist, dass längst nicht alle Handys, die in einer Funkzelle eingebucht sind, erreicht werden. Ältere Modelle, die vor allem Senioren noch bei sich haben, bleiben außen vor, nur Smartphones sind gemeint. Und auch die nur, wenn sie neue Software-Updates haben. Nach Angaben von Vodafone sind circa drei Viertel der Mobilfunkgeräte in der Lage, Cell Broadcast zu empfangen. Im Umkehrschluss heißt das: Ein Viertel fällt durchs Raster. Hinzu kommt der Umstand, dass schätzungsweise vier Prozent der Menschen in Deutschland kein Mobilfunkgerät haben.
Wichtig ist, dass Handynutzer in Sachen Betriebssystem auf dem Laufenden bleiben. Hierzu kommt von Vodafone ein "dringender Appell": "Sofern die Smartphone-Nutzer die neuesten Versionen dieser Betriebssysteme noch nicht auf dem Endgerät haben, sollten sie ein entsprechendes Software-Update installieren."
Außerdem hat Vodafone die Gerätehersteller aufgefordert, das Speichern und erneute Anzeigen von Warnmeldungen zu verbessern. Bei dem Warntag im Dezember hatten einige Verbraucher die Nachricht zunächst weggeklickt und fanden sie später, als sie sie lesen wollten, nur schwer wieder. Die Hersteller hätten zugesichert, dies durch Anpassungen im Menü zu verbessern, hieß es von Vodafone.
Auch Politiker bewerten das Thema positiv. "Cell Broadcast bringt einen großen Zusatznutzen bei kleinen Kosten", sagte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Maik Außendorf. Er bemängelt allerdings, dass das System erst jetzt in Deutschland eingeführt worden sei. "Andere EU-Staaten waren da viel schneller: Cell Broadcast hätte viel früher in Deutschland implementiert werden müssen." Wichtig sei, dass das System sicher sei gegen Missbrauch. "Sollte das System gehackt werden und eine fremde Macht irreführende Mitteilungen verschicken, könnte das Deutschland in Krisensituationen destabilisieren." Derzeit sei so ein Missbrauch zum Glück nicht abzusehen.
(Von Wolf von Dewitz, dpa)