
Kann das funktionieren, wenn sich Jung und Alt ein Zuhause teilen?

Plus Kind, Eltern und Großeltern – alle unter einem Dach? Mehrgenerationenwohnen gibt es auch in unserer Region. Was ist das Besondere an diesem Konzept?

Mit den Schwiegereltern zusammenwohnen? Dass das für sie ansteht, war Margarita Tausch bereits seit den Anfangsjahren ihrer Beziehung zu ihrem heutigen Ehemann bewusst. Schon seit mehreren Generationen ist es in der Familie ihres Mannes üblich, dass mehrere Familiengenerationen in jenem Haus zusammenleben, das seit den 1960er Jahren im Familienbesitz ist. Zwar in getrennten Wohnungen, aber mit einem Eingang und unter einem Dach. Vor dem Einzug hatte die 31-jährige Augsburgerin Bedenken, hörte von vielen Nachteilen eines solchen Zusammenwohnens. Seit vier Jahren leben ihr Mann und sie, mittlerweile mit einem fünf Monate alten Sohn, nun dort. Und Margarita Tausch fühlt sich wohl.
Mutter, Vater, Kind und Großeltern – oder Studentin, Berufstätiger und Rentnerin als andere Konstellation, ebenfalls unter einem Dach. Konzepte, zu mehreren Generationen zusammenzuleben, gibt es unterschiedliche. Während diese Art von Zusammenleben für den einen unvorstellbar ist, schwärmt der andere von den Vorteilen der Wohngemeinschaft. Doch wie sehen diese aus und für wen eignet sich das Konzept? Was ist an dieser Lebensform, sich das Zuhause mit mehreren Altersstufen zu teilen, so besonders? Und was ist dran an dem Mythos, dass es früher viel üblicher war, dass mehrere Generationen zusammenleben?
Jede fünfte Familie lebt in Deutschland nah beieinander
Welche verschiedene Arten Mehrgenerationenwohnen es überhaupt gibt, weiß Frank Schulz-Nieswandt von der Universität Köln. Schulz-Nieswandt forscht zu Sozialpolitik und qualitativer Sozialforschung. Ein Forschungsschwerpunkt liegt in der Alternsforschung und Wohnformen im Alter. Der Sozialforscher unterscheidet generell zwischen "Mehrgenerationenhäusern", die ein Dienstleister betreibt und wo nicht-verwandte Personen zusammenleben, und "Mehrgenerationenfamilien". Dabei wiederum handelt es sich um private Arrangements, die auf familiärer Verbundenheit basieren.
Mehrgenerationenfamilien, die sich gemeinsam eine Wohneinheit teilen, machen in Deutschland nur etwa ein Prozent aller Familien aus, sagt Schulz-Nieswandt. "Es handelt sich um ein marginales Phänomen." Geläufiger sei es dagegen, getrennt aber örtlich so nah beieinander zu leben, dass man sich gut erreichen kann. Schulz-Nieswandt spricht dabei von "multilokalen Familien". In Deutschland seien es über 20 Prozent der Familie, die auf so eine Art und Weise ein enges Miteinander pflegen.
Was ist der Grund, warum das Miteinander bei Margarita Tausch so gut läuft? Sie und die Schwiegereltern haben die Stockwerke im Haus aufgeteilt, erklärt sie. Sie bewohnt mit Sohn und Mann den ersten Stock und den Dachstuhl, die Schwiegereltern das Erdgeschoss. Hinzu kommt ein unausgesprochener Konsens bei Familie Tausch. "Man hält sich aus dem Haushalt des anderen raus", sagt sie.
Wer im Mehrgenerationenhaus lebt, sollte gut kommunizieren und Konflikte austragen können
Schulz-Nieswandt sieht darin zwei wichtige Aspekte, die für ein gelingendes Mehrgenerationenwohnen wichtig sind. Zum einen: ein ausgewogenes Verhältnis von Nähe und Distanz zueinander. "Wohnformen sind Seelenbilder", erklärt der Professor. "Menschen, die in Mehrgenerationenhäusern wohnen, sind tendenziell nähe-orientierte Menschen." Das sind Menschen, die verstärkt den Kontakt zu anderen suchen und viel Wert auf ein Miteinander legen. Dennoch sei es laut Schulz-Nieswandt wichtig, eine gewisse Distanz zu bewahren. Das funktioniert etwa durch getrennte Haushalte, wie bei Familie Tausch.
Der zweite Aspekt: "Man muss gut Konflikte austragen können." Dafür sei es wichtig, zur Kommunikation bereit zu sein – Probleme und Widrigkeiten also ausdiskutieren zu können. Denn beim Zusammenleben handele es sich laut Schulz-Nieswandt um einen "Lernprozess". Diesen Lernprozess hat auch Margarita Tausch indirekt mitgemacht. Denn aus den Problemen, die vorherige Generationen in ihrem Zuhause einst hatten, sei der Haushalts-Konsens mit den Schwiegereltern erst entstanden, erklärt sie.
"Mann muss das alles können und wollen", sagt der Sozialforscher Schulz-Nieswandt. Er spricht von einer "anspruchsvollen Form des Wohnens". Aber: "Wenn es klappt, werden die Menschen glücklicher." So auch bei Margarita Tausch, die das Zusammenleben genießt. Während sich ihre Schwiegereltern jetzt um ihren kleinen Sohn kümmern, steht fest, dass Margarita und ihr Mann sich mit fortschreitendem Alter genauso um sie kümmern werden.
Eine Art Generationenvertrag also, auf dem auch jene Mehrgenerationenhäuser beruhen, die von Dienstleitern betrieben werden. 2020 gab es laut dem Bundesfamilienministerium rund 540 solcher Häuser in Deutschland. Wie das Zusammenleben dort funktioniert, wissen Carina Pfaffinger und Rolf Pastré. Carina Pfaffinger ist 19 Jahre alt und lebt im "Haus der Generationen" der AWO in Augsburger-Inningen, Rolf Pastré ist 77 Jahre alt und lebt im Wohnprojekt "Jung und Alt" in Oberhausen bei Neuburg an der Donau. Auf der Suche nach einer WG wurde die junge Auszubildende auf das Mehrgenerationenhaus aufmerksam und fand das Konzept spannend. Rolf Pastré reizte die Idee ebenfalls. Er kannte das Mehrgenerationenhaus in seiner Heimatgemeinde bereits, weil er vor seinem Ruhestand als Modellbauer an dem Projekt mitarbeitete und nur ein paar Straßen weiter lebte. Vor drei Jahren entschloss er sich, dort einzuziehen.
Beide sind sich einig, was sie am meisten in ihrem Zuhause schätzen: den Austausch mit Menschen anderen Alters. Rolf Pastré betont, wie ihm die Gemeinschaft das Gefühl gibt, den "Kontakt mit der Umwelt" beizubehalten und ihm sein Zuhause die Angst nimmt, mit steigendem Alter zu vereinsamen. Carina Pfaffinger schätzt es, Einblicke in Lebensbereiche wie Krankheit oder Tod zu bekommen, mit denen sie sich mit 19 Jahren noch nicht auseinandergesetzt hätte.
Warum der Mythos des historischen Mehrgenerationenwohnens falsch ist
Drei Generationen, drei verschiedene Lebenswelten – was bedeutet das für die Rollenverteilung? "Bei der mittleren Generation reden manche von einer gewissen Sandwich-Situation. Die Generation ist dazwischen geklappt: Druck von oben, Druck von unten. Das ist eine Mehrfachbelastung", sagt Schulz-Nieswandt. Denn einerseits steht die mittlere Generation vor der Aufgabe, ihren eigenen Alltag mit Kindern und Beruf zu vereinbaren. Andererseits gibt es da noch die Pflegebedürftigkeit der Eltern-Generation. Aber auch diese Rollenverteilung lasse sich nicht pauschalisieren: Man müsse auf die genauen Altersstufen blicken, betont Schulz-Nieswandt.
Für die Jüngsten könne der Kontakt zu Großeltern oder einem Oma-Opa-Ersatz die Entwicklung bereichern. Die Ältesten profitieren ebenfalls von diesem Kontakt und mit fortgeschrittenem Alter, je nach Konzept des Mehrgenerationenhauses, von eben jener Pflege der mittleren Generation.
Schulz-Nieswandt warnt jedoch auch vor der Glorifizierung des Konzepts. "Viele sagen: Oh, da wohnen mehrere Generationen zusammen, wie schön. Erstens: Wenn es nicht klappt, kann es auch unschön sein. Zweitens: Es sagt nichts über die Lebensqualität aus." Denn alleine zu wohnen bedeute nicht automatisch, einsam zu sein. "Deshalb ist es wichtig, keinen Mythos aufzubauen, dass wir kulturgeschichtlich etwas verloren haben."
Der Sozialforscher bezieht sich auf die verbreitete Vorstellung, dass es früher Mehrgenerationenhäuser mit Großfamilien viel häufiger gegeben habe. Dabei handelt sich um eine falsche Vorstellung, die sich medial hartnäckig gehalten hat: "Man muss sich nur die Lebenserwartung der vergangenen Jahrhunderte anschauen. Vier von fünf Kindern starben in der Weimarer Zeit in den ersten fünf Jahren. Die Müttersterblichkeit ist hoch, wenn auch die Kinderzahl hoch ist." Auch die durchschnittliche Ehe dauerte durch einen späten Hochzeitszeitpunkt des Mannes und Muttersterblichkeit nur sieben Jahre. "Rein statisch war die Möglichkeit eines Mehrgenerationenwohnens selten." Erst heute, bei einer besseren medizinischen Versorgung, besserer Ernährung und damit höherer Lebenserwartung, entstünde erstmals häufiger die Möglichkeit des Mehrgenerationenwohnens.
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Inwieweit dabei die eigene Entwicklung und persönliche und berufliche Entfaltung Einschränkungen erfährt wird nicht ausreichend berücksichtigt. Heute ist eher üblich, dass der Vogel bei Zeiten aus dem Nest fliegt und sein eigenes Leben führt. Die sogenannte Sandwichgeneration - in der Regel die Leistungsträger- erleidet dabei besonderen Druck und Nachteile. Für mich wäre das unerträglich die fortwährende Beaufsichtigung und die Verwandtschaft ständig auf dem "Pelz" zu haben.