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Kochen: Gewürzexpertin im Interview: Wie man das Bittere lieben lernen kann

Kochen

Gewürzexpertin im Interview: Wie man das Bittere lieben lernen kann

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    Radicchio ist violett und schmeckt etwas bitter.
    Radicchio ist violett und schmeckt etwas bitter. Foto: Florian Schuh, dpa

    Frau Matthaei, warum schreiben Sie ausgerechnet über bittere Aromen? Viele Menschen reagieren doch ablehnend auf bittere Geschmäcker…

    Bettina Matthaei: Definitiv. Warum sonst gäbe es Begriffe wie „bitterböse“ oder „bitterlich weinen“… Aber zum Geschmack: Wenn Kinder ihre kulinarischen Erfahrungen durch Nudeln mit Ketchup, Pizza und Fertiggerichte machen und nicht mit frischem Gemüse, Salaten und Kräutern in Kontakt kommen, werden sie vermutlich nur schwer experimentierfreudig, was andere Geschmäcker als süß, salzig und umami – also „wohlschmeckend“ – betrifft.

    Wie sieht das in anderen Ländern aus?

    Matthaei: Durch die Globalisierung hat sich Fast Food weltweit verbreitet mit den typischen Geschmacksrichtungen süß, salzig und umami. Doch in asiatischen Ländern und in Mexiko sowie ganz Lateinamerika wird gerne richtig scharf gegessen. Der Anteil von bitteren Gerichten ist vergleichsweise gering, aber die extrem bittere Bittergurke ist in Japan, China, Indien oder Indonesien sehr beliebt, auch wegen ihrer gesunden Wirkung. Sie hilft bei Übergewicht, senkt den Blutzucker und wirkt so präventiv gegen Diabetes.

    Immer mehr stellt sich heraus, dass Bitterstoffe in Nahrungsmitteln förderlich für die Gesundheit sind. Ist das das Hauptanliegen Ihres Buches?

    Matthaei: Sagen wir mal so: Das ist ein ebenso angenehmer wie wichtiger Nebeneffekt. Mein Hauptanliegen war ein Bitterbuch für Genießer und Entdecker, weshalb ich zu jedem Rezept einen kleinen Text geschrieben habe, der auf die Bitter-Intensität vorbereitet und womit diese verstärkt oder gemildert werden kann.

    Bitter und Süß passen gut zueinander, sagt Autorin Bettina Matthaei. Die Bitternoten von Tonka-Bohnen, Lorbeer und dunkler Schokolade treffen hier auf Karamell und Äpfeln.
    Bitter und Süß passen gut zueinander, sagt Autorin Bettina Matthaei. Die Bitternoten von Tonka-Bohnen, Lorbeer und dunkler Schokolade treffen hier auf Karamell und Äpfeln. Foto: Hans Gerlach, Hädecke Verlag

    Was kann bitter, was andere Geschmacksrichtungen nicht können?

    Matthaei: Es geht weniger um den einzelnen Geschmack, sondern vielmehr um das Zusammenspiel der verschiedenen Geschmacksrichtungen. Besonders süß ist ein genialer Gegenspieler von bitter – ein wunderbares Beispiel ist Bitterorangenmarmelade. Sie hat neben der fruchtig-säuerlichen Süße durch die Bittertöne eine aufregende Tiefe. Eine Marmelade aus Süßorangen wird daneben flach wirken.

    Vielen Obst- und Gemüsesorten wurde gerade das Bittere weggezüchtet. Propagieren Sie jetzt quasi den Gegentrend?

    Matthaei: Das ist nicht meine Ansicht, denn die meisten Menschen mögen Bitteres nur in kleiner Menge. Man kann sehr gut aber alle Tipps zum Entbittern ignorieren und zum Beispiel die bitteren Teile wie Strunk oder Schale mitessen.

    Sie bezeichnen bitter als erwachsenen Geschmack. Warum?

    Matthaei: Der Geschmack von Neugeborenen orientiert sich an der Muttermilch, die süß und umami schmeckt – und zudem sehr fettreich ist. Sauer, scharf und vor allem bitter werden deshalb total abgelehnt. Erst nach und nach kommen diese Geschmacksnoten dazu. Der erste Kaffee wird noch mit viel Milch und Zucker getrunken, bis man dem Reiz eines schwarzen Kaffees verfällt. Das Gleiche gilt für dunkle Schokolade oder für bittere Salate wie Rucola oder Radicchio.

    Viele Kinder mögen keine dunkle Schokolade.
    Viele Kinder mögen keine dunkle Schokolade. Foto: Alexander Rüsche, dpa

    Ist bitter gleich bitter? Und nimmt jeder Mensch bitter gleich wahr?

    Matthaei: Bitter ist immer anders. Schon beim einzelnen Lebensmittel, Kraut oder Gewürz reicht die Skala von dezent herb über erdig bis intensiv bitter. In der Zubereitung kann es durch die Kombination verschiedener Lebensmittel deutlich bitterer, aber auch vielschichtiger werden oder umgekehrt wird das Bittere „gezähmt“. Die Menschen nehmen bitter ganz unterschiedlich wahr. Es gibt Bitterschmecker – rund ein Viertel der Bevölkerung, Normalschmecker – in etwa die Hälfte der Bevölkerung – und Nichtschmecker – nochmals ein Viertel der Menschen. Für Bitterschmecker kann schon eine geringe Menge eines Bitterstoffes unangenehm sein, die ein Nichtschmecker erst gar nicht wahrnimmt, während Normalschmecker die feinen Bitterabstufungen durchaus zu schätzen wissen.

    „Erst ablehnen – dann lieben“ überschreiben Sie eines der Kapitel. Heißt das, man kann sich die Lust an Bitter antrainieren?

    Matthaei: Man kann tatsächlich lernen, den Bittergeschmack zu lieben, indem man sich langsam herantastet und nach und nach steigert. Von der Milchschokolade zu einer mit 60 oder 70 Prozent Kakaoanteil bis hin zur 90- bis 100-prozentigen. Vom Milchkaffee zum Espresso ohne Zucker. Vom Kopfsalat zu Radicchio, von der Möhre zur Steckrübe oder von der Orange zur Grapefruit.

    Was raten Sie Einsteigern? Welche Gewürze, Gemüse, Obstsorten empfehlen Sie für erste Bitter-Experimente?

    Matthaei: Der Großteil der Gewürze hat eine bittere Komponente, selten ist ein Gewürz „nur“ süßlich oder „nur“ scharf. Geeignete Gewürze sind Muskatnuss oder Sumach. Auch Kräuter sind meist herb wie Thymian oder Rosmarin. Das gilt auch für Nüsse und Sesam, Äpfel und Birnen mit der Schale, Kohlgemüse, Chicorée, Endivien, Rucola oder Radicchio. Für Fortgeschrittene eignen sich Gewürze wie Bocks-hornklee, Gewürznelke, Lorbeer oder Tonka. Es gibt die Bittergurke, Kakaobohnensplitter oder 100-Prozent-Kakao-Schokolade, Cocktail-Bitters und Bitter-Liköre.

    Info: Das Buch „Bitter“ von Bettina Matthaei ist im Hädecke-Verlag erschienen, 264 Seiten, 32 Euro.

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