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Reisebericht: Norwegen: Zwischen Elchen und Polarlicht

Reisebericht

Norwegen: Zwischen Elchen und Polarlicht

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    Hier ist wirklich Winter, in der Finnmark im Norden Norwegens, wo sich die Elche, Rentier und die Schlittenhunde wohlfühlen, wo ganze Hotels samt Minigolfbahn aus dem Eis gesägt werden und das Polarlicht Glück bringen soll.
    Hier ist wirklich Winter, in der Finnmark im Norden Norwegens, wo sich die Elche, Rentier und die Schlittenhunde wohlfühlen, wo ganze Hotels samt Minigolfbahn aus dem Eis gesägt werden und das Polarlicht Glück bringen soll. Foto: Kümpfbeck/Fotolia

    Die Samen sind das einzige von der Europäischen Union anerkannte indigene Volk Europas. Wer Norwegen besucht, kann von ihnen noch etwas lernen. Wer die Kultur des Samen nicht nur im Museum in Alta oder bei einem Besuch des samischen Parlamentsgebäudes "Sameting" kennen lernen will, kann zum Beispiel mit Trygve Nygard von "Northern Lights Tours" auf eine nächtliche Nordlicht-Expedition im Minibus gehen.

    „Wenn es im Ohr juckt, wird man etwas Merkwürdiges hören“ (Samisches Sprichwort)

    Es ist eine schwierige Nacht, sagt Trygve Nygard. Kein einziger Stern ist am Himmel zu sehen. Die Wolken sind dicht, seit Tagen schon, zwei Schichten haben sich in 900 und in 2000 Metern Höhe übereinander geschoben. Es ist eine dieser hoffnungslosen Polarkreis-Nächte, meint Nygard, und befragt noch einmal sein Handy nach der Wettervorhersage. Hier in Alta ist es wolkig, in Karasjok ist es wolkig, in Kautokeino ist es wolkig. Es bläst ein eisiger Wind, der dafür sorgt, dass sich die sechs Grad minus, die es hat, zehn Grad kälter anfühlen.

    Glück und Fruchtbarkeit

    Bis zu 150 Kilometer wird er mit uns fahren, sagt Trygve Nygard, auf der Jagd nach dem Nordlicht. Sagen wir besser: auf der Jagd nach einem kleinen Loch, das der Wind in die Wolkendecke gerissen hat. Bei 87 Prozent seiner nächtlichen Expeditionen, erzählt der Naturbursche, hat er im vergangenen Jahr das Nordlicht gefunden. Das spektakuläre Schauspiel lockt immer mehr Touristen in den einsamen Norden Norwegens, wo das Polarlicht „Aurora Borealis“ von Oktober bis Februar am Himmel tanzt, wenn der denn klar ist. Vor allem Asiaten sind von den magischen Lichtstreifen begeistert. Sie sind überzeugt davon, dass es Glück und Fruchtbarkeit bringt, wenn man das Himmelsphänomen erlebt hat. Schade, sagt Trygve Nygard, denn jenseits der Wolkendecke „ist heute viel los“. Heißt: Es sind jede Menge elektrisch geladene Sonnenpartikel unterwegs, die mit hoher Geschwindigkeit auf das Magnetfeld der Erde treffen. Je nachdem, in welcher Höhe und mit welchem Gas die Teilchen in der Erdatmosphäre kollidieren, hüpft das Licht in grün-gelben, roten oder blau-violetten Schleiern über den Horizont.

    „Lege Dich zum Schlafen nie quer ins Boot, sonst kommt der Troll und nimmt Dich mit.“

    Diese Lichtshow ist einer der Gründe, warum es sich lohnt, im Winter in die Finnmark zu reisen. So heißt die nördlichste Region Norwegens, die etwa so groß ist wie Dänemark, in der aber nur 74000 Menschen leben – und 16000 Rentiere. Hier fällt der erste Schnee Mitte Oktober und der bleibt dann oft bis Mai. Kein Wunder, dass die Samen, die skandinavischen Ureinwohner, 300 verschiedene Wörter für Schnee haben. Denn davon gibt es auf den Hochebenen genug, wo die Temperatur schon mal auf minus 50 Grad fällt. Dann springen nur noch die Autos an, die eine strombetriebene Motorheizung haben.

    Zwischen Elchen und gefrorenen Wasserfällen

    Ab und zu durchbricht ein Elch am Straßenrand den schwarz-weißen Kontrast aus Schnee, Stein und ein paar dürren Birken. 180000 dieser extrem kurzsichtigen Tiere leben in Norwegen. Viel zu viele, sagen Experten. Und es werden immer mehr, weil den Elchen natürliche Feinde wie Wölfe fehlen. Straßenschilder warnen vor den grauen Schwergewichten, trotzdem kommt es häufig zu tödlichen Unfällen.

    Die Baumgrenze liegt hier, in der letzten Wildnis Europas, bei 300 Metern. Und in den wenigen Stunden, in denen es im Winter hell ist, färbt sich der Himmel pastellfarben. Die paar Autos, die auf den Buckeleispisten unterwegs sind, haben Spikes aufgezogen. Die Flüsse sind ab Mitte November zugefroren, auf ihnen fahren Schneemobile und Tretschlitten. Dort, wo im Sommer Wasserfälle die Felsen herunterplätschern, ist das Wasser zu bizarren Kunstwerken gefroren.

    Lappland hieß die Heimat der Samen in Norwegen, Schweden, Finnland und Russland früher – ein Begriff, den die 90000, vielleicht 140000 Mitglieder des Volkes der Samen nicht gerne hören. Sie empfinden ihn als minderwertig.

    „Wer einen Schluckauf kriegt, bleibt unvergessen.“

    In den 1960er Jahren hat die Regierung versucht, die Lappen den Norwegern gleich zu machen. Die Sprache der Samen war in der Schule verboten, die meisten haben ihre Herkunft verschämt verschwiegen. Heute sind die Samen als einziges indigenes Volk der Europäischen Union anerkannt. Im Jahr 2000 eröffnete König Harald V. in Karasjok das „Sameting“, das Samische Parlament. Die 39 Abgeordneten kümmern sich um die Rechte der Ureinwohner. Künstlerin Kristin Ytreberg hat die Wände des Gebäudes mit goldener Schrift verziert: zu lesen sind alte samische Sprichwörter.

    Die Samen leben seit Jahrhunderten mit dem Schnee, mit der Kälte, mit der Natur. Rund die Hälfte von ihnen sind heute noch Rentierzüchter. Sie essen Rentierzunge zum Frühstück, aus dem Geweih der Tiere machen sie Kleiderhaken und aus den Hufen Gelatine. Sie ziehen mit ihren Herden im Winter in die Berge und im Sommer ans Meer.

    Bis minus 50 Grad warm - dank Rentierfell

    Die Familie von John Henrik Guttorm – zu ihr gehören etwa 50 Verwandte – hat Rentiere. Und alle helfen zusammen, wenn das weite Gebiet, auf dem die Tiere weiden, mit dem Schneemobil kontrolliert werden muss, wenn geschlachtet wird oder die Herde weiterzieht. „Jeder Tag ist ein Abenteuer hier“, sagt John Henrik Guttorm, den alle nur Heaika nennen. Er trägt Schuhe aus Rentierfell mit dicken Filzeinlagen. „Die halten bis minus 50 Grad warm“, sagt er. Seit zwei Jahren bietet er Schneemobil-Touren für Touristen an. Denen zeigt er dann draußen in der weiten Leere Nordnorwegens, wie Samen leben und wie der Joik klingt, ihr traditioneller Gesang, der sich anhört wie melancholisches Jodeln. Nebenbei hat der 28-Jährige eine eigene Firma: Er baut Bühnen- und Beleuchtungstechnik für Konzerte auf.

    „Wenn die Laus das Ohr hoch krabbelt, kommt mildes Wetter.“

    Es ist ein Leben zwischen Tradition und Moderne. In dem Topf über dem Lagerfeuer schmort Rentier-Eintopf und Heaika erzählt, dass Birkenrinde kleine Wunden desinfiziert und Rentierfell als Sitz-Unterlage auf Schnee warmhält, weil jedes einzelne Haar hohl ist und deshalb isoliert. In Kautokeino, der Hauptstadt der Samen, treffen sich die Jungen am Abend im weltweit einzigen Drive-in-Freiluft-Kino für Schneemobile, wie es heißt. Eine halbe Stunde dauern die samischen Kurzfilme, die auf der Leinwand aus Eis laufen. Auf einem Rentierfell, im Thermo-Schneeanzug und mit einem Becher heißer Schokolade in der Hand ist das auszuhalten.

    In Alta steht ein ganzes Hotel aus Eis, das „Sorrisniva Hotel“. Im November fangen die Brüder Hans Ulrik und Tor Kjetil Wisloff an, mit der Kettensäge 350 Kilo schwere Eisblöcke aus dem Alta-Fluss zu schneiden. Mehr als 600 Stück brauchen sie für die 30 Zimmer, in denen sogar die Betten aus Eis sind, für die Hotellobby, die Bar und die Kapelle, in der geheiratet werden kann. Für die Hochzeitsnacht auf Rentierfellen gibt es Polarschlafsäcke, die per Reißverschluss verbunden sind. An den Wänden hängen Fotos von Polarlichtern.

    „Hitze ist besser als Kälte.“

    Nach vier Stunden hat es Trygve Nygard geschafft: Er hat das Nordlicht gefunden. Nur kurz ist die Wolkendecke aufgerissen über der Bucht von Alta. Wenn man lang genug in den Himmel starrt und dem begeisterten Trygve zuhört, kann man flirrende Lichtstreifen erkennen. Die Kamera, auf Langzeitbelichtung eingestellt, dokumentiert schließlich einen grünen Fleck. Aber man ahnt, wie fantastisch das norwegische Himmelskino ist.

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