
So feiert der Landkreis Günzburg den Fasching im TV

Plus Der Fasching mit Publikum ist wieder im Fernsehen zurück. "Schwaben weissblau" setzt auf Bewährtes. Welche Rolle dabei der Landkreis Günzburg spielt.

Die Faschingsorden, die Mitwirkenden und prominenten Gästen als Erinnerung mitgegeben werden, liegen am Freitagabend in einem Nebenraum der Memminger Stadthalle ausgebreitet auf einem Tisch. Mike Tögel aus Offingen war 14 Jahre lang Präsident der Burgavia – bis 2018. Jetzt organisiert er für den Regionalverband Bayerisch-schwäbischer Fastnachtsvereine (BSF) die tollen Tage und Wochen mit, in der Rolle eines Vizepräsidenten. Fast liebevoll betrachtet Tögel die närrischen Auszeichnungen. Sie hängen an Bändchen, die in Weiß und Blau gehalten sind.

"Es hat etwas gefehlt", sagt Tögel eine knappe Stunde, bevor der zweite, der relevante Aufzeichnungsabend des Bayerischen Rundfunks (BR) beginnt. "Schwaben weissblau", heißt die TV-Sendung, die wenige Tage später zunächst im "Dritten" des BR und danach im SWR (Südwestrundfunk) ausgestrahlt wird. 1200 Zuschauerinnen und Zuschauer verwandelten am Donnerstag- und Freitagabend die Halle in einen brodelnden Ort der guten Laune. Jene Live-Atmosphäre meint Tögel, die er so vermisst habe.
Fast vier Stunden lang "Hurra und helau"
In den vergangenen beiden Jahren hat das Fernsehen coronagedrungen ins Studio nach München-Unterföhring gewechselt. Aber das ist nicht zu vergleichen mit der Memminger Faschings-Hochburg im Herzen der Stadt, in der Galionsfiguren der Narrenzünfte und Faschingsgesellschaften zwischen den Aufführungen in den Hauptgängen des Saales hin- und hergeflitzt sind und mit Konfetti um sich geworfen haben – gefühlt im Zentnerbereich. Bejubelt wurden damit diejenigen, die oben auf der Bühne fast vier Stunden Gags produzierten, akrobatisch ihre Tanzformationen turm- und pyramidenartig in die Höhe bauten, sangen, spielten und parodierten.

Nach der zweimaligen Live-Zwangspause setzte der BR 2023 auf bewährte Kräfte. Zu denen gehört Wolfgang Krebs, der ein Treffen bayerischer Ministerpräsidenten problemlos einberufen könnte, weil er sie ja alle mit ihren sprachlichen Eigentümlichkeiten perfekt imitiert. Diesmal hat sich der Kaufbeurer aber nicht für den aktuellen CSU-Regierungschef entschieden, sondern für dessen Stellvertreter Hubert Oiwonger... sorry Aiwanger von den Freien Wählern. Der entschuldigte seinen Chef am Kabinettstisch sogleich: Ministerpräsident Markus Söder habe wichtige Termine. "Auf der neuen Baustelle an der A9 bei Bod Berneck musste er heute Nochmittog noch ein Dixiklo einweihen." Auch die meisten der anwesenden Politikerinnen und Politiker wurden von Krebs/Aiwanger liebevoll bedacht – etwa die Grünen-Landeschefin Eva Lettenbauer und die Fraktionsvorsitzende im Landtag, Katharina Schulze, die ein Wahlrecht mit 16 forderten. "Was einem holt so einfällt, im Spezi-Rausch."
Krebs, der später mit Constanze Lindner (sie moderiert im BR die Kult-Sendung "Vereinsheim Schwabing") ein Schnulzenlied zum Besten gab, kann seinen Bekanntheitsgrad im Gegensatz zu vielen anderen der rund 200 Akteure mithilfe von "Schwaben weissblau" kaum mehr steigern. In "Quer" tritt er im Fernsehen auf, in Bayern 1 ist er regelmäßig in mehreren Rollen zu hören. Und doch hatte Krebs seit dem Start vor 20 Jahren nur zweimal keinen Einsatz: "Einmal ist es aus terminlichen Gründen einfach nicht gegangen. Das andere Mal im Jahr 2007 war es der folgende Grund: Ich sollte Ministerpräsident Stoiber spielen. Der hat, wie sich im Laufe des Aufzeichnungstages für den Schwaben-Fasching herausstellen sollte, just an diesem Datum seinen Rücktritt angekündigt." Eine Parodie sei wegen der sich überschlagenden Ereignisse nicht möglich gewesen. Verlockungen zum noch populäreren Franken-Fasching des BR zu wechseln, hat es gegeben, wie Krebs am Rand der Veranstaltung erzählt. Aber er habe widerstanden. "Aus Dankbarkeit." Georg Ried, viel beschäftigter Sitzungspräsident des Abends, habe ihm einst die Chance eröffnet, in "Schwaben weissblau" aufzutreten. So etwas vergesse er nicht.
Die Lena, der Maddeis und des Zwegschgagsälz
Überhaupt gefällt das ganze Drumherum in Memmingen den Mitwirkenden trotz der Warterei und manchen Leerlaufs. Die meisten müssen zwei oder drei Tage Urlaub nehmen. Aber es gibt sonst so gut wie nie Gelegenheit, seinen Teil zu einem großen Ganzen beizutragen – und das vor einem TV-Millionenpublikum. Der Austausch untereinander, die gegenseitige Sympathie und Wertschätzung kommt bei den meisten überaus positiv an. So auch bei Hillu Stoll und Franz Auber, besser bekannt als "Hillus Herzdropfa" von "dr Alb ra". Um die 280 Auftritte bewältigen die beiden als unmögliches Ehepaar im Jahr. Alles spielt sich dabei so 300 Kilometer um ihren Wohnort Schelklingen-Justingen herum ab, "sonschd verstoht mer uns ja ned". Die Nummern sind hunderte Male eingeübt und wirken auf der Bühne doch so, als wäre der Dialog gerade aus der Situation heraus entstanden. Der Erfolg ihrer Darbietung liegt im Detail. In der provisorischen Umkleide sitzen die beiden Darsteller der Lena und des Maddeis und beschließen, das Wort "Zwedgschgagsälz" durch "Zwegschgamarmelad" zu ersetzen, sonst hätten die bayerischen Schwaben womöglich noch Verständnis-Schwierigkeiten mit dem Schwäbischen jenseits von Donau und Iller.

Dreimal hielt es das Publikum an diesem langen Abend vor dem Finale nicht auf den Bierbänken. Die Maskierten und Kostümierten im Saal (Pflicht, um dem TV-Fasching beiwohnen zu können) standen auf und spendeten langen und kräftigen Applaus: Neben den Herzdropfa begeisterte Waldtraud Mair aus dem Ostallgäu als Zenta Meichelböck und ihrem Unverständnis über vegane Ernährung. Die Showtanzgarde des CC Bäumenheim testete mit ihren Hebefiguren die Höhe der Stadthalle und wurde dafür gefeiert.
Nur das Ostallgäu war mit noch mehr Mitwirkenden am Start als der Landkreis Günzburg. Die vier Auftritte aus dem Kreis Günzburg zeigten die feine Kunst der Unterhaltung auf vielfältige Weise. Die Burgauer Formation 8872 präsentierte sich mit Karl Bader als "Hektiker" auf der Bühne (eingearbeitet ist in das Lied auch die geplante ICE-Neubaustrecke durch den Landkreis) und wurde für die Nummer ziemlich am Anfang des Faschings-Marathons heftig beklatscht. Sie ist Teil des neuen Programms von 8872, das demnächst in der Burgauer Kapuziner-Halle gezeigt wird. Insidern dürfte bereits aufgefallen sein, dass es die Ursprungsformation gar nicht mehr gibt. Michael Smalko hat die Band vor wenigen Wochen verlassen. An seiner Stelle wirkte in Memmingen Dieter Endris am Akkordeon mit. Die anderen sind mit Hermann Skibbe, Martin Köhler und Markus Kraus die bekannten Gesichter.

Tobias Diesner alias Tobi van Deisner (Reisensburg) verblüffte einmal mehr das Publikum in der Rolle des Luftballonkünstlers. Angefangen hat er vor vielen Jahren, als er Besucher im Legoland die Wartezeit vor Attraktionen damit verkürzte, aus Luftballons in Windeseile Figuren oder Gegenstände zu formen. Seine Kunst hat er inzwischen verfeinert und tritt aktuell in Varieté-Theatern in Bremen und später Münster auf. Für den TV-Auftritt konnte er ein paar Tage freinehmen.

Perry Paul aus Krumbach ist wohl einer der routiniertesten Protagonisten bei "Schwaben weissblau", was in seinem Fall nicht mit Langeweile verwechselt werden sollte. Die Kreativität des Bauchredners scheint unerschöpflich. Dies lässt sich beispielsweise an der Fülle seiner Figuren erkennen. Gut zwei Dutzend hat er im Laufe der Jahre erfunden, etwa acht seien derzeit aktiv. Der neueste Zugang heißt Klothilde und ist eine großteils abgewickelte Toilettenpapierrolle. Sie selbst bezeichnet sich lieber als "Backstage-Reinigungskraft" und sagt, sie erkenne viele hier im Saal, allerdings "nicht vom Gesicht her".
Liebe auf den ersten Blick zwischen Stephan und Stefanie
Der Vierte im Bunde ist Stephan Köppler, der als Hofnarr die Büttenrede für die Faschingsgesellschaft Dietmannsried (Oberallgäu) hielt, aber in Günzburg wohnt. Wie kommt's? Der Informatiker hieß vor wenigen Monaten noch Blind mit Familiennamen. Zwischen ihm und der Günzburgerin Stefanie Köppler hat es im Mai 2021 bei einer Verabredung am Oberrieder Weiher gefunkt. Der Liebe auf den ersten Blick folgte das Ja-Wort am 1. Oktober 2022, dem Hochzeitstag von Günzburgs Alt-Oberbürgermeister Rudolf Köppler und seiner Frau.

Dem Hofnarren Köppler ist es gelungen, die voll besetzte Stadthalle mit seiner nachdenklich machenden Rede für sich einzunehmen. Wo vorher noch "Hurra-und-helau-Stimmung" war, wurde es nun still bei Themen wie Corona und der Bereicherung von Politikern durch Maskenverkäufe, dem Klimawandel, der gekauften Fußball-Weltmeisterschaft, einer zunehmenden Sprachverrohung und der Weltpolitik ganz allgemein. An einer Stelle sagte er: "Die Menschheit wäre doch so weit / Und langsam wird es wirklich Zeit / Nicht zu trennen nach Schwarzen und den Weißen / Oder wie auch immer die jetzt heißen / Nicht nach denen mit und ohne Migration / Nicht nach Deutschen oder anderer Nation / Nicht nach Moslems oder Christen / Nicht nach Juden oder Atheisten / Trennen sollten wir ganz klar / Nach normal und sonderbar / Nach korrekt und ganz verboten / Und nach Anständigen und Idioten."
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