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Flaschenmütter erzählen: „Das Gefühl, versagt zu haben, erdrückte mich schier“

Flaschenmütter erzählen

„Das Gefühl, versagt zu haben, erdrückte mich schier“

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    Meine Tochter, 13, ist als Frühchen in der 29. Schwangerschaftswoche mit nur 830 Gramm aufgrund einer Schwangerschaftsvergiftung auf die Welt gekommen . Sie war viel zu schwach und zu klein zum Stillen. Alle Ärzte rieten mir dringend dazu abzupumpen, um die wertvolle Milch zu bekommen. Doch je mehr ich mich bemühte und pumpte - es kam nicht ein Tropfen. Das nagte sehr an mir und der Druck von außen war enorm. Nicht nur die Schuldgefühle der Frühgeburt erdrückten mich, sondern später auch das Gefühl, versagt zu haben und nicht stillen zu können ...

    Eine Schwangerschaftsvergiftung ist eine Erkrankung, an der jede Frau in jedem Alter während der Schwangerschaft erkranken kann. Ich war Anfang 30, sportlich, es gab keinen Alkohol, keine Zigaretten oder irgendwas, was das Kind schädigen konnte. Trotzdem wollte mein Körper diese Umstellung nicht und reagierte mit Bluthochdruck, Wassereinlagerungen etc... das kann bis zum Organversagen führen. Durch den extremen Bluthochdruck wurde das Kind nicht richtig versorgt und es gab nur eine Therapie: sofortige Entbindung. Wenn man mal ein Kind gesehen hat, welches 800 Gramm wiegt, dann ist von großen Muttergefühlen nicht wirklich die Rede. Ich hatte wahnsinnige Schuldgefühle, obwohl ich nichts falsch gemacht hatte, auch meinem Mann gegenüber, dass ich nicht "fähig" war, ein Kind "normal" zur Welt zu bringen.

    Man gab mir ein Polaroidfoto von meinem Baby: Dann pumpen Sie mal

    Als meine Tochter dann auf die Intensivstation kam,  durfte ich sie drei Tage nicht sehen. Mir wurde nur ein Polaroidfoto vor die Nase gesetzt mit den Worten: „So, dann versuchen Sie mal, Ihre Milch abzupumpen, denn das ist das, was Ihr Kind am besten verträgt - sonst könnte es aufgrund der Unreife zu Darmproblemen kommen!!“ Da saß ich dann mit einem Bild von einem äußerst unreifen Kind, an Schläuchen und habe mir die kalte Pumpe auf die Brust gesetzt. Alle zwei Stunden, Tag und Nacht. Ich habe mich gequält, ansatzweise zwei Milliliter abzupumpen – nichts passierte. Ich habe mein Kind noch nicht mal anfassen dürfen, geschweige denn riechen.

    Die Ärzte und Intensivpfleger waren sehr nett, doch, aber mir wurde immer wieder zu verstehen gegeben, das gerade Muttermilch für Frühgeborene das Beste ist. So wurde der Druck immer größer, bloß nicht ohne Milch auf die Intensivstation zu kommen. Aber je mehr ich mich bemühte, desto wütender wurde ich. Wütend auf mich, auf das Kind - ich habe schließlich beschlossen, mit dem Pumpen aufzuhören. Die Krankenschwestern waren davon gar nicht begeistert, aber ich wollte nicht mehr. Andere Mütter zu sehen mit ihren rosigen Babys an der Brust, brach mir das Herz.

    Zwei Jahre habe ich mich versteckt

    Man bekommt viel mit von anderen: Gespräche, dass Kinder ohne Muttermilch nie die Bindung erfahren, dass sie häufiger krank sind, das man keine richtige Mutter sei, wenn man das "Erlebnis Stillen" nicht erfahren hatte -  diese glücklichen Übermütter, die mit voller Stolz das nuckelnde Kind an der Brust haben -  ich habe es nicht erlebt. „Ich bin eine schlechte Mutter“, das waren meine Gedanken. 

    Als wir nach drei Monaten nach Hause durften, ging es weiter. Nachbarn, Freunde waren erschrocken über das relativ kleine Kind, ich wollte gar nicht mehr raus - immer diese Fragen, immer musste ich mich verteidigen, warum ich nicht gestillt habe, gerade "DIESE" Kinder. Zwei Jahre habe ich mich versteckt, dann holt meine Tochter auf - Stück für Stück, ohne Muttermilch. Sie hat KEINE Probleme davongetragen, ist auch nicht häufig krank und wir haben ein tolles Mama–Tochter-Verhältnis. Sie ha sich normal entwickelt, geht auf eine Realschule und ist ein fröhliches Kind mit gesundem Appetit.

    Wir sollten dankbar sein, dass die Forschung die Ersatzmilch so weit an die Muttermilch gebracht hat

    Meinen Sohn konnte ich stillen - es hat mich vielleicht ein bisschen beruhigt, das ich doch noch eine "richtige" Mama bin ... Ich bin aber fest der Überzeugung, dass es die bedingungslose  Liebe ist, die Kinder sich entwickeln lassen. Nicht die Milch. Wir sollten dankbar sein, dass die Forschung die Ersatzmilch so weit an die Muttermilch gebracht hat, dass auch Kinder, die einen schweren Start hatten, gut versorgt werden. (lea)

    Dieser Text ist ein Teil unseres Wochenend-Journal-Schwerpunktes "Kampfzone Mutterbrust" zum Thema Nicht-Stillen. Mehr als 50 Frauen aus der Region haben sich daran beteiligt und ihre Geschichten erzählt. Die weiteren Gesprächsprotokolle finden Sie unter

    Kampfzone Mutterbrust: Harter Streit um die Milch fürs Baby 

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