
Fünf Monate und 21 Tage zu Fuß unterwegs


Der Autor Kurt A. Andorfer begeistert mit seinem Buch samt einer Bildershow für den Jakobsweg im Krumbacher Bürgerhaus beim Literaturherbst.
Spätestens seit Hape Kerkeling dann mal weg war und ein Buch über sein Weg-Sein geschrieben hat, kennt ihn jeder: den Jakobsweg. Kurt A. Andorfer ist ihn gegangen. In fünf Monaten und 21 Tagen hat er an einem Stück die 3365 Kilometer bis nach Santiago de Compostela im nordspanischen Galicien zu Fuß zurückgelegt. Auch aus seinem Weg ist ein Buch entstanden, das er untermalt von einer Bildershow im Rahmen des Literaturherbstes im Saal des Krumbacher Bürgerhauses vorstellte.
327378 Urkunden für Pilger, die zumindest die letzten 100 Kilometer zu Fuß oder 200 Kilometer per Fahrrad oder Pferd geschafft haben, wurden 2018 in Santiago ausgestellt. Als „großen internationalen Wandertag“, als „reinsten Schock“ beschreibt Andorfer die letzten Abschnitte des Weges, an dem die verschiedenen Pilgerwege zusammenkommen, in seinem Buch. Er hat den Camino auf seiner Wanderung ganz anders erlebt. Andorfer ist im Winter gestartet. Und es dauerte Monate, bis er überhaupt den ersten anderen Pilger getroffen hat. „Camino im Winter – Briefe an die Kinder“ ist auch der Titel seines Buches. Durch einen Wald bei Kempten wanderte er beispielsweise während der Weihnachtszeit einen Tag lang ganz allein. Es schneite die ganze Zeit. „Da brauchte ich kein Weihnachtsgeschenk mehr“, sagte er im Vortrag. Aber auch später, als er im Frühling durch Frankreich ging, ist er auf weiten Strecken allein. Erst in Spanien angekommen, trifft er auf Gleichgesinnte. Man kennt sich bald, tauscht sich aus, ist „wie eine kleine Pilgerfamilie“, schreibt er im Buch, auch wenn jeder seine Wege geht und eigene Ziele verfolgt.
Von daheim in Österreich aus gestartet
Gestartet ist Andorfer in Altmünster in Österreich. „Der Jakobsweg beginnt in deinem Haus“, zitiert er eine spanische Redeweise. Wege gebe es damit viele. Nur das Ziel, Santiago de Compostela, das sei immer gleich. Andorfer hält sich nicht immer an einen der ausgeschilderten Jakobswege, geht auch auf anderen Pfaden. In Spanien wählt er die nördliche Variante an der Küste, den Camino del Norte, ein Weg, der „jeden beschwerlichen Meter wert ist“.
Auch stattet er sich nicht mit den typischen Pilgerutensilien – Stab, Muschel und Hut – aus. Er setzt auf Gore-Tex und Wanderstöcke, was er auch beides braucht. Das nasskalte Wetter lässt bei der Durchquerung Frankreichs vor allem am Anfang die Stimmung sinken. Dort gestaltet sich die Suche nach Hotels und Restaurants außerdem als äußerst schwierig und dehnt die Etappen aus. 30 Kilometer läuft er am Tag, manchmal mehr. Schmerzen in den Beinen, später auch ein verstauchter Knöchel, tun ein Übriges. „Mein Camino begann mir die Zähne zu zeigen“, sagt er bei der Lesung. Was ihm jedoch immer wieder begegnet, ist unglaubliche Hilfsbereitschaft von Fremden, die ihn aufs Feinste bekochen, privat übernachten lassen oder auch zum Arzt bringen und wieder aufbauen. Einmal springt unerwartet ein alter Freund ein, der mit ihm für zwei Wochen wandert. Und so geht er immer weiter auf seinem Weg nach Santiago, auch wenn er schon kurz vor dem Aufgeben war und an seinem Ziel zweifelte.
Sein Hauptziel ist kein spirituelles, was auch im Buch nur eine untergeordnete Rolle spielt. Andorfer verspricht sich keine Erleuchtung, will nur eine „coole Sache durchziehen,“ wie er schreibt. Pilgerunterkünfte meidet er, Sehenswürdigkeiten auf dem Weg besucht er und Essen und Wein genießt er in Frankreich und in Spanien. Die Zeit mit seinem Freund beschreibt er dann als „Studienreise in Sachen Rebensaft“. Er ist losgegangen als „Raucher, übergewichtig und unsportlich“, wie er im Buch schreibt, und ohne große Planung. Sein Projekt, als „Pilger-Adonis“ in Santiago anzukommen, hat er dann wegen der kulinarischen Genüsse auch schon in Frankreich verworfen. Eine Badezimmerwaage hatte ihn hier nach einem äußerst üppigen Ostermahl wieder auf den Boden der Tatsachen geholt. Die Zeit zum Nachdenken, zur gründlichen Selbstreflexion nutzt er jedoch. „Man macht sich ein Geschenk, man schenkt sich Zeit“, sagt er.
Selbstironisch und unterhaltsam beschreibt Andorfer im Buch seinen Weg. Der Leser darf die feinen Mahlzeiten, aber auch die zermürbende Unterkunftssuche miterleben. Der Sprung vom Ich-Erzähler in den Briefen an seine Kinder zu seinen Berichten über „den Pilger“, die sich im Buch abwechseln, verwirrt anfangs ein wenig. Ansonsten ist das Buch flüssig zu lesen. Auf einer Karte lässt sich der Weg mitverfolgen. Andorfers Ausgangslage für den Weg nennt er nur kurz: Eine zerbrochene Ehe, erwachsene Kinder, die bereits ausgezogen sind, ein Haus, das verkauft war und seine kleine Firma, die geschlossen war. Midlife-Crisis will er das aber nicht nennen, eher „Kreuzung des Lebens“. Und hat ihm der Camino dann etwas gebracht, wollen die Zuhörer am Ende der Lesung wissen. So wie vorher, ein Mensch mit drei Handys, immer auf dem Sprung, das wird er nicht mehr werden, antwortet er in seinem österreichischen Dialekt.
Bewusst leben steht nun auf seinem Plan. „Entschleunigend“ und „lehrreich“ sind zwei Attribute, mit denen er seine Erfahrung als Pilger und Weitwanderer auf dem Jakobsweg versieht. Seine Mission ist es jetzt, Lust zu machen auf eine andere Art des Reisens und loszulassen von den Gedanken, alles planen zu müssen. Denn „a bissl a Virus is dös dann scho“.
Kurt A. Andorfer: Camino im Winter – Briefe an die Kinder. ISBN: 978-3-200-05248-2.
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